Die EU-Kommission sieht im Verkauf von Unternehmensanteilen (Share-Deal) an einer russischen Tochtergesellschaft, die über sanktionierte Güter oder Technologien verfügt, einen verbotenen „mittelbaren“ Verkauf gelisteter Güter. Diese Rechtsauffassung ist jedoch zweifelhaft und wird von den deutschen Behörden nicht geteilt.

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Aus den Artikeln 2, 2a, 3, 3b, 3c, 3f, 3h und 3k der Russland-Embargo-Verordnung (EU) Nr. 833/2014 ergibt sich ein Verbot des mittelbaren Verkaufs der in den jeweiligen Verordnungsanhängen gelisteten Güter und Technologien. Umstritten ist, wie weit der Begriff des mittelbaren Verkaufs zu verstehen ist. Einerseits wird vertreten, dass der mittelbare Verkauf personenbezogen sei, also den Verkauf gelisteter Güter über einen (oder mehrere) Zwischenhändler verbiete. Andererseits wird vertreten, dass ein mittelbarer Verkauf sachbezogen sein könne, also auch den Verkauf eines nicht gelisteten Hauptproduktes verbiete, wenn dieses gelistete Bestandteile enthalte.

Hieran knüpft der Gedanke des mittelbaren Verkaufsverbots bei Share-Deals an. Das Unternehmen selbst sei dabei quasi als „Hauptgegenstand“ und die einzelnen Assets des Unternehmens seien als dessen „Bestandteile“ anzusehen. Handelt es sich bei einzelnen Assets des Unternehmens um gelistete Güter, so werden nach dieser Lesart bei einem Verkauf der Anteile an einer russischen Tochtergesellschaft die gelisteten Güter mittelbar verkauft. Da mittlerweile nahezu alle Wirtschaftsbereiche von den Sanktionen betroffen sind, dürfte praktisch jedes russische Unternehmen über gelistete Güter verfügen.

Position der Europäischen Kommission

Die Europäische Kommission (Kommission) hat in ihren Antworten auf „Frequently Asked Questions“ (FAQ) zum Russland-Embargo zu dieser Problematik Stellung genommen, die für Russland-Exit-Strategien von Unternehmen höchst relevant ist. Ein Share-Deal sei demnach bereits dann grds. verboten, wenn die zu verkaufende Gesellschaft (Target) gelistete Assets halte, da der Käufer dann auch die Kontrolle über die gelisteten Güter der Gesellschaft erlange. Der Verkauf der Unternehmensanteile komme damit einem indirekten Verkauf der gelisteten Güter gleich und sei daher vom sanktionsrechtlichen Verbot erfasst.

Hierfür sei es nicht erforderlich, dass der Käufer sämtliche Unternehmensanteile an der russischen Tochtergesellschaft erwerbe. Unerheblich sei ferner, ob sich die Güter bereits in Russland befinden. Dabei spiele auch keine Rolle, ob sie aufgrund von Beschränkungen seitens der russischen Regierung nicht wieder aus Russland ausgeführt werden dürfen. Nach Auffassung der Kommission ist daher für einen solchen Share-Deal zwingend eine Ausnahmegenehmigung nach Art. 12b Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 erforderlich. Eine solche Genehmigung kann jedoch nur bis zum 31. Dezember 2024 erteilt werden, wenn der Verkauf dem Divestment aus Russland dient und weitere Voraussetzungen erfüllt sind. Da die Frist mit dem 14. Sanktionspaket auf das jetzige Enddatum verlängert wurde, steht zu erwarten, dass es möglicherweise auch zu einer weiteren Verlängerung der Frist über den 31. Dezember 2024 hinaus kommt.

Gegenposition

Die Rechtsauffassung der Kommission vermag nicht zu überzeugen. Nach der hier vertretenen Gegenauffassung fallen Share-Deals nicht unter die güterbezogenen Russland-Sanktionen. Hierfür sprechen im Wesentlichen folgende Argumente:

Bei einem Share-Deal sind Gegenstand des Verkaufs richtigerweise nicht die gelisteten Güter, die sich im Eigentum des Targets befinden, sondern die Gesellschaftsanteile. Der Eigentumsübergang findet also auf der Ebene der Unternehmensanteile selbst statt, während das Eigentum an den Assets unverändert bei der zu verkaufenden Tochtergesellschaft verbleibt. Da sich güterbezogene Sanktionen stets auf konkrete Güter beziehen, liegt es nahe, dass der EU-Verordnungsgeber auch nur an die in den Anhängen der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 konkret genannten Güter anknüpfen möchte. Der Wortlaut von Art. 12b der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 umfasst jedenfalls Unternehmensverkäufe bzw. Geschäftsanteilsübertragungen explizit nicht.

Zudem trägt die Rechtsauffassung der Kommission zur Unbestimmtheit der Artikel 2, 2a, 3, 3b, 3c, 3f, 3h und 3k der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 bei, da aus dem Gesetz nicht ersichtlich ist, ab welcher Beteiligungshöhe von einer Kontrolle auszugehen ist. Die Ansicht der Kommission ist daher schon aus Gründen der Rechtssicherheit abzulehnen.

Auch die Systematik der jeweiligen Normen spricht gegen eine Anwendung auf Share-Deals. Die betreffenden Verbotsnormen untersagen regelmäßig, gelistete Güter „zu verkaufen, zu liefern, zu verbringen oder auszuführen“. Die drei letztgenannten Tatbestände erfordern stets eine Bewegung der Güter, weshalb es naheliegt, diese Güterbewegung auch für den Verkaufstatbestand zu fordern. Beim Share-Deal findet eine solche Güterbewegung jedoch nicht statt.

Schließlich sprechen auch Sinn und Zweck der Sanktionsvorschriften gegen die Auffassung der Kommission: Die russische Wirtschaft soll durch die Russland-Sanktionen geschädigt werden, ausländische Investoren sollen Russland möglichst verlassen. Wenn dies durch eine extensive Auslegung von Sanktionsvorschriften verhindert oder zumindest erschwert werden würde, wäre dies sinnwidrig. Einem etwaigen Bedürfnis nach Kontrolle und Information könnte auch durch entsprechende Meldepflichten derjenigen Unternehmen, die ihre russischen Beteiligungen veräußern, Rechnung getragen werden.

Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle hält jedenfalls nach Rücksprache mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz trotz der FAQ der Kommission bis auf Weiteres an der oben skizzierten Gegenposition fest, wonach Share-Deals nicht unter die güterbezogenen Sanktionen fallen. Nicht alle EU-Mitgliedstaaten teilen offenbar diese Auffassung.

Fazit

Festzuhalten ist, dass die Kommission mit ihren FAQ zur weiteren Verunsicherung der Wirtschaftsbeteiligten beigetragen hat. Aufgrund der bestehenden widersprüchlichen Rechtsauffassungen und der zeitlich begrenzten Genehmigungsfähigkeit nach Art. 12b Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 sollten Unternehmen beim Russland-Divestment auch weiterhin ein besonderes Augenmerk auf die sanktionsrechtliche Dimension des Verkaufs legen.

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