Coface hat 2020 in bisher noch nie erlebtem Umfang Länder- und Branchenrisiken aktualisiert und 71 von 162 Volkswirtschaften herabgestuft. Zugleich erwartet der Kreditversicherer bis Ende 2021 einen starken Anstieg der Insolvenzen weltweit.

Coface hat 2020 in bisher noch nie erlebtem Umfang Länder- und Branchenrisiken aktualisiert und 71 von 162 Volkswirtschaften herabgestuft. Zugleich erwartet der Kreditversicherer bis Ende 2021 einen starken Anstieg der Insolvenzen weltweit.

Unter den herabgestuften Ländern ist auch Deutschland. A3 ist die niedrigste Ländernote, die Deutschland in über 20 Jahren bei Coface je hatte. Erst im Juli 2019 hat die Bundesrepublik die Bestnote A1 verloren. Neben Deutschland wurden viele westliche Länder herabgestuft. Eine A3-Bewertung haben nun ebenfalls Frankreich, Belgien, Kanada, die USA, aber auch Portugal und Spanien. Daneben wurde Italiens Note von A4 auf B heruntergenommen. Großbritannien trägt jetzt die Note A4 statt A3. Zusätzlich verloren die bisher weltweit noch verbliebenen vier Länder mit der Note A1 (die Niederlande, Norwegen, die Schweiz und Luxemburg) ihre Bestnote.

Es gibt praktisch kaum eine Volkswirtschaft der Erde, die nicht in irgendeiner Form von Covid-19 negativ beeinflusst ist. Vielleicht beherrscht der Virus selbst nicht das Land, aber im Regelfall hat mindestens ein großer Handelspartner mit den wirtschaftlichen Folgen zu kämpfen. So ist es nicht verwunderlich, dass von Mittel- und Osteuropa über Asien-Pazifik bis hin zu Afrika, dem Nahen und Mittleren Osten sowie Lateinamerika in jeder Region Länder mit Herabstufungen zu finden sind.

Insgesamt erwartet Coface, dass die Wirtschaftsleistung der Welt 2020 um 4,4% zum Vorjahr abnimmt, um 2021 eine Aufholtour zu starten. Dann dürfte das globale Wachstum wieder 5,1% betragen. Gestützt wird dies auch von der Konjunkturentwicklung in Frankreich (2020: –11,6%; 2021: 9,7%), Italien (2020: –13,6%; 2021: 8,9%), dem UK (2020: –13,4%; 2021: 9,5%), den USA (2020: –5,6%; 2021: 3,3%), Brasilien (2020: –6,5%; 2021: 2,8%), China (2020: 1,0%; 2021: 7,5%), aber auch in Indien (2020: 1,5%; 2021: 6,5%).

Plus 33% Insolvenzen weltweit

Corona und die konjunkturelle Entwicklung machen sich auch bei den Insolvenzen bemerkbar. Coface rechnet nunmehr mit einem Anstieg der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland 2020/21 um 12% im Verhältnis zum Vorjahr. Dies ist der stärkste prozentuale Anstieg nach dem Platzen der Internetblase seit 2002. Mit dem Zuwachs von 12% bleibt Deutschland jedoch deutlich unter dem Durchschnitt für das Insolvenzwachstum in der Welt. Das sehen wir nun für die Jahre 2020/21 bei plus 33% relativ zum Jahr 2019. Den stärksten Anstieg in den Industrieländern werden wohl die USA haben (+43%). Großbritannien (+37%), Japan (+24%) und Frankreich (+21%) liegen deutlich über der Zahl für Deutschland. Unter den Emerging Markets sind Brasilien (+44%) und die Türkei (+50%) besonders stark betroffen.

Ist die Prognose zu niedrig?

Manchen Beobachtern erscheint die Prognose für Deutschland als zu niedrig. Denn der Konjunktureinbruch wäre 2020 deutlich stärker als im letzten Rezessionsjahr 2009 mit –5,7% relativ zum Vorjahr, während die Prognose zu den Insolvenzen mit 12% nahe an dem Niveau von 2009 liegen würde. Kann das passen?

Ein wesentlicher Punkt, der bei der Prognose bedacht werden muss, ist der Zeitpunkt der Insolvenz. Denn im März hat die Bundesregierung die Regelungen für den Insolvenzantrag geändert. Während bis jetzt galt, dass spätestens drei Wochen, nachdem die Überschuldung und Illiquidität festgestellt worden sind, die Insolvenz beantragt werden muss, ist diese Frist derzeit ausgesetzt. Sollte die Insolvenz durch die Folgen der Coronakrise drohen, hat das Unternehmen die Möglichkeit, den Antrag auf Insolvenz bis zum 31. September 2020 zu verschieben. In besonderen Fällen wird diese Frist auch bis zum 31. März 2021 ausgeweitet. Das bedeutet, dass nicht alle Insolvenzen, die eigentlich in diesem Jahr rechnerisch stattfinden müssten, auch in diesem Jahr erfolgen. Dies zeigen bereits die Daten des Statistischen Bundesamtes. Somit sollte man darauf achten, worauf sich die Prognose bezieht. Coface sieht es z.B. nicht mehr als sinnvoll an, eine Jahresprognose für 2020 aufzustellen, wenn die Insolvenzen sich ins Jahr 2021 verschieben. Wir haben beide Jahre kombiniert, so dass die Prognose jetzt die Veränderung von Ende 2019 im Verhältnis zum Ende 2021 darstellt. Würde man diese Art der Bemessung auf die letzte Rezession anwenden und die Insolvenzen 2008 relativ zu 2010 berechnen, wären dies ein Plus von 9% und damit immerhin 3 Prozentpunkte weniger als in der aktuellen Wirtschaftskrise.

