Die Vorschrift von Art. 11 der Russland-Embargo-VO 833/2014 bereitet bei ihrer Anwendung (v.a. im Zusammenhang mit Anzahlungen) immer wieder Probleme in der Praxis. In einem Fall, in dem die beabsichtigte Umgehung des Russland-Embargos im Raum steht, hat jetzt das LG Mainz entschieden, diesen Fall dem EuGH vorzulegen.

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Ausgangsfall: Die Firma D in Deutschland ist auf den Handel mit Flugzeug-Ersatzteilen spezialisiert; D verlangt immer Vorauskasse von seinen Kunden. Dazu gehört seit dem Jahr 2022 auch S in Serbien, der ebenfalls u.a. mit Flugzeug-Ersatzteilen handelt. Bisher hat D S mit diesen Flugzeug-Ersatzteilen beliefert. Der Streit entzündete sich an der Bestellung von S am 8. Mai 2023: Die betroffenen Ersatzteile sind auf den Russland-Anhängen VII und XI gelistet; außerdem sind es gelistete Dual-Use-Güter, sodass ein unmittelbares und mittelbares Verkaufs- und Lieferverbot nach Russland besteht.

Nach der Zahlung der Vorauskasse weigert sich D, die Ware an S zu liefern, weil der Verdacht besteht, dass S die Güter an einen Endabnehmer in Russland weiterverkaufen und weiterliefern will. Daraufhin verlangt S die Rückzahlung des Kaufpreises. Dies verweigert D u.a. unter Berufung auf Art. 11 der Russland-Embargo-VO. D führt Verdachtsmomente an, aus denen sich ergibt, dass es um eine Weiterlieferung nach Russland geht. S bestreitet dies und macht geltend, dass die Güter für ein in Zypern ansässiges Unternehmen bestimmt seien und nach Spanien geliefert werden sollen. Mit seiner Klage vor dem Landgericht Mainz verlangt S die Rückzahlung des Kaufpreises.

Das Rückerstattungsverbot nach Art. 11 Russland-VO – sein Wortlaut

Der Wortlaut von Art. 11 ist auszugsweise wie folgt:

Abs. 1: „Ansprüche im Zusammenhang mit Verträgen oder Geschäften, deren Erfüllung bzw. Durchführung von den mit dieser Verordnung verhängten Maßnahmen berührt wird, einschließlich Schadensersatzansprüchen und ähnlichen Ansprüchen wie Entschädigungs- oder Garantie-Ansprüche (…), werden nicht erfüllt, sofern sie von einer der folgenden Personen oder Einrichtungen geltend gemacht werden: (a) in den Anhängen dieser VO gelistete Personen oder Organisationen, die außerhalb der EU niedergelassen sind und deren Anteile zu über 50% unmittelbar oder mittelbar von ihnen gehalten werden, (b) jedweder sonstigen russischen Person, Organisation oder Einrichtung, (c) jedweder Person, Organisation oder Einrichtung, die über eine der in den lit. a oder b genannten Personen, Organisationen oder Einrichtungen oder in deren Namen handelt.“

Abs. 2: „Im Verfahren zur Durchsetzung eines Anspruchs trägt die Person, die den Anspruch geltend macht, die Beweislast dafür, dass die Erfüllung des Anspruchs nicht nach Absatz 1 verboten ist.“

Bisherige Auslegungen von Artikel 11

In den EU-FAQ zu Russland findet diese Vorschrift nur eine sehr kurze Erwähnung. So geht es in Kapitel A.3 etwa um die Frage, ob „russische Personen“ neben russischen Staatsangehörigen auch Staatsangehörige anderer Staaten umfassen, die in Russland niedergelassen sind, was bejaht wird. Nur in den FAQ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) wird diese Vorschrift des Art. 11 näher beleuchtet, indem gefragt wird, ob auch Rückerstattungen einer vor Sanktionsverhängung erhaltenen Vorauszahlung gegen das Erfüllungsverbot verstoßen, wenn die Vertragserfüllung wegen des Russland-Embargos nicht mehr möglich ist.

Seit dem 15. Dezember 2022 lautet die Antwort des BMWK hierzu: „Ja: Verboten ist nach dem Wortlaut der Bestimmung die Erfüllung sämtlicher Ansprüche, die im Zusammenhang mit mittlerweile sanktionierten Geschäften stehen. Die Rückzahlung einer Anzahlung, die darauf abzielt, eine Rechtsbeziehung in den Zustand vor Sanktionsverhängung (status quo ante) zu versetzen, ist vor diesem Hintergrund rechtlich unzulässig.“ Nach einer Rücksprache mit der zuständigen Arbeitseinheit in der EU-Kommission wurden auch Rückzahlungen von Anzahlungen in den Schutzbereich der Vorschrift mit aufgenommen. Bis 14. Dezember 2022 ging es praktisch allein darum, Schadensersatzansprüche wegen embargowidriger Geschäfte zu verhindern: Es konnte nicht sein, dass einem EU-Bürger die Lieferung wegen des Russland-Embargos verboten ist und er sich anschließend Schadensersatzklagen des betroffenen russischen Kunden wegen dieser embargobedingten Nicht-Lieferung ausgesetzt sieht. Das BMWK hatte bis zu diesem Zeitpunkt die Anwendung der Vorschrift auf Anzahlungen für Russland-Geschäfte noch ausdrücklich ausgeschlossen.

