Im Oktober 2024 hat das BMWK ein Hinweispapier zur Sanktionsumgehung vorgelegt, um Unternehmen bei Embargoprüfungen zu unterstützen. In welchen Fällen sollten Exporteure in Deutschland davon ausgehen, dass ein Umgehungsgeschäft bzgl. Russland vorliegt? Und wie sollten sie sich gegen ein solches Umgehungsgeschäft absichern?
Beitrag in der Gesamtausgabe (PDF)
Ausgangsfall: D in Deutschland verkauft Pkw mit der ZTN (Zolltarifnummer) 8703 23 an K in Kasachstan. Beim Blick auf dessen Webseite stellt D fest, dass K intensive geschäftliche Verbindungen mit Russland hat. Hat D jetzt Anhaltspunkte für ein Umgehungsgeschäft? Und wenn ja: Wie sollte sich D absichern? Reicht es, wenn K mündlich versichert, nicht nach Russland weiterzuliefern?
Das Problem der Umgehungsgeschäfte
Es gibt derzeit viele Umgehungsgeschäfte, sodass Embargoware nach Russland gelangt. Ein Beispiel: Nach Presseberichten (vgl. F.A.Z. vom 30.11.2024) benutzt Russland immer mehr deutsche Lastwagen, um seine Truppen in der Ukraine mit Munition und Nachschub zu versorgen. Dabei würden besonders oft Lkw von bekannten Herstellern in Deutschland eingesetzt. Weil die Europäische Union (EU) diesen Export nach Russland verboten hat, erreichen sie Russland meist indirekt über Joint-Venture-Partner und Zwischenhändler bzw. Kunden in Umgehungsländern. Da der wichtigste russische Lkw-Hersteller (Kamaz) unter westlichen Sanktionen leide, hänge die „russische Kriegsmaschine“ – so die Frankfurter Allgemeine Zeitung – „von Importfahrzeugen ab“. Die betroffenen deutschen Hersteller, die das Russland-Geschäft eingestellt haben, äußerten sich dazu wie folgt: „Trotz intensiver Bemühungen lasse sich nicht gänzlich verhindern, dass unsere Fahrzeuge über Umwege (etwa Fahrzeuge aus dritter oder vierter Hand)“ nach Russland gelangten.
Dokumente von Bundesregierung und EU: Die EU-Kommission und die Bundesregierung bemühen sich intensiv darum, solche Umgehungsgeschäfte nach Russland zu verhindern. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat im April 2024 und im Oktober 2024 zwei Hinweispapiere vorgelegt. Das erste beschäftigt sich v.a. mit Sorgfaltspflichten gegenüber ausländischen Töchtern von EU-Unternehmen nach Art. 8a der EU-Russland-VO und geht dann auf das Risikomanagement nach Art. 12gb dieser Verordnung ein. Das zweite informiert über Risiken, die im Rahmen der unternehmerischen Sorgfalt berücksichtigt werden sollten, indem es umfassend kunden-, produkt- und transaktionsbezogene Risiko-Indikatoren aufzählt – leider fehlen weitgehend Hinweise, welche Maßnahmen hier ergriffen werden sollten (abgesehen vom Hinweis auf die Jedermanns-Berichtspflicht an das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle über sanktionsrelevante Informationen).
Die EU-Kommission hat in einem Leitfaden vom September 2023 folgende Absicherungsmaßnahmen vorgeschlagen:
• Due-Diligence-Prozeduren, um möglichst solche Umgehungsversuche zu verhindern
• Vertragsklauseln (v.a. gegenüber Kunden, welche die Verkäufer nicht kennen), mit denen Weiterlieferungen nach Russland/Belarus verboten werden, es sei denn, dass der Kunde ebenfalls solche vertraglichen Verpflichtungen für seine Weiterverkäufe vereinbart, sowie Klauseln bzgl. Schadensersatzpflichten (bei Verstoß) und evtl. Ex-Post-Verifikationen
Bereits in einer Mitteilung der EU-Kommission vom 1. April 2022 war auf die Notwendigkeit solcher vertraglichen Verpflichtungen hingewiesen worden. Als Umgehungsländer wurden dort v.a. die Länder der Eurasischen Wirtschaftsunion EAEU (Belarus, Russland, Armenien, Kasachstan, Kirgistan) genannt, weil bei jedem dieser fünf Mitgliedsländer der freie Warenverkehr gegenüber den übrigen Mitgliedern möglich sei. Daher dürfte klar sein, dass die vertragliche Absicherung zu einem der zentralen Mittel für die Verhinderung von Umgehungsgeschäften geworden ist.
Weitgehend gleiche Überlegungen wie bei der No Russia Clause: Der zentrale Inhalt der No Russia Clause (vgl. unseren Beitrag in Ausgabe 1/2024) ist folgender: Bei Verkauf oder Lieferung von bestimmten gelisteten Gütern (v.a. nach Anhang XL der Russland-VO) in ein Drittland (also: in ein Nicht-EU-Land) – mit Ausnahme in ein Partnerland nach Anhang VIII – müssen die Ausführer die Wiederausfuhr nach Russland oder zur Verwendung in Russland vertraglich untersagen (Art. 12g Russland-VO); entsprechendes gilt für Belarus (Art. 8g Belarus-VO). Bei einem solchen Vertrag sind „angemessene Abhilfemaßnahmen“ erforderlich, was nach den FAQ der EU-Kommission für den Fall eines Verstoßes v.a. bedeutet: hohe Vertragsstrafe und Möglichkeit der Kündigung des Vertrags. Art. 12gb der Russland-VO erweitert dies um die Notwendigkeit eines angemessenen Risikomanagements.
