Die starke Zunahme der verspäteten Zahlungen und das hohe Volumen der Zahlungsausfälle lassen den Ernst der Lage in vielen Unternehmen erahnen. Das Forderungsrisiko ist für sie erheblich gestiegen

Die Coronapandemie hat die Unternehmen der osteuropäischen Staaten ebenso wie die ihrer Nachbarländer hart getroffen. Das hat Auswirkungen auf das Zahlungsverhalten im Firmengeschäft und die Liquidität der Firmen. Unternehmen müssen reagieren, um ihren Cashflow aufrechtzuerhalten.

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Einmal im Jahr befragt Atradius mehr als 1.400 osteuropäische Firmen aus dem produzierenden Gewerbe, dem Großhandel, dem Einzelhandelsvertrieb und dem Bereich Dienstleistungen. Untersucht wird, wie sich die Zahlungsbedingungen, Zahlungsverzögerungen, Geschäfte mit Lieferantenkrediten und DSOs (Days Sales Outstanding, Forderungslaufzeit in Tagen) in den vergangenen Monaten im Firmengeschäft entwickelt haben.

Verspätete Zahlungen und Forderungsausfälle massiv gestiegen

Die Ergebnisse des aktuellen Zahlungsmoralbarometers aus dem Herbst 2020 zeigen: Die Schutzmaßnahmen in der Coronapandemie haben auch die befragten Firmen in Osteuropa erheblich getroffen und zu teils massiven Beeinträchtigungen ihrer Liquidität geführt. So waren zuletzt durchschnittlich 45% ihrer Forderungen am Fälligkeitstermin noch offen – das sind fast doppelt so viele wie vor dem Pandemieausbruch (24%).

Die starke Zunahme der verspäteten Zahlungen und das hohe Volumen der Forderungen, die nur noch als Zahlungsausfall verbucht werden konnten (plus 6% nach 1% laut der Vorjahresbefragung), lassen den Ernst der Lage in vielen Unternehmen erahnen. Das Forderungsrisiko ist für sie erheblich gestiegen – und damit auch die Gefahr, dass sie selbst ihren Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen und in eine Folgeinsolvenz geraten können. In Ländern wie Rumänien (8%) oder der ­Türkei lagen die Abschreibungen – wenn auch nur leicht – über dem osteuropäischen Durchschnitt von 6%.

Die derzeit hohe durchschnittliche Forderungslaufzeit (DSO) von 103 Tagen ist ein weiteres Indiz dafür, wie stark sich die Coronapandemie auf die Zahlungsströme in den Unternehmen auswirkt. Je höher der DSO-Wert, desto höher fallen die Kosten für die Aufrechterhaltung der Liquidität in den Industrien aus.

Infolge der zunehmenden Zahlungsverzüge und -ausfälle haben Unternehmen verschiedene Maßnahmen eingeleitet, um ihre Liquidität zu sichern und die eigene Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden. So gaben mehr als 40% der befragten Firmen an, Zahlungen an ihre Lieferanten zurückzuhalten oder zu verzögern, um nicht selbst in eine finanzielle Schieflage zu geraten. Knapp ein Drittel sah nur den Ausweg über Stellenstreichungen bzw. Einstellungsstopps, was sich aber am Ende wieder negativ auf den Konsum sowie die Einnahmensituation in den Unternehmen auswirkt. Spitzenreiter beim Umsatzrückgang waren die bulga­rischen Firmen, 70% von ihnen verbuchten laut der Studie weniger Einkünfte. Insgesamt gaben rund zwei von drei Befragungsteilnehmern an, seit den Coronamaßnahmen weniger Umsätze zu generieren.

