Wenn der Motor der russischen Wirtschaft nicht rundläuft, spürt das Russlands westlicher Nachbar Weißrussland als Erster. Die südlich davon gelegene Ukraine dagegen zeigt eine deutlich eigenständigere Entwicklung. Beide Länder stehen vor großen politischen wie wirtschaftlichen Herausforderungen – und Russlands eher stagnierende Entwicklung ist dabei nicht gerade hilfreich.

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Reformen bleiben aus, die Binnenkonjunktur kommt nicht in Schwung, und neue US-Sanktionen drohen am Horizont – die russische Wirtschaft bleibt hinter den Erwartungen zurück. Seit dem 1. Januar 2019 hemmt zusätzlich die Anhebung der Mehrwertsteuer von 18% auf 20% die Kaufkraft der Verbraucher. Und nicht zuletzt verteuert die Rubel-Abwertung importierte Konsumgüter, die rund ein Drittel des durchschnittlichen russischen Warenkorbs ausmachen. In Zahlen bedeutet das: Im laufenden Jahr rechnet das Wirtschaftsministerium mit einem Plus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von nur noch 1,3%. Ausländische Direktinvestitionen gehen zurück, die Zentralbank selbst erwartet allein im Jahr 2019 ein Minus von 25 Mrd USD.

Investitionen in die Modernisierung

Angesichts neuer Sanktionsandrohungen hat Russland seine selbstauferlegten Strafmaßnahmen bis Ende 2019 verlängert und reagiert mit verstärkter Importsubstitution. Bestes Beispiel ist die Landwirtschaft: Nachdem Moskau viele Jahre ein Nettoimporteur war, hat es sich nun zu einem Getreideexporteur entwickelt. Doch Getreide allein macht die Staatskassen nicht satt. Die Erfolge bleiben hinter den Erwartungen des Kreml zurück. Präsident Wladimir Putin hat deshalb in den Mai-Dekreten zwölf nationale Entwicklungsziele für seine Amtszeit festgelegt. So sollen beispielsweise private Investitionen, die Digitalisierung der Wirtschaft und die Steigerung der Arbeitsproduktivität für neue Impulse sorgen.

Hoffnung aus Ost und West

Zwar geht auch das zuletzt starke Exportwachstum erkennbar zurück, obwohl die Rubel-Abwertung die Ausfuhren verbilligt und Einfuhren verteuert. Doch einige wichtige Partner sorgen für Hoffnung – Deutschland zum Beispiel, der zweitwichtigste Handelspartner Russlands. Der bilaterale Handel legte 2018 gegenüber dem Vorjahr um 8,4% auf 61,9 Mrd EUR zu. Noch ambitionierter sind die Pläne mit dem größten Handelspartner China. Hier peilt Russland in den kommenden Jahren eine Verdopplung des Handelsumsatzes auf etwa 200 Mrd USD an.

Weißrussland „ausmanövriert“

Das Wachstum der weißrussischen Wirtschaft setzt sich zwar auch 2019 fort, doch der Aufschwung verliert an Fahrt. Der wichtigste Grund dafür ist aber nicht in Minsk zu suchen, sondern in Moskau: in Änderungen bei der Besteuerung des Ölsektors in Russland, die zu Lasten Weißrusslands gehen. Im Rahmen des 2018 beschlossenen „Steuermanövers“ werden die bislang geltenden Exportsteuern auf Erdöl und Erdölprodukte bis 2024 schrittweise durch eine direkte Besteuerung der Förderunternehmen ersetzt. Für Weißrussland bedeutet dies große Einbußen. Denn die Preise für Erdöl aus Russland steigen, gleichzeitig fallen die Einnahmen aus Exportsteuern weg. Nach Schätzungen des Finanzministeriums beläuft sich der daraus resultierende Budgetausfall 2019 auf rund 300 Mio USD. Die möglichen Gesamtverluste bis 2024 bezifferte Staatspräsident Aljaksandr Lukaschenka gar auf 10,5 Mrd USD. Zwar gab es Ende 2018 Verhandlungen über eine Kompensation, doch blieben diese ergebnislos. Angesichts von über 50% des Außenhandelsvolumens, das in den ersten elf Monaten 2018 auf Russland entfiel, war die Abhängigkeit Weißrusslands zum großen Nachbarn zu stark, um effektiv Kontra bieten zu können.

Europa ja – Emanzipation nein

Dennoch ist die weißrussische Wirtschaft 2018 um mehr als 3% gewachsen. Großen Anteil daran haben die hohen Zuwächse im Handel mit der Europäischen Union (+24%). Als besondere Stützen des Wachstums haben sich in den ersten elf Monaten 2018 besonders der Einzelhandel (+8,8%), die Industrieproduktion (+6,1%), die Bauwirtschaft (+5,3%) und der Gütertransport (+4,5%) herauskristallisiert. Da die zyklische Konjunkturerholung ebenso wie das Wachstum in Russland nachlässt, wird sich die Dynamik 2019 und 2020 voraussichtlich abschwächen. Die Eurasische Entwicklungsbank rechnet nur noch mit einem BIP-Zuwachs von 1,6% beziehungsweise 1,9%.