Ein weiterer Punkt, der hier bedacht werden muss, sind die immensen Maßnahmen, die die Bundesregierung und die Landesregierungen sowie die EZB auf die Beine gestellt haben. Einen solchen Umfang an Maßnahmen gab es noch nie in der Bundesrepublik, die Konjunkturpakete in den Jahren 2008/09 erscheinen dagegen winzig. Allein die beiden Nachtragshaushalte der Bundesregierung für das Jahr 2020 haben einen Umfang von 286 Mrd EUR (9% des BIP). Weitere Mittel sind in der Planung, und dabei wurden noch nicht die Garantien des Wirtschaftsstabilisierungsfonds bedacht, der ein Volumen von 757 Mrd EUR hat. Es wäre unlogisch anzunehmen, dass diese Maßnahmen keinerlei Wirkung zeigten. Im Gegenteil, sie sollten die Anzahl der Insolvenzen deutlich eindämmen.

Anzahl ist nicht Auswirkung

Bei Insolvenzprognosen ist es zudem absolut wichtig, darauf zu achten, was genau prognostiziert wird. Ist es die absolute Zahl der Insolvenzen, deren Veränderung zum Vorjahr oder gar die Schäden, die durch die Insolvenzen entstehen? Gerade beim Punkt Anzahl vs. Schaden ist wohl klar, dass eine Insolvenz, so tragisch sie für alle Beteiligten ist, unterschiedliche Schäden für die Wirtschaft haben kann. Es ist ein Unterschied, ob ein multinationaler Konzern mit Tausenden von Mitarbeitern insolvent wird oder ein Drei-Mann-Betrieb.

Ein gutes Beispiel hierfür ist das Baugewerbe. Der Bau ist traditionell unter den Branchen, die Coface bewertet, diejenige mit den höchsten Insolvenzzahlen. Alleine 2019 meldeten 2.209 Unternehmen Insolvenz an. Trotzdem ist die Baubranche eine der wenigen Branchen, die Coface aus volkswirtschaftlicher Sicht in Deutschland in den vergangenen Quartalen immer wieder mit dem Prädikat „niedriges Risiko“ bedacht hat. Warum? Die Baubranche in Deutschland besteht aus vielen Klein- und Kleinstbetrieben. Viele Handwerksbetriebe haben nur einen geringen Kapitalstock und wenige Mitarbeiter. Wenn sich hier ein Unternehmer mit einem einzigen Auftrag verhebt, z.B. die Kostenbelastung eines Auftrags falsch einschätzt, führt dies oft zur Insolvenz. Eine solche Insolvenz ist damit unabhängig von der tatsächlichen Entwicklung der Baukonjunktur. Denn diese brummt in den vergangenen Jahren durch die zunehmende Verstädterung und Niedrigstzinspolitik der EZB. Andere Sektoren halten mit der Wirtschaftsaktivität im Bau bei weitem nicht mit. Das führt zu dem Phänomen, dass die Baubranche mit einem Wachstum der Investitionen von 2,9% relativ zum Vorjahr im Durchschnitt zwischen 2016 und 2019 in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung deutlich besser dasteht als das BIP selbst, das im gleichen Zeitraum durchschnittlich nur um 1,8% zum Vorjahr zugelegt hat.

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass Coface eine Prognose zur jährlichen Veränderung von Insolvenzverfahren (ohne Anträge) für die kombinierten Jahre 2020/21 stellt. Dafür erwarten wir einen Anstieg von 12% oder einen neuen Stand von um die 21.000 Insolvenzen zum Jahresende 2021.

Die Anzahl kann einem sehr gering vorkommen, wenn man bedenkt, dass man 2016, in einem, konjunkturell gesehen, guten Jahr, mit 21.518 Unternehmensinsolvenzen ein ähnliches Insolvenzniveau gesehen hat. Es zählt aber nicht die Anzahl alleine, sondern auch das Umfeld. So gibt es derzeit weniger Unternehmen als 2016. Und es kommt auf den Schaden an, der entsteht. Wenn eine Reihe großer Unternehmen insolvent geht, wird das die Branchen und die Wirtschaft selbst nachhaltig verändern und mit großer Wahrscheinlichkeit mit Zeitverzug auch andere Unternehmen zu Fall bringen. Insoweit sollte man sich von der alleinigen Zahl hier nicht täuschen lassen. Denn sie hat es in sich!

 


Autorin

Christiane von Berg, Volkswirtin für Nordeuropa, CofaceChristiane von Berg,
Volkswirtin für Nordeuropa,
Coface

 

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