Mit Ländern wie Albanien, Montenegro, Nordmazedonien und der Ukraine liegt für Unternehmen aus der Europäischen Union (EU) ein wichtiger Exportmarkt praktisch vor der Haustür. Die Integration schreitet voran und die nächste EU-Erweiterung scheint absehbar. Das sind die wichtigsten Entwicklungen und aussichtsreichsten Beitrittskandidaten.
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Für den deutschen Export gewinnen die europäischen Nachbarn an Bedeutung. Das zeigen Daten des Statistischen Bundesamtes: Im ersten Quartal 2025 exportierten deutsche Unternehmen Waren im Wert von insgesamt gut 212 Mrd EUR innerhalb Europas – das ist mehr als die Hälfte des gesamten Exportvolumens von 394 Mrd EUR. Vor allem Südosteuropa wird wichtiger. Deutlich zugelegt haben die Ausfuhren in kleinere Länder aus dem Westbalkan: Die deutschen Exporte nach Albanien bspw. stiegen in den ersten drei Monaten 2025 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um knapp 10% und folgten damit dem Aufwärtstrend der Vorjahre.
Beitrittsverhandlungen laufen
Mehr EU-Integration – wirtschaftlich sowie politisch – ist der richtige Weg. Die letzten EU-Erweiterungen fanden 2004 und 2007 statt – das ist lange her. Doch die Entwicklung steht keinesfalls still: Seit 2022 ist die EU u.a. mit Albanien, Nordmazedonien und bereits seit 2012 mit Montenegro in Beitrittsverhandlungen. Auch Bosnien und Herzegowina, der Kosovo, Georgien und nicht zuletzt die Ukraine sind Beitrittskandidaten oder schon in Beitrittsverhandlungen.
Will ein Land EU-Mitglied werden, muss es Kriterien politischer und wirtschaftlicher Stabilität erfüllen, auch Verhandlungskapitel genannt. Das umfasst langjährige Prozesse, die anfällig sind für Störfaktoren: politische Turbulenzen wie autoritäre Gesetze und der Vorwurf manipulierter Wahlen in der noch jungen Demokratie Georgiens, interne Konflikte wie in Bosnien und Herzegowina, Serbien und dem Kosovo oder externe Aggressionen wie der Krieg in der Ukraine. Diese Länder haben aller Wahrscheinlichkeit nach noch einen längeren Weg bis zum EU-Beitritt vor sich.
Montenegro: Zwei Drittel der Bevölkerung befürworten den EU-Beitritt
Anders sieht es bei Albanien, Nordmazedonien und Montenegro aus. Montenegro möchte schon 2028 EU-Mitgliedstaat werden: ein ambitioniertes, aber nicht unmögliches Ziel. Immerhin rund zwei Drittel der Bevölkerung befürworten den EU-Beitritt. Wirtschaftlich geht es voran: Für 2025 prognostiziert das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) ein Wirtschaftswachstum von 3,7%. Der Tourismus ist der wichtigste Wirtschaftszweig, Montenegro erwirtschaftet damit rund ein Viertel seines Bruttoinlandsprodukts. Auch deshalb will das Land mithilfe von EU-Mitteln in den kommenden Jahren Milliarden in den Ausbau seiner Transportinfrastruktur investieren. Zudem sind erste Anlagen für Wind- und Solarenergie im Bau, das Potenzial ist groß.
Für all diese Vorhaben ist das exportorientierte Adrialand auf Maschinen aus dem Ausland angewiesen. Deutschland gehört zu den drei wichtigsten Handelspartnern. In den vergangenen Monaten sind insb. im Bereich erneuerbare Energien neue Abschlüsse zustande gekommen: So liefert die Nordex Group aus Hamburg Turbinen für den Windpark Gvozd. Der Projektierer Wpd mit Sitz in Bremen hat in der Region über die Tochter Wpd Adria eine Projektpipeline von mehr als 1.500 MW Windkraft, u.a. in Montenegro und Nordmazedonien bei Budva. Und das weltweit tätige Planungsbüro Fichtner mit Sitz in Stuttgart erhielt einen Auftrag für den Bau und die Inbetriebnahme von Umspannstationen.
Albanien: Hoher Nachholbedarf bei öffentlicher Infrastruktur
Auch Albanien zeigt sich entschlossen, bald EU-Mitglied zu werden: Bis 2030 will das NATO-Mitglied der Staatengemeinschaft beitreten. Am 11. Mai 2025 hat die prowestliche Regierungspartei mit absoluter Mehrheit die Parlamentswahl in Albanien gewonnen. Daher wird Edi Rama wahrscheinlich Ministerpräsident bleiben. Für den EU-Integrationskurs ist das ein gutes Zeichen. Albaniens Wirtschaft soll 2025 mit 3,8% ähnlich stark wachsen wie im Vorjahr, prognostiziert das WIIW. Infrastrukturprojekte werden Albanien in den kommenden Jahren prägen. Vor allem bei Investitionen in die öffentliche Infrastruktur besteht ein hoher Nachholbedarf. Künftig sollen auch hier Wind- und Solarkraft eine größere Rolle spielen.
