Die Nutzung des TIR-Verfahrens (Transports Internationaux Routiers) in Russland stellt ausländische Transporteure in letzter Zeit
vor Herausforderungen. So fordert die russische Zollverwaltung seit September 2013 neben dem Zolldokument Carnet TIR eine zusätzliche Sicherheit. Nun hat Russland die Vereinbarung mit dem nationalen Garantieverband ASMAP wenige Tage vor ihrem Auslaufen verlängert und damit die Anwendbarkeit des TIR-Verfahrens bis Ende Juni 2015 gesichert.

Dr. Lothar Harings, Rechtsanwalt und Partner, Graf von Westphalen und Adrian Loets, LL. M., Rechtsanwalt, Graf von Westphalen

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Das 1959 ins Leben gerufene TIR-Verfahren ist für die deutsche und europäische Exportwirtschaft von erheblicher praktischer Bedeutung. Mit dem internationalen Versandverfahren können Waren zwischen den Vertragsstaaten des TIR-Übereinkommens vom 14. November 1975 zollfrei durchgeführt und unter vereinfachter Zollabfertigung befördert werden.

Bei der Überführung der Ware in das TIR-Verfahren im Abgangsland wird das internationale Zolldokument Carnet TIR ausgestellt. Der Fahrer bzw. die Fahrerin des Lastzuges führt die Ware unter Vorlage des Zolldokuments unterwegs an den jeweiligen Eingangs- und Durchgangszollstellen vor, wo allerdings nur eingeschränkte Prüfungen, vor allem der Gültigkeit des Carnet TIR und der Zollverschlüsse, stattfinden. Zugleich fungiert das Carnet TIR als Nachweis über die Sicherheitsleistung.

Zu den 68 Vertragsparteien, von denen 58 das Abkommen derzeit anwenden, zählen die Europäische Union (EU), ihre Mitgliedsstaaten und seit 1982 auch die Russische Föderation.

Die künftige Anwendbarkeit des Ver­sandverfahrens Carnet TIR im Warenverkehr mit Russland erschien allerdings zuletzt ungewiss, nachdem Ende Februar 2015 die Bürgschaftsvereinbarung mit dem russischen Garantieverband ASMAP auszulaufen drohte. Gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. b) des TIR-Übereinkommens von 1975 ist eine entsprechende Sicherheit Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Carnet-Verfahrens. Der Bürgschaft kommt eine zentrale Rolle zu, weil der Bürgschaftsverband gemäß Art. 8 Abs. 1 des TIR-Übereinkommens für eventuelle Zollschulden aufgrund von Unregelmäßigkeiten während des Versandverfahrens einsteht. Nur wenige Tage vor Auslaufen der alten ­Vereinbarung verlängerte der Föderale Zolldienst der Russischen Föderation (FCS RF) schließlich die Garantievereinbarung, wenn auch nur bis zum 30. Juni 2015.

Bereits zuvor hatte die russische Regierung mit der Forderung einer zusätzlichen Sicherheit neben dem Carnet TIR für Aufsehen gesorgt. Nach Angaben des Deutschen Speditions- und Logistikverbands (DSLV) wird seitdem für Einfuhren an 95% der russischen Zollämter eine zusätzliche Sicherheit verlangt. Einzig bei der Einfuhr über die Zollbezirke Vyborg, Karelien und Murmansk der Zollverwaltung Nord-West kann das Carnet TIR ohne zusätzliche Sicherheit benutzt werden. Bereits dies weckte Zweifel an der Zukunft des Verfahrens in Russland – schließlich dient das Carnet TIR nicht nur als Zolldokument, sondern gerade auch als Beleg über eine ausreichende Sicherheitsleistung.

Deutliche Kritik am TIR-Verfahren durch Russlands Zollchef

Auf einer Informationsveranstaltung am 24. März 2015 vor Mitgliedsunternehmen des DSLV in den Räumen des russischen Konsulats in Bonn erneuerte der Leiter des FCS RF, Andrey Belyaninov, seine Kritik am gegenwärtigen TIR-System. Durch das in Papierform geführte Carnet TIR sei das System ineffizient, teuer und nicht mehr zeitgemäß. Mittlerweile stünden kostengünstigere elektronische Systeme zur Verfügung, die sich für den Straßengüterverkehr besser eigneten. Russland strebe deshalb die Einführung eines elektronischen Sicherungssystems an und werde dieses auch im Zuge der Neuausschreibung für einen geeigneten Garantieverband berücksich­tigen. Solche Systeme verwende man bereits im Straßengüterverkehr mit den Mitgliedern der von Russland initiierten Eurasischen Zollunion. Ähnliche Systeme wolle man in Zukunft auch für den Transport aus anderen Ländern anwenden.

