Die deutsche Exportwirtschaft ist auf eine Vielzahl importierter Metalle angewiesen. Weil der Zugriff auf etliche Metalle und daraus gefertigte Vorprodukte gefährdet ist, braucht Deutschland dringend eine an die aktuelle Situation angepasste Rohstoffstrategie und eine gemeinsame Kraftanstrengung aller Beteiligten.

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Um es vorwegzuschicken: Der Export wird auch künftig ein wesentlicher Pfeiler der deutschen Volkswirtschaft bleiben. Aber der aktuelle Krieg und die dahinter sichtbar werdenden geopolitischen Verwerfungen bergen Risiken für das Exportgeschäft. Das liegt nicht nur an dem möglicherweise zunehmenden Protektionismus, der den Zugang zu Absatzmärkten erschweren könnte. Das Exportgeschäft vieler Branchen lebt auch vom Import – nämlich der Einfuhr von Rohstoffen und Vorprodukten.

Bislang liegt der Fokus auf der Versorgung mit ausreichend bezahlbarer Energie. Die Versorgung mit Rohstoffen spielt in der Diskussion kaum eine Rolle. Dabei werden sie für die Wohlfahrt in unserem Land von entscheidender Bedeutung sein. Deutschlands Unternehmen können eine Führungsrolle bei der digitalen und nachhaltigen Transformation der Weltwirtschaft übernehmen. Dafür sind sie aber auf den Zugriff auf seltene Metalle wie Kobalt, Lithium oder Seltene Erden angewiesen. Hier droht in den kommenden zwei Jahrzehnten ein Engpass, für den Deutschland mit einer gemeinsamen Anstrengung aller Stakeholder eine Rohstoffstrategie entwickeln muss.

Das Problem der Rohstoffversorgung wird mit Macht über die Unternehmen kommen. In den nächsten Jahren werden Batterien, Halbleiter, Windkraftanlagen und Solarzellen die Nachfrage nach verschiedenen (raffinierten) Rohstoffen massiv erhöhen. Der Preis für metallische Rohstoffe hat sich im Schnitt seit der Jahrtausendwende bereits mehr als verfünffacht, und der Bedarf wird weiter steigen: 2040 wird die Nachfrage das aktuelle Angebot nach Schätzungen der Deutschen Rohstoffagentur bei wichtigen seltenen Metallen um ein Vielfaches übersteigen – signifikante Investitionen in zusätzliche Kapazitäten sind notwendig, um die Marktnachfrage zu decken.

Deutschland in hohem Maße abhängig von Rohstoffimporten

Wie können deutsche Unternehmen den Zugriff auf die benötigten Metalle sicherstellen? Die Ausgangslage ist schwierig: Deutschland ist in hohem Maße abhängig von Rohstoffimporten aus einer Handvoll Länder, die über einen Großteil der Vorkommen verfügen oder die Raffineriekapazitäten kontrollieren. Lithium z.B. kommt vorwiegend aus Chile, Niob fast ausschließlich aus Brasilien. Viel bedeutsamer aber: Von 30 kritischen Rohstoffen werden zehn hauptsächlich aus China und acht aus afrikanischen Ländern bezogen, in denen die Volksrepublik zunehmend in rohstoffbezogene Infrastruktur investiert. Außerdem importiert Deutschland viele Rohstoffe aus Russland.

Während der Rohstoffabbau weltweit relativ breit gestreut ist, erfolgt etwa – gemessen am Umsatz – die Hälfte der Endveredelung und Produktion in China. Das birgt potenziell zwei Risiken: Erstens könnte China in einem Handelskrieg Lieferstopps als Verhandlungsmasse einsetzen. Das ist mit Blick auf die aktuelle Großwetterlage kein unrealistisches Szenario. Zweitens könnten einheimische Exporteure gezwungen sein, ihre Produktion zur Reduzierung des CO2-Fußabdrucks zu drosseln. Das ist sogar schon passiert: Im September 2021 ordnete die Regierung an, dass zwei Drittel der 50 Magnesiumhütten ihre Produktion bis zum Jahresende 2021 einstellen sollten. Außerdem wollen die Chinesen sich auf den wachsenden Inlandsverbrauch konzentrieren. In Summe ist aus China eine Verringerung der für deutsche Unternehmen verfügbaren Rohstoffe und Vorprodukte zu erwarten.

Prozentuale Länderanteile an der weltweiten Bergwerksproduktion und Rohstoffraffinerie

Wertmäßiger Anteil der jeweils zehn wichtigsten Länder an der Bergbau- und Raffinerieindustrie: China ist entscheidend, Russland punktuell auch. (Daten entnommen aus Deutsche Rohstoffagentur, Rohstoffliste 2021). Illustration der Deutschen Bank

Bei einigen veredelten Rohstoffen ist Deutschland stark von Russland abhängig. Das gilt vor allem für Nickel, Titan und Aluminium, aber auch für Palladium. Russlands Verhalten hat außerdem wesentlichen Einfluss auf die Preise. Der Krieg hat nicht nur einen noch nie dagewesenen Angebotsschock auf den Rohstoffmärkten ausgelöst, sondern auch zu rasch steigenden Preisen geführt. Auch künftig könnte der Konflikt erhebliche Auswirkungen auf die Rohstoffpreise haben und die bestehenden Importstrukturen stören. Es ist allerdings auch denkbar, dass sich die internationalen Handelsströme innerhalb kurzer Zeit anpassen und neue Anbieter den Markt betreten.

