Mit der „Best Efforts“-Verpflichtung stellt sich für in der EU ansässige Unternehmen vermehrt die Frage, wie mit ihren drittländischen Töchtern im Hinblick auf die EU-Sanktionen gegen Russland umzugehen ist.
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Viele europäische Unternehmen haben in ihrem Eigentum oder unter ihrer Kontrolle stehende Gesellschaften in Drittländern. Mit Einführung der „Best Efforts“-Verpflichtung gemäß Art. 8a der Russland-Embargo-Verordnung (EU) Nr. 833/2014 (VO 833/2014), die sich in ähnlicher Form inzwischen auch in anderen EU-Sanktionsverordnungen findet, stellt sich für in der EU ansässige Mutterunternehmen vermehrt die Frage, wie mit diesen Tochtergesellschaften im Hinblick auf die EU-Sanktionen gegen Russland umzugehen ist und was es zu beachten gibt. Die neuen Frequently Asked Ques-tions (FAQs) der Europäischen Kommission bieten eine erste Orientierung, führen jedoch auch zu erheblichen Herausforderungen für EU-Unternehmen. Dieser Beitrag setzt sich kritisch mit den FAQs auseinander und gibt Handlungsempfehlungen für die Praxis.
Wesentlicher Inhalt der FAQs
Die am 22. November 2024 veröffentlichten FAQs der Kommission zu Art. 8a VO 833/2014 erläutern die „Best Efforts“-Verpflichtung. Nach Art. 8a VO 833/2014 haben sich natürliche und juristische Personen, Organisationen und Einrichtungen „nach besten Kräften“ zu „bemühen“ („Best Efforts“), sicherzustellen, dass sich außerhalb der Union niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die sich in ihrem Eigentum oder unter ihrer Kontrolle befinden, nicht an Handlungen beteiligen, die die restriktiven Maßnahmen gemäß dieser Verordnung untergraben. Mit anderen Worten verpflichtet diese Vorschrift insb. in der EU ansässige Mutterunternehmen dazu, alle geeigneten und notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um das „Untergraben“ von Russland-Sanktionen durch ihre drittländischen Tochtergesellschaften zu verhindern.
Dabei ist der „Mehrwert“ der neuen FAQs teilweise sehr überschaubar, etwa soweit sie sich darauf beschränken, lediglich den Inhalt der Erwägungsgründe der Verordnung 2024/1745 (mit der die vorgenannte Bemühensverpflichung eingeführt wurde) mit Blick auf den Begriff der „Best Efforts“ wiederzugeben und eine Abgrenzung der Begriffe „Untergraben“ und „Umgehung“ unter Bezugnahme auf die Erwägungsgründe und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vorzunehmen (FAQs 1 und 2).
Art. 8a VO 833/2014 gilt nach Auffassung der Kommission auch für in Russland ansässige Tochtergesellschaften, die von EU-Unternehmen kontrolliert werden oder sich in deren Eigentum befinden (FAQ 3).
Weitgehende Auslegung der EU-Kommission
Die Auslegung der Kommission von Art. 8a VO 833/2014 ist sehr weitgehend. Hat ein EU-Unternehmen Kenntnis davon, dass die Aktivitäten seiner drittländischen Tochtergesellschaft EU-Sanktionen untergraben und unternimmt nichts dagegen, stellt dies nach Auffassung der Kommission einen Verstoß gegen Art. 8a VO 833/2014 und u.U. auch einen Verstoß gegen das Sanktionsumgehungsverbot in Art. 12 VO 833/2014 dar (FAQ 6).
Stellt eine drittländische Tochtergesellschaft gelistete Güter unter Nutzung der vom EU-Mutterunternehmen gewährten IP-Rechte her und liefert diese Güter an Empfänger in Russland, muss das EU- Unternehmen diese Lieferung aus Sicht der Kommission verhindern. Zumindest sei die Nutzung der IP-Rechte (wie etwa Marken oder andere geistige Eigentumsrechte) hierfür zu untersagen, wobei es nicht darauf ankomme, wann die Nutzung erstmals gewährt worden sei bzw. die Übertragung der IP-Rechte erfolgt sei (FAQ 7).
Im Ergebnis muss nach Auffassung der Kommission verhindert werden, dass russische Tochtergesellschaften von EU-Unternehmen Güter, die einem EU-Ausfuhrverbot unterliegen, aus einem Drittland nach Russland importieren und russische Güter, die einem Importverbot in die EU unterliegen, in Drittländer ausführen oder sich an solchen Ein- und Ausfuhren beteiligen (FAQs 8 und 9).