Die Verlängerung des Garantievertrages in „letzter Minute“ und die harsche Kritik des obersten russischen Zöllners tragen nicht unbedingt zur Vertrauensbildung bei. Allerdings könnte die Diskussion auch neuen Schwung in die zuletzt äußerst schleppenden Fortschritte bei der Einführung des elektronischen Carnet-TIR-Verfahrens bringen. Bereits im Jahr 2003 hatte die mit der Verwaltung des TIR-Übereinkommens von 1975 betraute Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE) ein entsprechendes Projekt unter dem Namen „eTIR“ ins Leben gerufen. Neben einer Vereinfachung des Versands verspricht man sich auch verbesserte Möglichkeiten der Risikoanalyse und des Vorgehens gegen Zollbetrügereien. Die Transportwirtschaft dürfte ebenfalls von einer zügigeren und unkomplizierteren Bearbeitung, wie sie im innereuropäischen Verkehr bereits Standard ist, profitieren.

Ein flächendeckendes elektronisches TIR ist weit entfernt

In der Tat hat sich in letzter Zeit wenig beim eTIR bewegt: Im Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) findet zwar seit dem 1. Januar 2009 die elektronische Datenübermittlung über das New Computerized Transit System (NCTS) statt. Im Verkehr mit Drittstaaten wie Russland sind die Formalitäten an den Durchgangs- bzw. Bestimmungszollstellen dagegen nach wie vor ausschließlich auf dem Papierdokument vorzunehmen. Bis zur Einführung eines flächendeckenden Systems ist es noch ein weiter Weg. Noch immer wird auf „Arbeitsebene“ in der dem UNECE-Verwaltungsrat vorgeschalteten Arbeitsgruppe für Zollfragen des Verkehrs („Working Party.30“) an einem „Referenzmodell“ des eTIR gearbeitet. Die aktuellste Version 4.1a wurde nach der jüngsten Sitzung im Februar 2015 in Genf herausgegeben. Erst nach Abschluss dieses Prozesses kann der für die Einführung notwendige Änderungsprozess des TIR-Übereinkommens durch den UNECE-Verwaltungsrat initiiert werden (vgl. Art. 59 TIR-Übereinkommen).

Iranisch-türkisches Pilotprojekt könnte demnächst starten

Fortschritte gibt es dagegen bei der Erprobung einzelner Elemente des eTIR in drei Pilotprojekten zwischen Italien und der Türkei, der Türkei und dem Iran und zwischen Georgien und Kirgistan. Das türkisch-italienische Pilotprojekt betrifft etwa den elek­tronischen Austausch zwischen den Zollbehörden zur Risikoanalyse sowie eine automatische Überprüfung der Bürgschaften durch den türkischen Garantieverband TOBB. Am weitesten wird das iranisch-türkische Projekt gehen, das in einem eng begrenzten Rahmen eine vollkommen papierlose Abwicklung testen soll. Auch dieses Projekt ist noch nicht angelaufen, allerdings haben sich UNECE und die International Road Transport Union (IRU) am 24. März 2015 in einem nicht veröffentlichten Memorandum of Understanding (MoU) über die Zusammenarbeit zwischen den beiden Organisationen an diesem Pilotprojekt verständigt. Ein genauer Starttermin steht aber noch nicht fest.

Weitere Verlängerung der russischen Garantievereinbarung wahrscheinlich

Obwohl die Einführung des eTIR noch auf sich warten lassen wird, ist nicht damit
zu rechnen, dass Russland seine Beteiligung am TIR-Verfahren auslaufen lassen wird. Ungeachtet seiner altmodisch anmutenden Form ist das TIR-Verfahren eine Erfolgsgeschichte und bleibt für den internationalen Warenverkehr unverzichtbar. Mit derzeit 68 Unterzeichner- bzw. 58 aktiven Anwenderstaaten ermöglicht das TIR-Verfahren zollfreie Durchfuhren in einer Vielzahl von Staaten in Europa, Asien, Nordafrika und dem Nahen und Mittleren Osten. Auch Herr Belyaninov beeilte sich, nicht das nahende Ende des Carnet-TIR-Verfahrens in Russland herbeizubeschwören: In Zukunft werde eine Anwendung des Carnet-TIR-Verfahrens in Russland weiterhin möglich sein. Allerdings werde es daneben alternative Sicherungssysteme geben, die insbesondere beim Versand von höherwertigen Waren angewendet werden sollen. Die Forderung einer zusätzlichen Sicherheit ist bislang nicht offiziell zurückgenommen worden, wird aber laut DSLV jedenfalls bei Einfuhren nach Russland über Weißrussland oder Kasachstan im Augenblick nicht mehr verlangt. Es muss bei der Nutzung des TIR-Verfahrens in Russland also weiter mit Komplikationen und Überraschungen gerechnet werden.

Kontakt: l.harings[at]gvw.com ; a.loets[at]gvw.com

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