Die Anfälligkeit von Lieferketten geht über die Politik einzelner Länder hinaus. Die Pandemie oder die Havarie im Suez-Kanal haben gezeigt, dass auch höhere Gewalt und Missgeschicke massive Auswirkungen haben können. Außerdem bringt der Nachhaltigkeitstrend nicht nur einen Fokus auf den CO2-Fußabdruck des individuellen Unternehmens – Governance-Erwartungen von Stakeholdern und rechtliche Rahmenbedingungen wie das Lieferkettengesetz erfordern mehr Transparenz in Bezug auf die Lieferanten und begünstigen die physische Nähe.

Vorschläge für eine Rohstoffstrategie

Die Analyse zeigt eins deutlich: Um den zuverlässigen Zugriff auf metallische Rohstoffe sicherzustellen, ist eine konzertierte Aktion aller Stakeholder erforderlich. Die Diskussion über die Strategie und deren konkrete Umsetzung hat erst begonnen. Folgende Maßnahmen könnten Eckpfeiler einer Rohstoffstrategie sein:

a) Zugriff auf raffinierte und halbfertige Metalle

Deutschland und die EU könnten über Exportfinanzierungen, Vorauszahlungen oder Darlehen zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen den Aufbau von Metallraffineriekapazitäten direkt am Ort der Rohstoffgewinnung unterstützen. Das wären gleichberechtigte Partnerschaften mit den Rohstoffländern, die dadurch ihre Wertschöpfungstiefe und Margen erhöhen sowie Arbeitsplätze schaffen könnten. Außerdem könnten wir eigene Raffineriekapazitäten auf- und ausbauen.

b) Rohstoffe außerhalb der EU beschaffen

Wenn Deutschland und Europa die Raffineriekapazitäten diversifizieren, können sie damit auch einen breiteren Lieferantenpool erschließen. Sicheren Zugriff bieten

  • Beschaffungspartnerschaften mit Rohstoffhändlern
  • Eigenkapitalinvestitionen in Rohstoff fördernde Unternehmen
  • Infrastruktur im Tausch für die Bereitstellung von Rohstoffrechten
  • Vorauszahlungen und Kredite, die durch die Lieferung von Rohstoffen zurückgezahlt werden

c) Rohstoffe innerhalb der EU beschaffen

Deutschland und seine europäischen Nachbarländer verfügen selbst über Metallreserven, die in den vergangenen Jahren nicht abgebaut wurden. Mit der Beschaffung vor Ort trügen Unternehmen auch gestiegenen Nachhaltigkeitsanforderungen Rechnung. Allerdings dürften Aufwand und Kosten höher sein. Außerdem fehlt es in Europa an Risikokapital für die Finanzierung der Rohstoffgewinnung.

d) Strategische Reserven bilden

Bei der strategischen Bevorratung sollten die Unternehmen antizyklisch handeln und sich bei günstigen Marktbedingungen größere Mengen sichern. Darüber hinaus sollten klare Prioritäten gesetzt werden, für welche Rohstoffe und veredelte Erzeugnisse strategische Reserven erforderlich sind. Länder wie die USA und Japan haben öffentlich-private Partnerschaften geschaffen, die die Lagerung von Rohstoffen organisieren.

e) Recyclingquote erhöhen

Bei kaum einem kritischen Metall liegt die Recyclingquote bislang über 20%, bei vielen nahe null. Um die Recyclingfähigkeit zu erhöhen, wären mehrere Initiativen erforderlich – von der Erhöhung der gesetzlich vorgeschriebenen Recyclingquoten bis hin zur Schaffung eines Rechtsrahmens, der das Recycling vor Ort erleichtert (z.B. Anpassung des Flächennutzungsrechts). Außerdem müssen Produkte wieder leichter in ihre ursprünglichen Materialien zerlegt werden können.

f) Ersatz für wichtige Rohstoffe finden

Aktuell lassen sich nur wenige Rohstoffe durch Alternativen ersetzen. Daher sind zusätzliche Investitionen in Forschung und Entwicklung (F&E) erforderlich.

Den Zugriff auf vitale Rohstoffe zu sichern ist eine Kraftanstrengung, die allen Beteiligten Kreativität und Kompromisse abverlangen sowie Kosten verursachen wird. Aber die Anstrengung lohnt sich – nicht zuletzt, um das Exportgeschäft zahlloser deutscher Unternehmen abzusichern.

Das Whitepaper zum Artikel

Der Artikel basiert auf einem aktuellen Whitepaper der Deutschen Bank mit dem Titel „Rohstoffsicherheit in einer volatilen Welt“. Die Analyse enthält zahlreiche weitere Informationen und ist HIER abrufbar.

hauke.burkhardt@db.com

www.deutsche-bank.de/ub

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