Die Welt ist seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs nicht mehr die gleiche. In diesem Beitrag werden acht zentrale Handlungsempfehlungen für die Gestaltung globaler Lieferketten präsentiert.
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Global ausgerichtete Lieferketten und eine Abhängigkeit von China – das zeigen die vergangenen Monate schonungslos auf – müssen zwingend transparent gemacht werden, um neuralgische, existenzbedrohende Risiken ausfindig zu machen und diese zu eliminieren. Das gelingt jedoch nur, wenn alle im Beschaffungsnetzwerk eingebundenen Partner ein gemeinsames Verständnis von Zielen, Projekten und Vorgehen haben. Die Transformation des Unternehmens, die Neuausrichtung bei globalen Wertschöpfungsnetzwerken, Transparenz der Werteströme, Kaizen und andere Handlungsempfehlungen sind hierfür ein vielversprechender Lösungsansatz.
Seien es die verfehlte Null-Covid-Strategie in China, wo immer wieder Lockdowns über die Metropolen verhängt werden wie zuletzt in Schanghai, die allgegenwärtigen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie oder der Krieg in der Ukraine – immer wieder wird uns in der jüngeren Zeit aufgezeigt, wie komplex und damit volatil der globale Handel ist. Die dementsprechende Fragilität der weltweiten Lieferketten ist eine logische Folge davon.
Die zunehmende globale und v.a. digitale Verknüpfung entlang der Wertschöpfungsketten vom Abnehmer bis zum Rohstofflieferanten, einschließlich aller zentralen Wertschöpfungsteilnehmer bzw. Stakeholder, ermöglicht einen nahezu uneingeschränkten Austausch von Daten und Informationen. Damit einhergeht eine maximale Transparenz über einen Großteil der wertschöpfenden Aktivitäten innerhalb von weltumspannenden Lieferketten. Das wirft die Frage nach der zukünftigen Generierung von Wettbewerbsvorteilen von Produktions-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen auf.
Schaut man sich die global führenden Exportländer an, so sieht man, dass China Exportweltmeister ist. Die Volksrepublik exportierte im Jahr 2020 Waren im Wert von rund 2,6 Bio USD und ist damit mit sehr deutlichem Abstand vor den USA (1,43 Bio USD) und Deutschland (1,38 Bio USD) das größte Exportland der Welt (Quelle, Statista 2022). Die unverhältnismäßigen Quarantänemaßnahmen für In- und Ausländer in China in Verbindung mit einem anhaltenden Lockdown lassen nach Angaben der AHK Greater China Unternehmen ihre Lieferketten- und China-Strategie radikal überdenken. Ebenso zeigt der Ukraine-Krieg, dass politische Konflikte eine signifikante Auswirkung auf Lieferketten haben können. Beispiele aus der Vergangenheit wie die Katastrophe aus Fukushima in Japan unterstreichen jedoch auch, dass nicht nur Pandemien oder Konflikte, sondern auch Naturgewalten und -katastrophen sich radikal auf weltweite Lieferketten auswirken können.
Das führt auch in der Logistik und im Supply Chain Management (SCM) zu einer Zeitenwende mit massiven Veränderungen. Aus den vergangenen Ursachen für Lieferdisruptionen lassen sich acht Handlungsempfehlungen für resiliente Lieferketten ableiten:
1. Abkehr von China und Gestaltung von neuen und alternativen Wertschöpfungsnetzwerken (z.B. Japan, Südkorea oder Vietnam)
Die strikte Covid-19-Politik für inländische und ausländische Bürger hat gezeigt, dass eine Versorgung von Gütern aus dem größten Exportland der Welt nicht mehr gesichert werden kann. Schanghai, die größte Hafenmetropole für Container, stand wochenlang still, Containerschiffe konnten nicht be- oder entladen werden und ausländische Firmenmitarbeiter weigern sich, angesichts der restriktiven Maßnahmen weiter in China zu arbeiten. Container- und Frachtkosten haben sich auch wegen dieser Ursachen massiv erhöht. In diesem Kontext ist es ratsam, sich in asiatischen oder internationalen Märkten neu zu orientieren und nach Alternativen in Japan, Südkorea oder Vietnam zu suchen. Die Auslandshandelskammern (AHK), Verbände, Beratungsunternehmen oder Institute können hier unterstützend tätig sein, um alternative Geschäftsbeziehungen aufzubauen.