All dies erhöht den Reformdruck im Land. Zuletzt hat die Regierung eine Liberalisierung der Bedingungen für Privatunternehmen sowie Reformen im Steuersystem eingeleitet. Die Visafreiheit wurde im Sommer 2018 von fünf auf 30 Tage verlängert. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die geringe Effizienz der Staatskonzerne, die einen großen Teil der Wirtschaft dominieren, weiteres Wachstumspotential hemmt. Die Zwickmühle: Die riesigen staatlichen Industriezweige zu reformieren würde bedeuten, Tausende von Beschäftigten zu entlassen.

Bringt China die Wende?

Hoffnung bietet dagegen besonders die Belt-and-Road-Initiative Chinas. China wird in Weißrussland in den kommenden beiden Jahren voraussichtlich bis zu 2,5 Mrd USD investieren und das Land zu einem Knotenpunkt der neuen Seidenstraße machen. Kern dieses Plans sind insbesondere Sonderwirtschaftszonen wie der Industriepark Great Stone. 25 km von Minsk entfernt und etwa 100 qkm groß, soll er mit zehnjähriger Steuerfreiheit in mehreren Bauabschnitten bis etwa 2030 realisiert werden, die erste Bauphase auf 350 ha Fläche bereits 2020 fertiggestellt sein. Das weckt das Interesse ausländischer Investoren: Zwei Drittel der Fläche sind laut Projektentwicklungsgesellschaft bereits an Interessenten vergeben – vor allem an chinesische Unternehmen, aber auch an deutsche. Angesiedelt werden sollen Hightechunternehmen, Finanzdienstleister und Logistiker. Diese werden auch davon profitieren, dass sich im Great Stone nach Willen der chinesischen Investoren und der weißrussischen Regierung künftig der gesamte China-Europa-Verkehr bündeln wird. Zusätzlich können über dieses Drehkreuz die Regionen vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer angebunden werden. Davon profitiert Weißrussland; es entstehen aber auch viele Anknüpfungspunkte für deutsche Unternehmen, in der Region Fuß zu fassen.

Ukraine hat die Wahl

Im Gegensatz zu Weißrussland agiert die Ukraine deutlich eigenständiger. Das Land orientiert sich in Richtung Westen und arbeitet äußerst konstruktiv mit der Europäischen Union zusammen. Daran wird auch die Wahl des Präsidenten am 21. April 2019 nichts ändern. Spannend ist die Wahl dennoch: Kann sich der Oligarch Petro Poroschenko bei der Stichwahl als Präsident behaupten? Oder setzt sich mit dem Schauspieler und Filmproduzenten Wolodymyr Selenskyj ein politischer Newcomer durch, der vor allem die Bekämpfung der Korruption zu seinem Wahlkampfthema gemacht hat?

Die Ukraine steht aber nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich vor vielen Herausforderungen. Zwar setzt das Land seinen Erholungskurs fort. Die Nationalbank rechnet dieses Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von 2,5%. Doch das soziale Ungleichgewicht ist hoch und das Wachstumstempo zu niedrig, mehr ausländische Direktinvestitionen wären nötig. Immerhin befinden sich die öffentlichen Finanzen auf Konsolidierungskurs. Die Staatsverschuldung ist 2018 auf 63% des BIP gesunken, nachdem sie im Jahr 2017 noch bei 72% lag. Auch die Ende 2018 wieder aufgenommene Zusammenarbeit mit dem IWF trägt erste Früchte. Die Währungsreserven sind auf einen mehrjährigen Höchststand gestiegen, der Wechselkurs ist stabil.

Aushängeschilder der Wirtschaft sind der rasant wachsende IT-Sektor und erneuerbare Energien. Immer mehr ausländische Firmen investieren in den Bau von Wind- und Solarparks. Auch zahlreiche Kfz-Zulieferer, insbesondere aus Deutschland, haben in den vergangenen Jahren Werke vor allem in der Westukraine eröffnet. Schon heute stehen Kfz-Teile und Kfz-Elektronik für rund ein Viertel der ukrainischen Exporte nach Deutschland.

Fazit

Ob nah am großen Bruder oder eher mit Blickrichtung Europa: Russlands westliche Nachbarn befinden sich im Wandel. Die Herausforderungen sind groß, doch groß sind auch die Potentiale. Und das besonders für ausländische Investoren, die mit der entsprechenden Beratung und Expertise diese Potentiale heben können.

hans-joerg.krohn@commerzbank.com

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