In der Praxis stellen sich hier schwierige Auslegungsfragen: Was sollen Exporteure unternehmen, wenn sich ihre Kunden weigern, eine solche Vertragsklausel zu unterschreiben, etwa wegen der hohen Vertragsstrafe? Kann der Exporteur gegenüber Kunden aus Nicht-Umgehungsländern auf die Unterzeichnung der Vertragsklausel – auch deswegen, weil es um ein Massengeschäft geht – verzichten? Gegenüber Kunden in Umgehungsländern aber nicht? In bestimmten Fällen kann diese Vertragsklausel auch in die AGB aufgenommen werden, sofern eine wirksame Einbeziehung in den Vertrag vorliegt (es bleiben dann Fragezeichen, ob eine hohe Vertragsstrafe wirksam per AGB vereinbart werden kann).
Lösung Ausgangsfall
Für den Verkauf von Pkw muss D nach Embargorecht erst prüfen, ob es sich um ein Gut handelt, das nach den Embargos gegen Russland oder Belarus verboten ist. Das Fahrzeug mit der ZTN 8703 23 ist von Anhang XXIII der Russland-VO erfasst, weswegen Verkauf und Lieferung nach Russland verboten sind. Auch der indirekte Verkauf und die indirekte Lieferung nach Russland sind demnach verboten, also durch einen Verkauf an einen Kunden, der seinerseits nach Russland weiterliefert.
Würde das Fahrzeug vom Kunden K in Kasachstan nach Russland weitergeliefert werden, könnte es zu strafrechtlichen Ermittlungen wegen eines Embargoverstoßes gegen D kommen. Denn dann hätte D das Kfz mittelbar (über K in Kasachstan) nach Russland verkauft. In diesem Fall sollte D nachweisen können, dass er geeignete Maßnahmen zur Verhinderung eines Weiterverkaufs bzw. einer Weiterlieferung nach Russland ergriffen hat. D sollte daher zunächst prüfen und bewerten, wie hoch das Risiko ist, dass K das Fahrzeug nach dem Erwerb von D nach Russland weiterliefert oder weiterverkauft.
Der erste Anhaltspunkt für ein Umgehungsgeschäft ergibt sich daraus, dass Kasachstan ein Umgehungsland ist: Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Güter von Kasachstan nach Russland oder Belarus weitergeliefert/weiterverkauft werden könnten. Der zweite Risikofaktor ergibt sich daraus, dass D feststellt, dass K intensive geschäftliche Beziehungen nach Russland pflegt. Beides zusammen führt in jedem Fall dazu – hierfür reicht auch schon einer der beiden Punkte aus –, dass D vor einem Verkauf an K wirksame Abhilfemaßnahmen gegen eine Weiterlieferung ergreifen muss. Hierfür reicht die mündliche Versicherung von K nicht aus, er werde nicht nach Russland weiterliefern. D sollte schriftlich einen Absicherungsvertrag mit K vereinbaren, mit dem K ein Weiterverkauf oder eine Weiterlieferung nach Russland/Belarus strikt verboten wird. Für den Fall des Verstoßes sollten eine hohe Vertragsstrafe und die Möglichkeit der Vertragskündigung vorgesehen werden.
Gesteigerte Red Flags: Wenn Fahrzeughersteller allerdings nach einem Blick in Internetportale oder in die Presse o.Ä. erfahren, dass bereits eine Vielzahl ihrer Fahrzeuge nach Russland weitergeliefert worden ist, gibt es gesteigerte Red Flags dafür, dass sie bereits mittelbar gegen das Russland-Embargo verstoßen haben könnten. Wenn sie ab jetzt diese Red Flags ignorieren würden, könnte die Staatsanwaltschaft zum Ergebnis kommen, dass weitere mittelbare Embargoverstöße (durch billigende Inkaufnahme des Risikos) bedingt vorsätzlich begangen werden. Das muss dringend verhindert werden, auch um eine Freiheitsstrafe beim Fahrzeughersteller zu verhindern.
Daher sind hier sehr strikte Absicherungs-maßnahmen erforderlich. Hier bieten sich u.a. an:
• eine sehr strikte Version des Absicherungsvertrags
• Rücksprache mit den Kunden, deren Fahrzeuge nach Russland weitergeliefert worden sind
• Nachweise für den Verbleib der Fahrzeuge in Umgehungsländern wie Kasachstan
• Prozeduren für die Sperrung von Kunden, welche nicht genügend kooperieren
Diese Absicherungsmaßnahmen müssen geeignet sein, weitere mittelbare Lieferungen/Verkäufe nach Russland/Belarus zu verhindern.
Resümee
Das Ergreifen von hinreichenden Maßnahmen, um Umgehungslieferungen nach Russland/Belarus zu verhindern, ist für deutsche Exporteure eine dringende Notwendigkeit. Dadurch verhindern sie, dass sie durch Verkäufe von Embargoware an Kunden in Umgehungsländern einen mittelbaren Embargoverstoß begehen und so zum Gegenstand von strafrechtlichen Ermittlungen werden.
Allerdings kann es manchmal für Exporteure zu hohem Aufwand führen, angemessene Maßnahmen zur Verhinderung der Umgehungslieferung zu ergreifen. Allgemein gilt: Je höher das Risiko ist, umso striktere Maßnahmen sind erforderlich, um solche Umgehungslieferungen und eine drohende Freiheitsstrafe zu vermeiden. Gerade wenn schon eine Vielzahl von Fahrzeugen nach Russland/Belarus gelangt ist, sollten Hersteller, Händler oder Exporteure im Zweifel von einem Geschäft Abstand nehmen, wenn eine angemessene Risikosteuerung bzgl. Umgehung sonst nicht möglich ist.
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