2. Transformation des Unternehmens mit der Stärkung der Einkaufskompetenzen und Transparenzmachung von Wertschöpfungsnetzwerken
Die enge und partnerschaftliche Zusammenarbeit mit internen und externen Wertschöpfungspartnern und Lieferanten hat die Rolle des Einkaufs als Wertschöpfungstreiber und Kostenoptimierer nachhaltig verändert. Gleichzeitig muss der Einkauf seine eigenen Abläufe optimieren und standardisieren. Der Einkauf übernimmt in dieser zentralen Funktion die Rolle des Managers der Wertschöpfung außerhalb des Unternehmens. Er managt und bündelt Bedarfe, verhandelt Preise, qualifiziert Lieferanten und sorgt dafür, dass Materialien verlässlich in der gebotenen Qualität zur Verfügung stehen. Weitere Aufgaben kommen hinzu. Der Einkauf wird zu einer Kernfunktion im Unternehmen, zu einem Businesspartner auf Augenhöhe, was in der Unternehmensstrategie verankert werden muss.
Das setzt voraus, dass sich der Einkauf in eine smarte und agile Organisation transformiert, die mit dem technologischen, wirtschaftlichen, ökologischen, politischen und kulturellen Wandel und den damit verbundenen Anforderungen an die Beschaffung (Nachhaltigkeit, Lieferrisiken, Innovationen) umgehen kann. Sich schneller verschiebende Warengruppenstrukturen verändern auch die Zusammenarbeit mit den Lieferanten. Die frühzeitige Einbindung des Einkaufs und der Lieferanten wird zum kritischen Erfolgsfaktor für die Entwicklung neuer Produkte und Leistungen. Hierfür ist ein strukturiertes Lieferantenmanagement entscheidend. Auch das Innovationsmanagement wird zum Mehrwert des Einkaufs wesentlich beitragen.
3. Strategische Überprüfung der Kern- und Randkompetenzen (Make/Buy) mithilfe des Total-Cost-of-Ownership-Ansatzes
Unternehmen müssen auf Basis einer Gesamtkostenanalyse stetig (TCO) evaluieren, ob sie Produkte in Eigen- oder Fremdarbeit (Outsourcing) herstellen wollen. Hierfür ist es notwendig, dass unternehmensübergreifende Teams regelmäßig Risikoabschätzungen für alle Beschaffungsumfänge durchführen.
4. Umsetzung von glokalen und dualen Wertschöpfungsstrategien
Globale Auswirkungen wie Kriege, Pandemien, Ölpreisanstieg oder die Blockade des Suez-Kanals durch ein Containerschiff im Frühjahr 2021 zeigen, dass internationale Lieferketten sehr volatil und risikobehaftet sein können. Für kritische Warengruppen oder Commodities empfiehlt es sich daher, einen Mix und Stamm aus globalen und lokalen Lieferanten aufzubauen, um Risiken besser mitigieren zu können. Unternehmen setzen oftmals auf eine Zwei-Lieferanten-Strategie für strategische Materialgruppen (Dual Sourcing).
5. Nachhaltigkeit, Corporate Social Responsibility (CSR) und Environmental Social Governance (ESG)
Nachhaltigkeit in der Lieferkette zielt auf das Management der ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen in Lieferketten. Nachhaltiger Einkauf ist die Integration von Grundsätzen der sozialen Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility, CSR) und der Aspekte Environmental, Social, Governance (ESG) in die Beschaffungsprozesse und -entscheidungen des Unternehmens, wobei gleichzeitig sichergestellt wird, dass diese den Anforderungen der Stakeholder entsprechen. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), auch als Lieferkettengesetz bekannt, dient in diesem Zusammenhang neben anderen Nachhaltigkeitswerkzeugen (Audits, Code of Conduct, Code of Ethics oder Normen) der Verbesserung der internationalen Menschenrechtslage, indem es Anforderungen an ein verantwortliches Management von Lieferketten für bestimmte Unternehmen festlegt.
6. New Work als Impulsgeber für agile und global agierende Teams
Arbeitskonzepte, -stile und -verhalten unterliegen seit einigen Jahren einem grundlegenden und strukturellen Wandel. New Work ist das Ergebnis dieser Transformation und des Kulturwandels. Digitalisierung, Vernetzung und Globalisierung sowie der demografische Wandel gehören zu den Faktoren, die zum Wandel der Arbeitswelt beitragen. Wenn Unternehmen auch in Zukunft eine nachhaltige und langfristige Wettbewerbsposition behaupten wollen, ist es notwendig, sich kontinuierlich den Marktgegebenheiten anzupassen und Veränderungsprozesse schneller als der Wettbewerb voranzutreiben. Experten nennen dieses Konzept „Organisationsgesundheit“.
Die zunehmende Vernetzung der Arbeitswelt und fortschreitende Informations- und Kommunikationstechnologie ermöglichen es, dass Teams weltweit per Mausklick zusammenarbeiten. Dadurch ergeben sich neue Anforderungen an die Mitarbeiter und Führungskräfte. Die Führung virtueller Teams verlangt neben konventionellen Managementfertigkeiten zusätzliche Kompetenzen im Umgang mit der besonderen Dynamik virtueller Zusammenarbeit.
