Das Hanseatische OLG hat dem EuGH die aus seiner Sicht entscheidungserheblichen Fragen zur Auslegung der EU-Blocking-Verordnung vorgelegt. Die zu erwartenden Antworten des EuGH werden unter anderem auch in diversen ähnlich gelagerten Verfahren beachtet werden, die derzeit bei nationalen Gerichten anhängig sind.

Kürzlich haben das Oberlandesgericht (OLG) Köln und das Hanseatische Oberlandesgericht (HansOLG) Hamburg im Zusammenhang mit Iran-Sanktionen zwei konträre Entscheidungen zur EU-Blocking-Verordnung gefällt. Das HansOLG hat nunmehr den Europäischen Gerichtshof (EuGH) angerufen.

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Das HansOLG hat mit Beschluss vom 2. März 2020 (Az. 11 U 116/19) dem EuGH vier Fragen zur Auslegung der EU-Blocking-Verordnung – d.h. der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen in der Fassung der Delegierten Verordnung (EU) 2018/1100 – vorgelegt. In dem Ausgangsverfahren vor dem HansOLG streiten die Parteien um die Beendigung von Verträgen aufgrund vermeintlich drohender US-Sekundärsanktionen gegen den Iran.

In einem kurz zuvor vom OLG Köln mit Urteil vom 7. Februar 2020 (Az. 19 U 118/19) entschiedenen ähnlich gelagerten Fall hatte das nordrhein-westfälische Gericht indes keine Zweifel hinsichtlich der Wirksamkeit einer ordentlichen, nicht begründungspflichtigen Kündigung eines bestehenden Vertragsverhältnisses ohne zielgerichtete Einflussnahme seitens der US-Behörden auf den handelnden EU-Wirtschaftsteilnehmer.

Das HansOLG teilt die Rechtsauffassung des OLG Köln nicht und hat nunmehr den EuGH angerufen. Die zu erwartende Entscheidung des EuGH hat grundsätzliche Bedeutung für andere vergleichbare Verfahren, die derzeit insbesondere vor deutschen Gerichten geführt werden.

Klägerinnen wenden sich gegen Vertragskündigungen durch Telekommunikationsdienstleister

Dem vom HansOLG zu entscheidenden Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Beklagte, eine Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom AG, kündigte Verträge mit der Klägerin, einer iranischen Bank mit Zweigniederlassung in Hamburg. Die Klägerin ist auf einer US-Sanktionenliste gelistet, nämlich der SDN-Liste (Specially Designated Nationals and Blocked Persons List) des OFAC (Office of Foreign Assets Control), das dem US-Finanzministerium untersteht. Die Bank klagte daraufhin beim Landgericht (LG) Hamburg und begehrte, die Beklagte zu verurteilen, sämtliche vertraglich vereinbarten Leitungen freigeschaltet zu lassen. Dies begründete die Klägerin damit, dass die von der Beklagten ausgesprochene ordentliche Kündigung gegen Art. 5 der Blocking-Verordnung verstoße und deshalb unwirksam sei. Das Recht zur ordentlichen, d.h. fristgebundenen, aber grundlosen Kündigung der Verträge der Parteien ergibt sich aus den Allgemeinen Lieferbedingungen der Beklagten. Das LG Hamburg erachtete die ordentliche Kündigung in erster Instanz als rechtmäßig. Nun hat das HansOLG in der Berufung erneut zu entscheiden.

In dem Verfahren vor dem OLG Köln ging es ebenfalls um die Frage der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung mehrerer Telekommunikationsdienstverträge mit einer deutschen Tochtergesellschaft eines iranischen Metallkonzerns. Diese klagte gegen die Kündigung – und verlor in zwei Instanzen. Das OLG Köln hielt die Berufung der Klägerin für unbegründet: Die ordentliche Kündigung sei wirksam und insbesondere nicht wegen Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 Blocking-Verordnung nichtig.

EU-Blocking-Verordnung soll extraterritoriale US-Sanktionen abwehren

Zum Hintergrund: Die Europäische Union hat mit der EU-Blocking-Verordnung eine Abwehrmaßnahme ergriffen, um der extraterritorialen Ausdehnung insbesondere des US-Sanktionsrechts entgegenzuwirken. Als EU-Verordnung entfaltet sie in Deutschland unmittelbare Geltung. Art. 5 Abs. 1 statuiert insbesondere das Verbot, extraterritorialen Iran-Sanktionen der USA nachzukommen.

Nachdem die USA im Jahr 2018 das Iran-Abkommen vom 14. Juli 2015 (Joint Comprehensive Plan of Action – JCPOA) aufgekündigt hatten, traten die ursprünglichen US-Sanktionen wieder in Kraft. Seitdem ist etwa auch die Klägerin in dem vor dem HansOLG anhängigen Verfahren auf der SDN-Liste gelistet. Teil des Sanktionsregimes sind sog. Sekundärsanktionen (Secondary Sanctions), die Nicht-US-Bürgern jegliche Geschäfte mit auf der SDN-Liste gelisteten iranischen Personen und Unternehmen verbieten. Dieser extraterritoriale Geltungsanspruch des US-Sanktionsrechts wird von der EU als völkerrechtswidrig abgelehnt und insbesondere mittels der Blocking-Verordnung bekämpft.