In Nordmazedonien stockt der EU-Aufnahmeprozess im Vergleich etwas. An der wirtschaftlichen Entwicklung liegt es nicht, vielmehr an einem Zwist mit Bulgarien um Formulierungen in der Verfassung Nordmazedoniens. Für 2025 gehen die Experten vom WIIW von einem Wirtschaftswachstum von 2,3% aus. Wachstumsmotor sollen insb. Investitionen in den Ausbau der erneuerbaren Energien sein. Deutsche Unternehmen und ihre Produkte sind im Land gern gesehen. Und aus Deutschland fließen auch Investitionen in neue Produktionskapazitäten im Land. Kfz-Zulieferer und Elektronikhersteller wie Dräxlmaier oder ODW Elektrik profitieren von vergleichsweise niedrigen Lohnkosten und vorhandenen Fachkräften. Größter deutscher Investor ist die Deutsche Telekom mit rund 200 Mio EUR. Der Discounter Lidl expandiert in der Region und eröffnet auch in Nordmazedonien neue Filialen.
Stärkere Einbindung in Zahlungsverkehr und Förderprogramme
Während EU-Beitrittsverfahren naturgemäß einige Zeit in Anspruch nehmen, geht die Integration beim Zahlungsverkehr schneller voran: Erst im November 2024 hatte der Verwaltungsrat des Europäischen Zahlungsverkehrsausschusses (European Payments Council, EPC) Montenegro und Albanien als erste Nicht-EU-Mitglieder in den Geltungsbereich des Euro-Zahlungsverkehrsraums SEPA aufgenommen. Seit diesem Jahr sind auch Nordmazedonien und Moldau SEPA-Mitglieder. Finanzinstitute aus diesen Ländern können dem SEPA-Zahlungsverkehrsverfahren voraussichtlich im Oktober 2025 beitreten. Internationale Überweisungen nach und aus den Ländern werden dann günstiger. Die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) kooperiert im Euro-Zahlungsverkehr bereits seit vielen Jahren mit Banken aus der Region.
Zuletzt wurden einige der langfristigen Länderratings angehoben, bspw. von Albanien: im Oktober 2024 von Ba2 auf Ba1 durch Moody’s sowie im März 2025 von BB– auf BB durch S&P. Bonitätsrisiken bleiben trotz positiver Entwicklung aber bestehen. Die EU unterstützt Unternehmen in den Ländern des Westbalkans deshalb mit einer breiten Palette von EU-Programmen, die Darlehen, Bürgschaften, Risikokapital und andere Formen der Eigenkapitalfinanzierung bereitstellen. Banken, Risikokapitalfonds und andere Finanzinstituten verwalten diese Finanzinstrumente.
EEN-Netzwerk besteht aus über 600 Mitgliedern
Doch die Förderung umfasst nicht nur Geld, sondern auch Beratung. Das Enterprise Europe Network (EEN) berät im Auftrag der EU mittelständische Unternehmen zu EU-Fragen, zur Erschließung von Auslandsmärkten und der grenzüberschreitenden Suche nach Geschäfts- und Projektpartnern. Dem Netzwerk haben sich mittlerweile über 600 wirtschaftsnahe Organisationen aus ganz Europa angeschlossen. Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat vor über 20 Jahren das „Zoran Djindjic-Stipendienprogramm der Deutschen Wirtschaft für den Westbalkan“ ins Leben gerufen. Es ermöglicht jungen Graduierten und Studierenden aus den Ländern im Westbalkan, ein Praktikum in einem deutschen Unternehmen zu absolvieren. Seit 2003 haben mehr als 260 deutsche Unternehmen an diesem Programm teilgenommen und Praktikumsplätze für mehr als 1.000 Stipendiatinnen und Stipendiaten zur Verfügung gestellt.
Die LBBW begleitet ihre Unternehmenskunden sowohl beim Markteintritt als auch beim laufenden Ex- und Importgeschäft mit den potenziellen EU-Beitrittsländern. Dies kann bspw. durch Akkreditive, Garantien oder Exportfinanzierungen geschehen. Die LBBW-Westbalkan-Experten sind Muttersprachler und decken sämtliche Sprachen dieser Region ab, u.a. Albanisch, Bosnisch, Nordmazedonisch und Serbisch. Sie wissen: Das Vertrauen der regionalen Partner muss man sich erarbeiten. Vor Ort arbeitet die Landesbank mit ausgewählten lokalen Banken sowie mit den deutschen Auslandshandelskammern zusammen. Genau wie die LBBW-Länderexperten am Hauptsitz der Landesbank in Stuttgart berät, betreut und vertritt das AHK-Netzwerk deutsche Unternehmen, die ihr Auslandsgeschäft auf- oder ausbauen wollen.