Unsere derzeitige Auslegung

Zu Vorauszahlungen: Wir halten die Anwendung der Vorschrift auf Vorauszahlungen nur für sinnvoll, wenn ein embargowidriger Kontext besteht, z.B. dann, wenn es um ein Unternehmen geht, das sich auf die Umgehung des Embargos spezialisiert hat oder allein zu diesem Zweck gegründet worden ist. Denn es kann sein, dass ein Unternehmen im Vertrauen auf die Angaben des Vertragspartners, nicht nach Russland weiterzuliefern, erhebliche Investitionen getätigt hat, die sich nach Kenntnis von der Weiterlieferungsabsicht nur noch über den Einbehalt der Anzahlung kompensieren lassen, wenn ein Weiterverkauf der Güter anderweitig nicht möglich sein sollte.

Andererseits kann es bei wertvollen Geschäftsbeziehungen mit russischen Unternehmen zu langfristigen Schäden führen, wenn nicht einmal die Anzahlung zurückgezahlt werden soll: Außerdem ist zu bedenken, dass ein Unternehmen, das die Rückzahlung der Anzahlung verweigert, ohne sonst seine eigene Leistung zu erbringen, sich Ansprüchen in Drittländern aussetzen kann, wenn es dort Vermögen hat, in das vollstreckt werden kann. In solchen Fällen wäre es wohl besser, wenn die Vorschrift von Art. 11 nicht auf Vorauszahlungen Anwendung finden würde, um irreparable Schäden an Geschäftsbeziehungen zu vermeiden und um eine nicht wieder rückgängig zu machende Vollstreckung in Drittländern abwenden zu können.

Zum „Strohmann“: Wir sind auch der Meinung, dass jemand, der als „Strohmann“ für einen russischen Kunden auftritt, vom Sinn und Zweck der Vorschrift (Art. 11 Abs. 1 lit. c) miterfasst ist.

Lösung des Ausgangsfalls

Sofern Art. 11 der Russland-VO 833/2014 auch die Rückzahlung von Anzahlungen umfasst, wäre D die Rückzahlung der Anzahlung verboten; dies gilt zumindest dann, wenn auch ein Strohmann für einen russischen Käufer mit umfasst ist.

Es ist auch bei der Anwendung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) möglich, dass eine erhaltene Anzahlung nicht zurückgezahlt werden darf – nämlich etwa dann, wenn der Zahlende um die Nichtigkeit des Geschäfts wusste (vgl. § 814 BGB). Das LG Mainz hat seine Vorlage an den EuGH v.a. mit der Beweislastumkehr (Art. 11 Abs. 2 Russland-VO) begründet, sodass D bei Anwendung von Art. 11 VO 833/2014 in der Beweislage begünstigt würde.

Vorlage an den Europäischen Gerichtshof

Aufgrund des Sachverhalts und der Bedeutung von Art. 11 für seine Entscheidung hat sich das LG Mainz dazu entschieden, den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorzulegen. Dabei hat das Landgericht die folgenden Vorlagefragen an den EuGH gestellt:
„a) Ist Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage der Ukraine destabilisieren (VO (EU) Nr. 833/2014) dahingehend auszulegen, dass er auch die Konstellation erfasst, dass die betroffene Person als „Strohmann“ für eine der unter den Buchstaben a oder b dieses Absatzes genannten Personen, Organisationen oder Einrichtungen handelt, also in deren Auftrag, aber ohne dies offenzulegen?

b) Ist Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe c der VO (EU) Nr. 833/2014 dahingehend auszulegen, dass er auch die Rückzahlung bereits geleisteter Anzahlungen bzw. Vorauszahlungen auf den Kaufpreis im Falle der (unter Berufung auf die in der Verordnung enthaltenen Sanktionsregelungen) verweigerten Lieferung der Ware umfasst? Falls ja: Was ist die Rechtsfolge des Zahlungsverbots? Kann der Lieferant als Vertragspartner die Anzahlung bzw. Vorauszahlung einfach vereinnahmen?

c) Falls die Fragen a) und b) bejaht werden: Ist Artikel 11 Abs. 1 der VO (EU)
Nr. 833/2014 dahingehend auszulegen, dass das darin statuierte Rückzahlungsverbot bei Kaufverträgen über mehrere Kaufgegenstände, bei denen nur die Lieferung einzelner Kaufgegenstände gegen die mit der Verordnung verhängten Maßnahmen verstoßen würde, nur die Rückzahlungsansprüche bzgl. des Kaufpreises für diese Kaufgegenstände umfasst oder die Rückzahlungsansprüche bzgl. des Kaufpreises für sämtliche Kaufgegenstände?“

Resümee

Es ist wichtig, dass durch den EuGH geklärt wird (es gibt auch einen Vorlage-Beschluss durch ein schwedisches Gericht zu Art. 11), ob das Rückerstattungsverbot nach Art. 11 VO 833/2014 auch Rückzahlungen von Kaufpreisanzahlungen in jedem Fall umfasst – so wie gegenwärtig die Praxis diese Norm (wegen der BMWK-FAQ) behandelt – oder nur in den von uns genannten Fällen mit einem embargowidrigen Kontext. Eine umfassende Geltung dieser Vorschrift für Rückzahlungen von Anzahlungen (auch ohne embargowidrigen Kontext) würden wir als zu weit ablehnen. Weiterhin wäre es gut, wenn geklärt würde, dass die Vorschrift auch für Situationen gilt, in denen ein Kunde als Strohmann eines Russen auftritt. Wir werden sehen, wie der EuGH diese Vorschrift auslegen wird (und werden dann weiter dazu berichten).

Wegen aktueller Hinweise zum Russland-Embargo vgl. HIER

info[at]hohmann-rechtsanwaelte.com
www.hohmann-rechtsanwaelte.com

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