Im Exklusivinterview mit dem „ExportManager“ spricht Aroni Chaudhuri, Coface-Volkswirt für Afrika, über die ökonomische Entwicklung der Länder im südlichen Afrika, den Einfluss geopolitischer Verschiebungen auf diese Region sowie die spezielle Situation in Südafrika.

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Herr Chaudhuri, in unserer aktuellen „ExportManager“-Ausgabe liegt der Schwerpunkt auf dem südlichen Afrika: Welche spezifischen Herausforderungen prägen derzeit die ökonomische Entwicklung in der Region?

Aroni Chaudhuri: Abgesehen von Südafrika sind die meisten Länder im südlichen Afrika weiterhin stark von der Landwirtschaft, dem Tourismus und vom Bergbau abhängig. Das gilt z.B. für Angola mit Erdöl, Botswana mit Diamanten, Sambia mit Kupfer und Mosambik mit Kohle, Aluminium und Flüssigerdgas. Diese Länder sind strukturell anfällig für Schwankungen der Rohstoffpreise und Klimaschocks. Davon abgesehen bestehen erhebliche Ungleichgewichte in der Wirtschaftsstruktur, die das Entwicklungspotenzial dieser Länder derzeit einschränken. Hierzu gehören größere Lücken in der Infrastruktur, v.a. im Energie- und Verkehrsbereich, die die Produktion, Logistik, aber auch schlicht die Mobilität der Arbeitskräfte einschränken.

Wie steht es um das Wirtschaftswachstum in diesen Ländern?

Das Wirtschaftswachstum hinkt dem Bevölkerungswachstum deutlich hinterher, weshalb nicht genügend Arbeitsplätze für die Bevölkerung geschaffen werden. Das führt zu hoher Arbeitslosigkeit, die wiederum Ungleichheit und Armut verstärkt. Auch die öffentlichen Finanzen bereiten vielerorts Sorgen. Die Staatseinnahmen sind zu gering und hängen stark vom Export ab, während hohe Lohnkosten im öffentlichen Dienst und ineffiziente Staatsunternehmen die Ausgabenseite belasten. Dadurch fehlt es an Mitteln für Investitionen in Infrastruktur und den Sozialstaat.

Sie haben die starke Abhängigkeit von der Rohstoffgewinnung angesprochen. Wie beurteilen Sie die Fortschritte bei der Diversifizierung der Volkswirtschaften in der Region?

Auch hier muss man Südafrika, das eine deutlich weiter entwickelte Volkswirtschaft ist, außen vor lassen. Ich würde für die Gesamtregion sagen, dass die Fortschritte trotz erheblicher Bemühungen eher langsam verlaufen. Dennoch stechen einige Länder positiv heraus. Namibia z.B. verfügt über einen gut entwickelten Finanzsektor, der ausreichend kapitalisiert, profitabel und durch ein solides regulatorisches Rahmenwerk abgesichert ist. Tansania baut derzeit eine industrielle Basis auf, insb. in den Bereichen industriell verarbeitete Agrarprodukte, Holzverarbeitung, Chemie, Textil/Bekleidung und Papier. Diese Entwicklung profitiert auch vom starken Wachstum benachbarter ostafrikanischer Länder wie Uganda und der Demokratischen Republik Kongo. Zudem verfügt Tansania über einen dynamischen Dienstleistungssektor im Bereich Transport und Logistik, da sich das Land zu einem wichtigen Knotenpunkt und Zugangstor zum Indischen Ozean entwickeln möchte.

Dennoch besteht in der Region weiterhin großes Wachstumspotenzial für wirtschaftliche Diversifizierung. Der Fortschritt hängt jedoch stark von der jeweiligen Regierung ab. Wenn die politischen Entscheidungsträger in diesen Ländern an Reformen festhalten und es schaffen, Ressourcen aus dem Rohstoffsektor in andere Wirtschaftsbereiche umzulenken, könnte sich die Diversifizierung mittel- bis langfristig deutlich beschleunigen.

Welche Rolle spielen regionale Integrationsinitiativen wie die Southern African Development Community (SADC) für die wirtschaftliche Entwicklung und Stabilität in der Region?

Solche Initiativen sind entscheidend für die künftige Entwicklung des afrikanischen Kontinents, bleiben aber speziell im Bereich des Handels hinter den Erwartungen zurück. Die Entwicklung des innerafrikanischen Handels ist notwendig, um langfristiges Wachstum zu sichern, da Exporteure künftig stärker vom Aufschwung afrikanischer Märkte profitieren werden als vom schwachen Wachstum ausländischer Märkte. In dieser Hinsicht ist die Integration im südlichen Afrika vergleichsweise fortgeschritten, mit einem Freihandelsabkommen und einer Zollunion, die den Handel zwischen den Mitgliedsländern gefördert haben. Dennoch bleibt Südafrika der wichtigste Akteur in der Region, sodass der regionale Handel in großem Maße von dessen wirtschaftlicher Entwicklung abhängt.

