Die Schonfrist ist verstrichen. Der türkische Präsident sieht den Zinskurs der Zentralbank offenbar zunehmend kritisch. Denn hohe Zinsen bremsen das Wachstum. Doch ein Ende der festen Geldpolitik könnte die Inflation wieder anfeuern.

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Die türkische Wirtschaft hat sich schnell von der Corona-Krise erholt. Bereits im dritten Quartal konnte das reale BIP wieder um 6,7% gegenüber dem Vorjahr zulegen. Im Vorquartal war die Wirtschaftsleistung um 9,9% zurückgegangen. Nimmt man für das vierte Quartal eine Wachstumsrate von 5% an – die Ergebnisse werden am 1. März veröffentlicht –, ergibt sich immerhin für 2020 ein positives Wirtschaftswachstum um gut 1,5%. Für 2021 rechnet der Internationale Währungsfonds mit einer Wachstumsrate von 6%. Damit folgt die Türkei dem Konjunkturverlauf Chinas – um ein Quartal versetzt – und schneidet am Ende fast genauso gut ab.

Zinserhöhung stoppt Währungsverfall

Während in Europa Negativzinsen verdient werden und Kredite bei guter Bonität günstig zu haben sind, liegen die Zinssätze in der Türkei im zweistelligen Bereich. Auch die Verbraucherpreise steigen kräftig. Im Dezember 2020 erreichte die Inflationsrate gegenüber dem gleichen Vorjahresmonat 14,6%. Der Leitzins der Zentralbank (Base rate) wurde an Weihnachten auf 17,00% p.a. erhöht. Naci Agbal, Präsident der türkischen Zentralbank, will den festen Zinskurs beibehalten, um die Inflationsrate unter die Marke von 10% zu senken. Dagegen stellt Staatspräsident Erdogan die hohen Zinsen bereits wieder infrage.

Bereits im vergangenen Jahr war die Geldpolitik auf Betreiben Erdogans stark gelockert worden, um die Wirtschaft in der Corona-Krise zu entlasten. Der Leitzins sank bis Mai 2020 um 3 Prozentpunkte auf 8,25 % p.a. Ab September zog die Zentralbank die Zügel wieder an und reagierte mit kräftigen Zinsschritten um inzwischen knapp 9 Prozentpunkte auf die Abwertung der Türkischen Lira. Diese hatte in der Spitze ein Drittel ihres Vorjahreswertes eingebüßt. Im Januar 2021 betrug der Wertverlust gegenüber Januar 2020 bei einem Kurs knapp über 9 TRY/EUR noch 27%. Anfang Februar notierte der Euro mit 8,76 TRY sogar noch günstiger.

Hohe Investitionen und Handelsdefizit

Ähnlich wie in China war das kräftige Wachstum der türkischen Wirtschaft vor allem auf eine starke Zunahme der Investitionen zurückzuführen. Sie erhöhten sich um 22,5% gegenüber dem Vorjahr. Dagegen gingen die Exporte um 22,4% zurück und die Importe erhöhten sich um 15,8%. Damit baut die Türkei hohe Verbindlichkeiten im Ausland auf, die aus inländischen Erträgen zurückgezahlt werden müssen. Wenn die Landeswährung stark an Wert verliert, verteuert das den Schuldendienst. Aber in Zeiten geringer Nachfrage ist die Bereitschaft groß, Geld in dynamische Volkswirtschaften zu investieren.

Der türkische Außenhandel hat die Corona-Krise relativ glimpflich überstanden. Im Gesamtjahr 2020 sanken die Exporte auf US-Dollar-Basis um 6,3% zum Vorjahr, die Importe erhöhten sich sogar um 4,3%. Der Handelssaldo verschlechterte sich um 69,1% auf knapp 50 Mrd USD. Allerdings war die Entwicklung am aktuellen Rand aus Sicht der Handelsbilanz etwas positiver. Die Exporte stiegen um 16,0%, die Importe nur um 11,6%. Damit könnte der Außenhandel 2021 von der Abwertung der Türkischen Lira profitieren, wenn die Nachfrage in den Absatzmärkten wieder anspringt.

Devisenbedarf muss gedeckt werden

Auf der Finanzierungsseite der Außenwirtschaft zeigt die Türkei erneut ihre Schwachstelle: die Abhängigkeit von Auslandskapital. Denn das nachfragegestützte Wirtschaftswachstum mit seinem hohen Leistungsbilanzdefizit benötigt einen steten Zustrom von Investitionen oder Krediten aus dem Ausland. Die ausländischen Direktinvestitionen verloren 2020 an Bedeutung, sie sanken nach Berechnungen der UNCTAD um 19% auf 6,8 Mrd USD. Auch die Kreditaufnahme wurde nicht erhöht. Daher weist die türkische Zahlungsbilanz in den ersten elf Monaten 2020 einen Rückgang der Währungsreserven um 38,6 Mrd USD aus.