Lieferantenkredite in Südosteuropa weiterhin beliebt

Die Summe aller Geschäfte, bei denen ein Lieferantenkredit gewährt wird, ist trotz der zunehmenden Unsicherheiten in den vergangenen Monaten signifikant gestiegen. Die osteuropäischen Lieferanten gewährten ihren Geschäftspartnern aus unterschiedlichen Gründen eine temporäre Stundung der Rechnungsbeträge: 64% der befragten Kleinstunternehmen nutzten dieses kurzfristige Kreditangebot an ihre Abnehmer zur Verkaufsförderung. Im Branchenvergleich wandten insbesondere Großhandelsunternehmen und das verarbeitende Gewerbe diese Maßnahme zur Verbesserung ihrer Verkaufszahlen an. 43% der Dienstleistungsunternehmen gewährten wiederum Zahlungsziele, um die Liquidität ihrer Abnehmer zu ver­bessern

Gleichzeitig sind sich viele Firmen in Osteuropa aber auch der zunehmenden Unsicherheiten bewusst: Mehr als ein Drittel der Befragten lehnte Lieferantenkredite ab, wenn es zu wenige Informationen über ihren Abnehmer gab. Bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen waren es sogar 39%. Im Branchenvergleich verweigerten 38% der Einzelhandelsunternehmen aus diesen Grund Lieferantenkredite.

Forderungsausfälle werden zunehmend abgesichert

Zur Absicherung ihrer Forderungen haben 57% der Studienteilnehmer in Osteuropa eine Forderungsausfallversicherung genutzt. Zudem planen zahlreiche befragte Firmen für das kommende Jahr, ihre Forderungen mit einer Kreditversicherung abzusichern – dies in vielen Fällen auch unter der Annahme, dass der Höhepunkt der Krise noch nicht erreicht ist. So gehen 22% aller osteuropäischen Studienteilnehmer von einer Verschlechterung der Kreditwürdigkeit ihrer Geschäftspartner in den kommenden Monaten aus. Mit einer Forderungsabsicherung können sich die Unternehmen auf profitable Geschäfte konzentrieren, da durch den Abschluss einer Kreditversicherung mögliche Zahlungsausfälle in der Regel ersetzt werden.

Forderungsrisiko steigt in den kommenden Monaten weiter an

Das aktuelle Zahlungsmoralbarometer zeigt, dass die Unternehmen in Ost- und Südosteuropa sich der Gefahr steigender Zahlungsausfälle durchaus bewusst sind und versuchen, sich bei höheren Risiken durch mehr Lieferantenkredite gegen mögliche Rückschläge abzusichern. Auch wenn die staatlichen Hilfspakete in vielen Ländern die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise in vielen Branchen abfedern, steigt das Insolvenzrisiko weiter. Die Coronakrise lässt den Zahlungseingang nach erbrachter Leistung für Lieferanten und Dienstleister immer unsicherer werden. Dies wirkt sich erheblich auf die Liquidität der Firmen aus und wird immer mehr zu einer Gefahr für ihre eigene unternehmerische Existenz.

Ausblick in die Zukunft nicht überall gleich verhalten

Immerhin: Die Befragten in der Balkan-Region empfinden die Situation ihrer Wirtschaft im Durchschnitt als besser als die in anderen Regionen in der Welt. Die Studie zeigt, dass in vielen Unternehmen eine gewisse Zuversicht für eine wirtschaftliche Erholung im Jahr 2021 besteht. Besonders optimistisch gaben sich die befragten türkischen und ungarischen Firmen. Sie sahen die geringsten Auswirkungen in Bezug auf die Entwicklung ihrer Einnahmensituation und ihrer Liquidität unter allen befragten Studienteilnehmern. Bulgarien und Rumänien waren dagegen weniger optimistisch und sahen im Ländervergleich die stärksten negativen Auswirkungen auf ihren zukünftigen Geldfluss.

In der aktuell unsicheren Phase fährt man mit einer ausgewogenen Forderungsmanagementstrategie am besten, bei der man seine Geschäftspartner genau auswählt und Außenstände ausreichend absichert.

Sie finden die gesamten Studienergebnisse für West- und Osteuropa sowie einen statistischen Anhang mit allen Grafiken kostenlos zum Download auf www.atradius.de.

thomas.langen@atradius.com

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