Müssen sich diese Länder auch darüber hinaus öffnen?

Ja, die Welt und der Welthandel werden zunehmend fragmentierter und konflikt­reicher, weshalb die afrikanische Zusammenarbeit über die wirtschaftliche Ebene hinausgehen muss. Die Hauptziele der SADC sind zwar weiterhin sozioökonomisch geprägt, mit Entwicklung, Armutsbekämpfung und sozialer Integration als Kern. Doch die politische und sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern gewinnt zunehmend an Bedeutung. Obwohl auch das südliche Afrika mit politischen Unruhen und gewaltsamen Episoden konfrontiert ist, gilt die Region als vergleichsweise friedlicher als viele andere Teile des Kontinents.

Apropos Konflikte, wie beeinflussen die geopolitischen Verschiebungen die Länder der Region?

Die Auswirkungen geopolitscher Konflikte sind schwer zu quantifizieren. Insgesamt bringen sie jedoch Volatilität und Unsicherheit, also das genaue Gegenteil von Stabilität. Rohstoffexportierende Länder sind anfällig für Preisschwankungen, was sich auf ihr Wachstum, ihre Außenhandelsbilanzen und ihre Währungen auswirkt. Ein unsicheres globales Umfeld beeinträchtigt zudem das Vertrauen von Investoren, was zu Kapitalabflüssen aus Entwicklungsländern führt und somit deren Finanzierungskosten erhöht.

Aroni Chaudhuri. © Coface


Welche Rolle spielen die USA für das südliche Afrika?

Die USA spielen durch den US-Dollar als Weltwährung eine besondere Rolle. Angesichts der Inflationsentwicklung in den USA wird die US-Notenbank ihre Zinsen voraussichtlich länger hoch halten, was somit nicht nur die Finanzierungskosten der USA, sondern vieler Entwicklungsländer erhöht. Im südlichen Afrika bedeutet das z.B., dass Südafrikas Rohstoffpreis-Index unter Druck gerät – mit negativen Folgen auf die Außenbilanz und die Landeswährung Rand. Für ein hochverschuldetes Land wie Mosambik bedeuten höhere Finanzierungskosten eine zusätzliche Belastung der öffentlichen Finanzen trotz laufender Konsolidierungsbemühungen. Man kann sagen: Wenn ein Land bereits anfällig für externe Schocks ist, machen geopolitische Verschiebungen es noch verwundbarer.

Welche Investitionsmöglichkeiten sehen Sie im südlichen Afrika, insb. in nicht traditionellen Branchen?

Ich gehe davon aus, dass der Dienstleistungssektor in den Ländern des südlichen Afrikas weiterhin besser abschneiden wird als die Industrie, die sowohl internen als auch externen Unsicherheiten stärker ausgesetzt ist. Da die Digitalisierung seit der Pandemie stark zugenommen hat, bestehen weiterhin große Investitionsmöglichkeiten im IT- und Kommunikationsbereich. Auch die Tourismusbranche und verwandte Bereiche entwickeln sich insgesamt gut, wobei Behörden deren Entwicklung besonders fördern.

Die Entwicklungschancen hängen jedoch deutlich vom jeweiligen Land und dessen Perspektiven ab. Südafrika bietet als fortgeschrittene Volkswirtschaft naturgemäß die größte Vielfalt – sowohl in der Indus­trie, von der Automobilbranche über erneuerbare Energien bis hin zu Pharma, als auch im Dienstleistungsbereich. Namibia bietet Perspektiven für den Ausbau der Wind- und Solarenergie, um grünen Wasserstoff zu erzeugen – ein zentrales Element der langfristigen Entwicklungsstrategie des Landes. In Angola, das wirtschaftlich noch wenig diversifiziert ist, könnten sich Chancen im Zusammenhang mit der Entwicklung des Lobito-Korridors ergeben, also bei Infrastruktur, Transport und Logistik.

Wie können die Länder im südlichen Afrika ihr demografisches Potenzial besser nutzen?