Vorlagefragen des HansOLG an den EuGH

Die Entscheidung des Rechtsstreits beim HansOLG hängt von der Auslegung des Art. 5 Abs. 1 Blocking-Verordnung (VO) ab. Da es sich um ein Gesetz der EU handelt, über das der EuGH Auslegungshoheit hat, hat der 11. Senat mit dem obengenannten Beschluss das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH vier Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

  1. Findet Art. 5 Abs. 1 VO nur dann Anwendung, wenn an den handelnden EU-Wirtschaftsteilnehmer im Sinne von Art. 11 VO seitens der Vereinigten Staaten von Amerika direkt oder indirekt behördliche oder gerichtliche Anweisungen ergangen sind, oder genügt es für die Anwendung, dass das Handeln des EU-Wirtschaftsteilnehmers auch ohne solche Anweisungen darauf gerichtet ist, Sekundärsanktionen zu befolgen?

Hintergrund der ersten Frage des HansOLG ist das obengenannte Urteil des OLG Köln vom 7. Februar 2020. Das OLG Köln vertritt darin die Rechtsauffassung, Art. 5 Abs. 1 Blocking-Verordnung sei nicht anwendbar, wenn noch keine Anweisungen seitens der USA an den handelnden EU-Wirtschaftsteilnehmer ergangen seien. Das HansOLG teilt diese Auffassung nicht, sondern hält allein die Existenz der Sekundärsanktionen für ausreichend.

Das OLG Köln führt in seinem Urteil aus, das in Art. 5 Abs. 1 Blocking-Verordnung enthaltene Verbot ziele lediglich darauf ab, drittländischen Rechtsakten und Maßnahmen (Rechtsakten, Entscheidungen, Urteilen, Schiedssprüchen oder Ähnlichem) die Wirkung zu versagen. Mithin beinhalte Art. 5 Abs. 1 Blocking-Verordnung ein Befolgungsverbot von administrativen, legislativen oder judikativen US-amerikanischen Akten direkter und indirekter Art. Nach Auffassung des OLG Köln ergeben sich aus dem Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Verordnung keine Anhaltspunkte dafür, dass auch eine ordentliche Kündigung innerhalb eines bestehenden privatrechtlichen Vertragsverhältnisses unwirksam oder nichtig sei, soweit keine seitens der USA direkt oder indirekt ergangene behördliche oder gerichtliche Anweisung an einen EU-Wirtschaftsteilnehmer zugrunde liegt. Wenn sich ein EU-Wirtschaftsteilnehmer ohne Aufforderung seitens der US-Behörden oder eines US-Gerichts entschließt, keine geschäftlichen Beziehungen mehr zum Iran zu unterhalten, und er dies mit einer geschäftspolitischen Entscheidung des Unternehmens begründet, so liegt darin nach Auffassung des OLG Köln kein Verstoß gegen das in Art. 5 Abs. 1 normierte Verbot der Befolgung des US-Rechts.

  1. Sollte der Gerichtshof Frage 1 im Sinne der zweiten Alternative beantworten: Steht Art. 5 Abs. 1 VO einem Verständnis des nationalen Rechts dahingehend entgegen, dass es dem Kündigenden möglich ist, auch jedwede Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses mit einem Vertragspartner, der vom US-amerikanischen Office of Foreign Assets Control (OFAC) auf der Specially-Designated-Nationals-Liste (SDN) geführt wird – und damit auch eine Kündigung mit der Motivation, US-Sanktionen zu befolgen – auszusprechen, ohne dass es hierfür eines Kündigungsgrundes bedürfte und deshalb ohne dass er in einem Zivilprozess darzulegen und zu beweisen hätte, dass der Grund für den Ausspruch der Kündigung jedenfalls nicht sei, US-Sanktionen zu befolgen?

Das Recht zur ordentlichen Kündigung setzt keinen Kündigungsgrund voraus. Die Beklagte in dem beim HansOLG anhängigen Verfahren sowie auch mehrere deutsche Gerichte meinen, hieran ändere Art. 5 Abs. 1 Blocking-Verordnung nichts, denn die Vorschrift lasse die unternehmerische Freiheit, jederzeit Geschäftsbeziehungen zu beenden. So führt auch das OLG Köln im vorgenannten Urteil aus, nach dem Regelungsgehalt der Blocking-Verordnung sei es EU-Wirtschaftsteilnehmern unbenommen, Geschäftstätigkeiten mit dem Iran durch eine nach deutschem Recht begründungslos wirksame ordentliche Kündigung zu beenden. Anhaltspunkte für eine Begründungspflicht und „Motivkontrolle“ erkennt das OLG Köln nicht.

Dem HansOLG hingegen erscheint eine Auslegung sinnvoller, nach der eine Kündigung, deren ausschlaggebendes Motiv es ist, die US-Sanktionen zu befolgen, gegen Art. 5 Abs. 1 Blocking-Verordnung verstößt. Beruht die Handlung dagegen auf rein wirtschaftlichen Erwägungen ohne konkreten Bezug zu den Sanktionen, verstoße sie nicht gegen Art. 5 Abs. 1 der Verordnung, da andernfalls niemals Geschäftsbeziehungen zu Geschäftspartnern im Iran beendet werden könnten.