Die Identifizierung mit dem virtuellen Team fällt vielen Mitarbeitern schwer. Diese Verbundenheit ist aber entscheidend für den Erfolg des virtuellen Teams. Eine schwächere Identifizierung der Mitarbeiter mit dem Team kann zur Reduktion des Mitarbeiter-Commitments und der -zufriedenheit führen. Der Wandel von konventionellen Face-to-Face-Teams zu virtuellen Teams ist eine tiefgreifende Transformation des Arbeitsalltags vieler Mitarbeiter. Organisationale Prozesse, die Kommunikation mit den Teamkollegen sowie die benutzten Tools und Kommunikationsmedien verändern sich. Die Arbeitnehmer müssen auf diese Veränderung vorbereitet und in den Veränderungsprozess eingebunden werden, sonst können sie das Projekt zum Scheitern bringen.
7. Aktives Innovationsmanagement als Treiber für alternative Anwendungen und Produktalternativen
Innovationsmanagement ist eine Kombination aus dem Management von Innovationsprozessen und Change Management. Es bezieht sich auf Produkt-, Geschäftsprozess-, Marketing- und Organisationsinnovationen. Innovationen als Treiber für alternative Prozesse, Produkte und Verfahren müssen in die Unternehmensstrategie eingebunden werden. Hier empfehlen sich Innovationsteams, die aus unterschiedlichen Funktionen bestehen. Auch ist die Beziehung zu Lieferanten mit hohem Innovationspotenzial ein Wettbewerbsvorteil.
8. Kaizen als Wettbewerbsvorteil
Natürlich ist es wünschenswert, dass diese Wettbewerbsvorteile nachhaltig ausgelegt sind. Doch noch existenzieller sind kurzfristige Lösungsansätze, denn viele Unternehmen kämpfen auch aktuell wieder mit gewaltigen Einbrüchen bei Auftragseingang und Umsatz. Das wiederum hat dramatische Folgen, wenn es um die Profitabilität oder Bonität geht. Um aber diese Werte nachhaltig zu sichern, müssen Maßnahmen zur kurzfristigen Kostensenkung eingeleitet werden. Neben der Transparenzmachung von Lieferketten durch Wertstromanalysen sind Kaizen oder die schlanken Prinzipien entlang der Lieferanten- und Wertschöpfungsketten geeignete Tools, um die Unternehmensziele zu erreichen.
Kaizen und Lean Management umfassen zahlreiche Tools, mit denen Verschwendung – also Prozesse, Aktivitäten oder Produkte, für die der Kunde nicht bereit ist zu zahlen – eliminiert wird. Dazu gehören bspw. das 5S-Konzept oder Poka Yoke, das Ziehprinzip, das Taktprinzip, die Null-Fehler-Philosophie oder das Fließprinzip.
Kaizen ist sowohl eine japanische Lebens- und Arbeitsphilosophie als auch ein methodisches Konzept, in dessen Zentrum das Streben nach kontinuierlicher und unendlicher Verbesserung steht. Es geht dabei um eine schrittweise, punktuelle Perfektionierung oder Optimierung eines Produkts oder eines Prozesses. Der integrative Ansatz von der Kundenbestellung über die Planung, Beschaffung, Produktion und Logistik bis hin zum umgekehrten Logistikprozess ermöglicht es den Unternehmen, Entscheidungen für das Management ihrer Geschäftshandlungen zu treffen.
Ein bedeutender Unterschied zwischen Kaizen und westlich geprägten Managementmethoden besteht darin, dass Kaizen automatisch mit einer prozessorientierten Denkweise verbunden ist. Verbesserungen werden in kleinen Schritten kontinuierlich erzielt. Kaizen ist daher eine Methode inkrementeller Verbesserungen, indem die Mitarbeiter aufgefordert werden, laufend kleine Änderungen in ihrem Arbeitsbereich vorzunehmen. Der kumulative Effekt dieser vielen kleinen Änderungen im Laufe der Zeit kann sehr bedeutend sein, insbesondere dann, wenn alle Mitarbeiter eines Unternehmens und seine Führungskräfte Kaizen verpflichtet sind.
Kaizen kann mithilfe der Lieferantenentwicklung in Kollaboration mit Lieferanten durchgeführt werden. Steht das Unternehmen erst am Anfang dieser Entwicklung, so empfiehlt es sich, Schlüssellieferanten in die eigene Wertschöpfungskette einzubinden. Als Lieferantenentwicklung wird der direkte Eingriff, bspw. eines Autoherstellers bei einem Zulieferbetrieb, bezeichnet. Die Lieferantenentwicklung dient der Leistungsverbesserung innerhalb der Wertschöpfungskette.