Indem weiterhin stark in dieses demografische Potenzial investiert wird. Ich denke, das Hauptproblem, mit dem diese Länder konfrontiert sind, besteht darin, dass ihre Wirtschaft stark auf den Abbau natürlicher Ressourcen ausgerichtet ist. Dies hat zu einer Spezialisierung auf Bergbau-industrie geführt, die langfristig jedoch nicht in der Lage sein wird, ausreichend Arbeitsplätze zu schaffen. Die Diversifizierung der Wirtschaft durch die Identifikation vielversprechender Branchen ist natürlich entscheidend, aber meiner Meinung nach liegt die wichtigste Voraussetzung in einer guten und stabilen Steuerung.

Wie sieht diese Steuerung aus?

Um ein ausgewogeneres und nachhaltigeres Wachstumsmodell zu ermöglichen, muss der Staat die vorhandenen Ressourcen optimal verwalten. Das bedeutet, Einnahmen aus dem Bergbau sollten gezielt in Infrastruktur, Bildung, Gesundheit und soziale Absicherung investiert werden. Gleichzeitig ist es notwendig, die öffentlichen Finanzen zu konsolidieren – durch eine verbesserte Einnahmenerhebung mittels eines funktionierenden Steuersystems, durch effizientere Ausgaben und den Abbau der Finanzierung ineffizienter staatlicher Unternehmen. Das würde auch dem Privatsektor zugutekommen. Eine stabile Regierungsführung und kluge politische Entscheidungen sind entscheidend, um die Lebensbedingungen und das allgemeine Geschäftsklima eines Landes zu verbessern. Dadurch kann sich die Wirtschaft stärker auf stabile Wachstums­treiber wie Konsum und Investitionen stützen und gleichzeitig erhöht sich die Attraktivität des Landes für ausländische Investoren.

Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf die wirtschaftliche Stabilität und Entwicklung der Länder?

Ich denke, dass die Auswirkungen des Klimawandels sehr direkt und sehr gravierend sind und sich kaum verhindern lassen. So hatten bspw. die Dürren zur Erntesaison 2023/24 im südlichen Afrika erhebliche wirtschaftliche Folgen, in Form von Ernteausfällen und Viehverlusten in der Landwirtschaft sowie Einbußen bei der Stromerzeugung – insb. in Ländern wie Sambia, das stark auf Wasserkraft angewiesen ist. Dies wirkte sich direkt auf Angebot und Nachfrage in der Wirtschaft aus. Da im südlichen Afrika noch immer rund 70% der Bevölkerung von der Landwirtschaft leben, sind die Länder strukturell besonders anfällig für die Folgen des Klimawandels. Das führt zu einer Wachstums- und Entwicklungsvolatilität, die sich nicht allein durch politische Maßnahmen lösen lässt.

Sie haben es mehrfach erwähnt: Südafrika ist auf dem ganzen Kontinent die größte Volkswirtschaft. Wie bewerten Sie die aktuelle ökonomische Verfassung dieses Landes?

Trotz einer spürbaren Verbesserung der Stromversorgung seit dem Höhepunkt der Energiekrise 2022/23 steckt die südafrikanische Wirtschaft weiterhin in einer schwachen Wachstumsphase fest. Auf der Angebotsseite bleibt der Dienstleistungssektor, insb. der Finanzbereich, robust und ist nach wie vor der wichtigste Wachstums­treiber. Die Volatilität in der Landwirtschaft sowie die anhaltenden Schwierigkeiten der Industrie aufgrund schwacher Inlands- und Auslandsnachfrage sowie logistischer Engpässe belasten jedoch die wirtschaftliche Aktivität. Auf der Nachfrageseite wird der Konsum durch eine relativ niedrige Inflation und eine leichte Verbesserung der Kreditbedingungen infolge einer Lockerung der Geldpolitik gestützt. Private Investitionen leiden jedoch unter wirtschaftlicher Unsicherheit und geringeren Ausgaben für die Strominfrastruktur im Vergleich zu den Vorjahren. Und öffentliche Investitionen bleiben durch den begrenzten fiskalischen Spielraum und die schwache finanzielle Lage staatlicher Unternehmen eingeschränkt.

Wie wirkt sich die US-Zollpolitik aus?

Südafrika ist durch seine Automobil- und Metallindustrie stärker vom Anstieg der US-Zölle betroffen. Für die kommenden Jahre erwartet Coface ein verhaltenes Wachstum von 1% im Jahr 2025 und 1,5% im Jahr 2026. Die positive Dynamik der Binnennachfrage – gestützt durch eine verbesserte Stromversorgung, Fortschritte bei Strukturreformen und eine stabile Inflation – wird ausgeglichen durch eine schwächere Auslandsnachfrage, die sich negativ auf Industrie und Bergbau auswirkt.

Die Fragen stellte Jörg Rieger.

aroni.chaudhuri[at]coface.com

www.coface.de

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