Das Leistungsbilanzdefizit lag bei 35,2 Mrd USD. Zum Vergleich: Im gleichen Vorjahreszeitraum erzielte die Leistungsbilanz einen Überschuss von 9,6 Mrd USD und einen Anstieg der Währungsreserven um 6,9 Mrd USD. Diese Entwicklung kann nicht dauerhaft anhalten, da die Währungsreserven begrenzt sind. Ende Dezember 2020 verzeichnete die türkische Zentralbank Devisenreserven von 48,5 Mrd USD. Die Stabilisierung des Wechselkurses und die positiven Aussichten für die Wirtschaftsentwicklung haben zuletzt im Dezember 2020 zu einem Anstieg um 17,8% geführt. Für die Türkei kommt es nun darauf an, die Inflation und damit den Wechselkurs im Zaum zu halten, die Leistungsbilanz wieder auszugleichen und das Vertrauen der Investoren zu stärken. Die aktuellen politischen Gespräche mit der EU und den USA sowie eine Rückkehr der Touristen nach Abflauen der Pandemie dürften dabei helfen.

Deutschland wichtigster Absatzmarkt

Die Türkei exportiert vor allem Maschinen und Transportausrüstungen (Anteil 2020: 29,4%) sowie verarbeitete Produkte aus verschiedenen Materialien wie Textilien und Metalle (25,5%). Auch Lebensmittel und Tiere (10,3%) sowie Bekleidung (9,0%) sind bedeutende Exportgüter. Besonders die Exporte von Straßenfahrzeugen (Anteil 2020: 12,6%) litten unter der Absatzschwäche und gingen 2020 um 17,7% zurück. Die Bekleidungsexporte sanken um 6,6%. Wichtige Absatzmärkte sind Deutschland (Anteil 2020: 9,4%), Großbritannien (6,6%), die USA (6,0%), der Irak (5,4%) und Italien (4,8%). Während die türkischen Exporte nach Deutschland 2020 um 3,9% und die nach Großbritannien um 0,4% sanken, stiegen sie in Richtung USA um 13,5% an.

Als Lieferländer gewannen 2020 China (Anteil: 10,5%) und Deutschland (9,9%) weiter an Bedeutung. Die türkischen Importe aus China stiegen 2020 um 20,3% gegenüber dem Vorjahr. Deutschland konnte seine Lieferungen nach Angaben der türkischen Behörden um 12,6% steigern. Dagegen gingen die Importe aus Russland (–22,7%), den USA (–2,8%) und Italien (–1,7%) im vergangenen Jahr zurück. Besonders kräftige Zuwächse wiesen die türkischen Importe aus dem Irak (+206,2%) und der Schweiz (+130,2%) auf. Die beiden Lieferländer liegen mit Anteilen von 3,7% bzw. 3,5% auf Rang 6 bzw. 7.

Importe von Inflation geprägt

Schaut man sich die Importentwicklung an, fällt die große Bedeutung von Gold und Straßenfahrzeugen auf. Gold hatte im vergangenen Jahr einen Importanteil von 11,5% und die Bezüge erhöhten sich um 23,5% gegenüber dem Vorjahr. Bei Straßenfahrzeugen betrug der Anteil 6,9% und der Zuwachs 52,3%. Die türkische Bevölkerung deckte sich im vergangenen Jahr offenbar mit werthaltigen Gütern wie Gold und Fahrzeugen ein, um dem Verfall der Kaufkraft zu entgehen. Doch auch industrielle Investitionsgüter waren stark nachgefragt. Insgesamt kam die Warengruppe Maschinen und Transportausrüstungen 2020 auf einen Anteil von 28,5% und verbuchte einen Importanstieg um 19,7%. Mineralische Brennstoffe kamen auf einen Anteil von 5,0%. Ihr Importwert ging um 28,0% zurück.

Ausblick

Die türkische Wirtschaft kann 2021 kräftig wachsen und gleichzeitig die Inflation begrenzen. Dazu bedarf es einer verlässlichen Geldpolitik, die die Inflationserwartungen mit klaren Vorgaben steuert. Dann kann sich auch der Wechselkurs der Türkischen Lira relativ stabil entwickeln. Nimmt man den Trend der vergangenen fünf Jahre als Maßstab, würden der Wechselkurs am Jahresende 2021 bei 10 TRY/EUR und die Inflationsrate bei 15,6% liegen. Gelingt es, die Inflationsrate auf unter 10% zu senken, könnte auch die Türkische Lira an Wert gewinnen und der Wechselkurs zum Euro auf unter 7 TRY sinken – das Kursniveau vor zwölf Monaten.

g.schilling@exportmanageronline.de

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