Die unter anderem für Deutschland zuständige Coface-Ökonomin Christiane von Berg spricht im Exklusivinterview mit dem „ExportManager“ über die Risiken für die Weltwirtschaft, die Widerstandsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und zarte Hoffnungen für eine Trendwende.

Hallo Frau von Berg, der Ukraine-Krieg hält unvermindert an, die Situation in Nahost eskaliert zusehends, in den USA ist ein Zoll-Freund an der Macht: Haben Sie noch einen Durchblick bei der Vielzahl an globalen Risiken?

Christiane von Berg: Hallo! Tja, die ehrliche Antwort wäre wohl: Sie war stets bemüht. Ich würde sehr gerne ja sagen, aber angesichts der vielen Risiken weltweit habe ich Zweifel, dass ich alle Risiken sehe oder gar deren Tragweite verstehe. Früher konnte man sich in einzelne Themen richtig einarbeiten. Heute ändern sich Risiken von Tag zu Tag. Es geht in meiner Arbeit daher hauptsächlich darum zu schauen, ob es neue Risiken oder neue Entwicklungen in einem Themengebiet gibt, und ob diese wirtschaftsrelevant sind. Wenn Letzteres nicht der Fall ist, kann ich mich leider nicht damit befassen, zumindest nicht beruflich.

Wie bewerten Sie die aktuelle Lage für die Weltwirtschaft?

Von Berg: Die Lage bleibt schwierig. Viele Zusammenhänge und Regeln, die früher galten, bröckeln aktuell. Die Weltwirtschaft und ihr Wachstum baut auf dem globalen Handel auf, der wiederum auf Sicherheiten von Zusagen beruht. Die Wirtschaftspolitik der Trump-Administration bringt diese Sicherheit ins Wanken. Und wenn man sich auf den wichtigsten Handelspartner nicht mehr verlassen kann, dann führt dies zu einer starken Investitions- und Konsumzurückhaltung. Damit meine ich im Übrigen nicht nur die USA, auf die sich Europa verlassen hat. Auch Deutschland galt innerhalb Europas als Wachstumsmotor und kann dies in den letzten sechs Jahren nicht mehr erfüllen. Es ist schon interessant, dass die Schwellenländer, exklusive China, derzeit zusammen wohl die größte Beständigkeit aufweisen.

Was lässt Sie aktuell ruhig schlafen?

Von Berg: Als Rheinländerin bin ich generell zu einem Grundoptimismus erzogen worden. Aktuell ist es so, dass ich mich bei all den globalen schlechten Nachrichten gerne davon abkopple und meinen Fokus auf mein direktes Umfeld lege. Wenn ich sehe, dass es meiner Familie, meinen Freunden, meinen Kollegen und Nachbarn gut geht, dann bin ich beruhigt. Denn nur auf diese Punkte kann ich selbst einwirken, auf alles andere habe ich keinen Einfluss.

Angesichts der zunehmenden Fragmentierung der globalen Wirtschaft – sehen wir einen Trend zur Entglobalisierung, eher eine Umstrukturierung weltweiter Lieferketten oder ist es eine völlig neue Entwicklung, die man noch nicht beim Namen nennen kann?

Von Berg: Ich weiß nicht, ob das in eine der von Ihnen genannten Kategorien fällt, aber ich sehe vor allem zwei Punkte: Vertrauensverlust und Kurzfristigkeit. Das Grundvertrauen in der Wirtschaft, dass jeder danach strebt, möglichst wirtschaftlich zu handeln und dafür die Voraussetzungen zu schaffen als Staat, sind nicht mehr da. Deswegen diversifizieren Unternehmen ihre Handelsbeziehungen und bauen hierbei nicht auf Langfristigkeit, sondern versuchen möglichst flexibel zu bleiben. Diese Flexibilität hat allerdings ihren Preis.

Wie sollte sich die Europäische Union in dieser Situation verhalten?

Von Berg: Die EU kann viel gewinnen, wenn Sie sich jetzt als Anker der Stabilität erweist und nicht allen Forderungen, zum Beispiel der Trump-Administration, nachkommt. Stabilität ist zusammen mit Kosten der wichtigste Faktor für Investitionen. Und die brauchen wir. Man sieht es recht gut an den Finanzmärkten. Da profitieren gerade der DAX, aber auch der spanische und italienische Aktienmarkt von Kapitalabflüssen aus den USA. Davon abgesehen müssen EU-Regeln überarbeitet werden. Die Abstimmungen und Maßnahmen brauchen zu lange und werden oftmals von einzelnen Ländern blockiert. So kann eine Wirtschaftsunion nicht arbeiten und auf die schnellen globalen Entwicklungen reagieren.

Wie bewerten Sie den jüngsten Anstieg des Ölpreises und die Sorgen um eine Blockade der Meeresenge an der Straße von Hormus?