Die „Best Efforts“-Verpflichtung soll nach Auffassung der Kommission jedoch nur Maßnahmen umfassen, die für das EU-Unternehmen unter Berücksichtigung seiner Art, seiner Größe und der relevanten tatsächlichen Umstände, einschließlich des Grades der Kontrolle über die drittländische Tochtergesellschaft, durchführbar sind. Habe das EU-Unternehmen aber ggf. selbst dazu beigetragen, dass es die Kontrolle über ein drittländisches Unternehmen verloren habe, könne es sich nicht auf mangelnde Kontrolle berufen (FAQ 4).
Hindern lokale Rechtsvorschriften des Drittlandes, in dem die Tochtergesellschaft ansässig ist, die Umsetzung, sind nur Maßnahmen erforderlich, die für das EU-Unternehmen durchführbar sind. Nach Auffassung der Kommission ist Russland ein Land, in dem die Rechtsstaatlichkeit weitgehend außer Kraft gesetzt ist. Unter solchen Umständen könne eine mangelhafte Risikobewertung und -verwaltung eines EU-Unternehmens als ein „selbstgeschaffener“ Faktor angesehen werden, der zum Kontrollverlust beigetragen habe. Beispielsweise könne das Risiko, dass Führungskräfte und Mitarbeiter der Tochtergesellschaft nach lokalem Recht strafrechtlich verfolgt würden, der Umsetzung von „Best Efforts“-Maßnahmen entgegenstehen. Dieses Risiko sei von Fall zu Fall zu bewerten.
„Best Efforts“-Maßnahmen
EU-Unternehmen können nach Auffassung der Kommission etwa durch interne Compliance-Programme, die systematische Weitergabe von Unternehmensstandards, die obligatorische Berichterstattung und Schulungen sowie durch schnelle Reaktionen auf Sanktionsverstöße nachweisen, dass sie ihre „Best Efforts“ unternommen haben. Darüber hinaus könne die Nicht-EU-Tochtergesellschaft in Erwägung ziehen, öffentlich ihre Absicht zu erklären, sich nicht an Aktivitäten zu beteiligen, die die Gefahr bergen würden, die EU-Sanktionen oder die Compliance- und Governance-Policies der EU-Muttergesellschaft zu untergraben (FAQ 5).
Kritische Würdigung der FAQ
Die sehr weite Auslegung der Europäischen Kommission kann zu erheblichen Herausforderungen für EU-Unternehmer führen, insb. in Bezug auf die Durchsetzung und Nachweisführung hinsichtlich der unternommenen Bemühungen.
Während man bislang eine Zurechnung sanktionsrelevanter Handlungen einer drittländischen Tochtergesellschaft zur EU-Muttergesellschaft verneinen konnte, wenn die Tochtergesellschaft selbstständig agiert und die Muttergesellschaft nicht in deren operative Geschäftsentscheidungen involviert ist (sog. Entkoppelung), dürfte dies nunmehr im Rahmen von Art. 8a VO 833/2014 nicht mehr ausreichen.
Nach Ansicht der Kommission soll es für einen Verstoß gegen Art. 8a VO 833/2014 ausreichen, wenn ein EU-Unternehmen Kenntnis von einer relevanten Handlung hat und darauf nicht reagiert. Dies kommt quasi einer Haftung „durch Unterlassen“ gleich und soll nach Meinung der Kommission in Einzelfällen sogar einen Verstoß gegen das Umgehungsverbot aus Art. 12 VO 833/2014 darstellen, was höchst kritisch zu sehen ist.
Generell ist anzumerken, dass die Kommission fordert, dass der Umfang und die Komplexität der zu treffenden Maßnahmen der Art, der Größe und den konkreten Umständen des Unternehmens angemessen sein müssen. Dies kann bedeuten, dass nicht nur große Konzerne, sondern auch kleine Unternehmen je nach den Umständen umfangreiche Compliance-Maßnahmen ergreifen müssten. Dies erfordert erhebliche Ressourcen und kann eine große Belastung für die Unternehmen darstellen.
Die Äußerungen der Kommission gehen vielfach über den Wortlaut von Art. 8a VO 833/2014 hinaus. Bedenklich erscheint insoweit, dass einem zunächst nicht veröffentlichten Erstentwurf von Art. 8a VO 833/2014, der noch explizit eine Verantwortung bzw. Haftung der EU-Muttergesellschaft für Handlungen der drittländischen Tochtergesellschaft vorsah, von den EU-Mitgliedstaaten (insb. von Deutschland) im weiteren Gesetzgebungsverfahren im Rat als zu weitgehend angesehen und in der Formulierung abgemildert wurde, was letztlich zum jetzigen Wortlaut von Art. 8a VO 833/2014 führte. Augenscheinlich möchte die Kommission nun jedoch im Wege der FAQs dem abgelehnten ursprünglichen Entwurf quasi „durch die Hintertür“ faktisch doch noch Geltung verschaffen. Dieses Vorgehen scheint nicht mit dem Willen des EU-Gesetzgebers im Einklang zu stehen.