Als Konsequenz aus dieser Sichtweise müsste die Beklagte in dem beim HansOLG anhängigen Verfahren ausnahmsweise ihre Motive für die Kündigung erläutern oder jedenfalls darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass die Entscheidung, den Vertrag zu beenden, nicht deshalb getroffen wurde, weil andernfalls Nach-teile auf dem US-Markt befürchtet werden.

  1. Sollte der Gerichtshof Frage 2 bejahen: Ist eine ordentliche Kündigung, die gegen Art. 5 Abs. 1 VO verstößt, zwingend als unwirksam anzusehen, oder ist dem Zweck der Verordnung auch mit anderen Sanktionen, beispielsweise der Verhängung eines Bußgeldes, genügt?

Das HansOLG ist der Auffassung, dass eine Kündigung, die gegen Art. 5 Abs. 1 Blocking-Verordnung verstößt, unwirksam ist. Im deutschen Zivilrecht ergebe sich dies aus § 134 BGB. Allerdings regelt Art. 9 Blocking-Verordnung, dass jeder EU-Mitgliedstaat wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für den Fall einer Zuwiderhandlung gegen einschlägige Vorschriften der Verordnung festlegt. Die Bundesrepublik Deutschland hat mit § 82 Abs. 2 Satz 1 der Außenwirtschaftsverordnung i.V.m. § 19 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 6 Außenwirtschaftsgesetz einen Verstoß gegen Artikel 5 Abs. 1 Blocking-Verordnung als Ordnungswidrigkeit qualifiziert und mit einem Bußgeld von bis zu 500.000 EUR bewehrt. Das HansOLG meint, angesichts der drohenden wirtschaftlichen Schäden für die Beklagte bei Ausschluss vom US-Markt könnte es als unverhältnismäßig anzusehen sein, sie an der Beendigung der Vertragsbeziehung zur Klägerin zu hindern, statt ihr (nur) ein Bußgeld aufzuerlegen.

  1. Sollte der Gerichtshof Frage 3 im Sinne der ersten Alternative beantworten: Gilt dies in Ansehung von Art. 16 und Art. 52 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf der einen und der Möglichkeit der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen nach Art. 5 Abs. 2 VO auf der anderen Seite auch dann, wenn dem EU-Wirtschaftsteilnehmer mit der Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung zum gelisteten Vertragspartner erhebliche wirtschaftliche Verluste auf dem US-Markt drohen (hier: 50% des Konzernumsatzes)?

Nach dem Verständnis des HansOLG führt das Verbot der Befolgung von Sekundärsanktionen zu einem Dilemma für EU-Wirtschaftsteilnehmer wie der dortigen Beklagten, deren Schutz die Blocking-Verordnung nach ihrer Präambel dienen soll. Befolgen sie das EU-Recht, droht ihnen der Ausschluss vom US-Markt, befolgen sie die Sanktionen, verstoßen Sie gegen EU-Recht. Vor diesem Hintergrund hat das HansOLG Zweifel, dass im Fall der Gefahr erheblicher wirtschaftlicher Einbußen auf dem US-Markt ein generelles Verbot, sich zur Abwehr dieser Gefahren von einem – wirtschaftlich zudem unbedeutenden – Geschäftspartner zu trennen, mit der von Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geschützten unternehmerischen Freiheit und dem in Art. 52 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist.

Fazit

Das Urteil des OLG Köln ist rechtskräftig – die dortige Klägerin hat nicht den vom OLG Köln zugelassenen Weg der Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) beschritten. Eine höchstrichterliche Entscheidung durch den BGH zur Frage der Unwirksamkeit einer ordentlichen, nicht begründungspflichtigen Kündigung eines bestehenden Vertragsverhältnisses wegen Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 Blocking-Verordnung steht damit weiterhin aus. Der Anregung der dortigen Klägerin, das Verfahren auszusetzen und eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen, war das OLG Köln nicht gefolgt mit der Begründung, es habe als nichtletztinstanzliches Gericht keinen Anlass zur Vorlage an den EuGH, insbesondere habe es keine vernünftigen Zweifel an der Auslegung der in Rede stehenden unionsrechtlichen Vorschriften.

Das HansOLG hat hingegen beschlossen, den EuGH bereits in diesem Verfahrensstadium anzurufen und ihm die aus seiner Sicht entscheidungserheblichen Fragen zur Auslegung der EU-Blocking-Verordnung vorzulegen. Dieses EuGH-Verfahren ist von grundlegender Bedeutung. Wie der EuGH entscheiden wird, bleibt abzuwarten. Die Auslegungsentscheidungen des EuGH sind für die Gerichte der EU-Mitgliedstaaten bindend. Die zu erwartenden Antworten des EuGH werden daher unter anderem auch in diversen ähnlich gelagerten Verfahren beachtet werden, die derzeit bei nationalen Gerichten anhängig sind.

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