Auch ein systematischer und sprachlicher Vergleich von Art. 8a und 12gb Abs. 3 VO 833/2014 spricht gegen das ausufernde Verständnis der Kommission. Art. 12gb Abs. 1 VO 833/2014 verlangt im Hinblick auf besonders sensible gelistete Güter aus Anhang XL (sog. High-Priority-Güter), dass EU-Unternehmen in diesem Zusammenhang (a) zur Ermittlung und Bewertung der Risiken geeignete Schritte unternehmen, die im Verhältnis zur Art und Größe dieser Risiken stehen, und sicherstellen, dass diese Risikobewertungen dokumentiert und auf dem neuesten Stand gehalten werden. Sie sind außerdem dazu angehalten, (b) zur Minderung und zum wirksamen Management dieser Risiken geeignete Strategien, Kontrollen und Verfahren umzusetzen, die im Verhältnis zur Art und Größe dieser Risiken stehen – unabhängig davon, ob diese Risiken auf ihrer Ebene oder auf Ebene des Mitgliedstaats oder der Union festgestellt wurden.
Art. 12gb Abs. 3 VO 833/2014 erweitert diese Verpflichtungen dahingehend, dass die EU-Unternehmen auch sicherstellen müssen, dass ihre drittländischen Tochtergesellschaften, die High-Priority-Güter verkaufen, liefern, verbringen oder ausführen, diese Anforderungen erfüllen. Während Art. 12gb VO 833/2014 insoweit explizite Regelungen für High-Priority-Güter enthält, fehlt eine solche ausdrückliche Regelung in Art. 8a VO 833/2014. Der Ansatz der Kommission verwischt also den Unterschied zwischen den beiden Vorschriften und versucht, den hohen Standard von Art. 12gb VO 833/2014 allgemein auf sämtliche Sanktionen nach der VO 833/2014 auszuweiten.
Zudem weisen die FAQs trotz der relativ langen Zeit zwischen Inkrafttreten von Art. 8a VO 833/2014 am 25. Juni 2024 und der Veröffentlichung der FAQs am 22. November 2024, die der Kommission genug Gelegenheit für ein sorgfältiges Formulieren der FAQs gab, einige bedauerliche Fehler und Unklarheiten auf. So etwa in FAQ 7, die in der Fragestellung keinen Bezug zu IP-Rechten enthält, deren Antwort sich aber allein auf IP-Rechte bezieht. In FAQ 8 wird unsystematisch einmal von Art. 8a VO 833/2014 und dann wieder vergleichbaren Art. 8i der Belarus-Embargoverordnung (EG) 765/2006 gesprochen. Die zweite Frage in FAQ 9 (zu Intra-Group-Transfers) wird gar nicht beantwortet.
Fazit, Ausblick und Handlungsbedarf für Unternehmen
Die teils vom Gesetzeswortlaut losgelöste Auslegung der Kommission führt faktisch zu einer bedenklichen extraterritorialen Anwendung des Russland-Embargos auf drittländische Tochtergesellschaften von EU-Unternehmen – obwohl eine extraterritoriale Ausweitung des eigenen Sanktionsrechts auf Drittstaaten von der EU und ihren Mitgliedstaaten in der Vergangenheit wiederholt als völkerrechtswidrig eingestuft wurde (vgl. insb. die sog. Blocking-Verordnung Nr. 2271/96 der EU zu bestimmten extraterritorialen US-Sanktionen).
Da die Kommission angekündigt hat, sich hinsichtlich der notwendigen Maßnahmen für die Umsetzung der Sorgfaltspflichten mit den zuständigen nationalen Behörden abzustimmen (vgl. FAQ 5), bleibt abzuwarten, ob sich hieraus weitere Klarstellungen ergeben. Vor diesem Hintergrund und angesichts der auch von der Kommission angemerkten fallbezogenen Einschätzung („case-by-case basis“) sollten Unternehmen sorgfältig, aber auch umgehend weitere Schritte prüfen und sich ggf. Rechtsrat einholen.
Dies ist insb. deshalb zu empfehlen, weil durch das 16. Sanktionspaket nunmehr „Best Efforts“-Klauseln auch in alle anderen einschlägigen EU-Sanktionsverordnungen im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise eingefügt wurden (Art. 15a Verordnung (EU) 269/2014, Art. 13a Verordnung (EU) 2022/263 sowie Art. 8a Verordnung (EU) 692/2014).