Von Berg: Die Frage und die Tatsache, dass ich diese Frage im Laufe der letzten Tage immer wieder anders beantwortet hätte, ist ein gutes Beispiel für die Schnelllebigkeit der Risiken. Man kommt kaum noch hinterher. Der Anstieg des Ölpreises, zum Beispiel von Nordseeöl um 17 US-Dollar innerhalb von rund zwei Wochen im Juni war schon erheblich und zuletzt 2022 zu Beginn des Kriegs in der Ukraine zu beobachten. Damals fiel der Anstieg jedoch viel stärker aus und kam auch von einem erheblich höheren Niveau. Im Endeffekt muss man sagen, dass wir uns alle glücklich schätzen können, dass der Iran es erst einmal bei dem symbolischen Angriff auf die US-Streitkräfte in Katar belassen hat. Die Blockade der Straße von Hormus hätte eine erhebliche Eskalation bedeutet. Denn damit hätte der Iran nicht nur sein eigenes Geschäftsmodell in Gefahr gebracht, sondern auch den Öl- und Güterhandel wichtiger Länder der Region wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait, Irak und Katar stark belastet. China, das von der Handelsroute ebenfalls stark abhängig ist, wäre wohl auch nicht erfreut gewesen. Der Iran hätte sich also mit vielen Parteien gleichermaßen angelegt.

Denken Sie, dass ein weiterer Ölpreis- bzw. Energieschock droht wie in den 1970er Jahren, zu Beginn der 90er Jahre oder auch nach dem Beginn des Ukraine-Krieges?

Von Berg: Fürs Erste kann ich die Frage mit nein beantworten. Bei den Vergleichen zur ersten und zweiten Ölkrise in den 1970/80ern muss man auch bedenken, dass sich der Ölmarkt verändert und neue Teilnehmer dazugekommen sind. Damals waren die USA noch kein Nettoölexporteur und Norwegen spielte, wenn überhaupt, eine nachgeordnete Rolle. Gerade zum Jahresanfang haben Kanada, Brasilien und Guyana, die erst seit wenigen Jahren überhaupt Öl fördern, ihre Produktion ordentlich ausgeweitet und damit die globalen Ölreserven erhöht. Beim Beginn des Krieges in der Ukraine spielten zudem Panikkäufe eine größere Rolle, die den Markt künstlich verknappt haben.

Welche Indikatoren beobachten Sie am genauesten, um die Widerstandsfähigkeit der deutschen und europäischen Wirtschaft gegenüber externen Schocks einzuschätzen?

Von Berg: Die Abhängigkeit von externen Schocks geht sehr oft über den Außenhandel. Demnach müsste man sich den Anteil der Exporte und Importe im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt anschauen. Dies ist aber strukturell bedingt und nicht einfach zu ändern. Insoweit schaue ich mir vor allem die privaten Konsumausgaben und die Investitionen von Unternehmen und Privathaushalten an – als Indikator, wie sich die heimische Wirtschaft ohne das Ausland entwickelt.

Christiane von Berg. © Yves Otterbach/Coface

Was sind derzeit aus Ihrer Sicht die größten Risiken für deutsche und europäische Unternehmen?

Von Berg: Für mich ist es die fehlende Planbarkeit. Hierzu zählen die globalen Risiken, aber auch im deutschen und europäischen Inland ändern sich Vorgaben und Strategien oft. Das hängt auch mit der politischen Führung zusammen. In den Niederlanden ist gerade die Regierung zusammengebrochen. Vor 2026 ist nicht mit einer neuen Koalition zu rechnen. In Spanien ist die Regierung ebenfalls angezählt und in Frankreich gibt es ebenso Probleme. In Deutschland werden im Wahlkampf Versprechungen gemacht, die dann aber nicht oder ganz anders umgesetzt werden. Insoweit ist es nicht einfach, sich als Unternehmen hier optimal aufzustellen.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Inflationsentwicklung in den Industrieländern und welche Maßnahmen sind Ihrer Meinung nach am effektivsten, um Preisstabilität zu gewährleisten?

Von Berg: Ich sehe die Inflation speziell in Europa als gebannt an. Im Euro-Raum ist sie im Mai 2025 auf 1,9% gefallen und liegt damit unter dem Inflationsziel der EZB. In der Schweiz haben wir gar eine minimale Deflation – das heißt, die Preise sinken gegenüber dem Vorjahr. Die Zinspolitik der Zentralbanken war drastisch, hatte aber den gewünschten Effekt. Das Wachstum wurde abgewürgt, die Nachfrage gab nach und somit ließ auch der Preisdruck los. Das war effektiv, aber einfach war es nicht für alle Beteiligten.

Was sind die wichtigsten Ergebnisse der neuesten Coface-Zahlungserfahrungsstudie?

Von Berg: Wir sind noch mitten in der Analyse, deshalb kann ich an dieser Stelle noch nicht viel sagen. Es zeichnet sich allerdings ab, dass sich die Zahlungsmoral weiter verschlechtert hat. In einzelnen Kategorien sehen wir Ergebnisse, die das letzte Mal 2016 erreicht wurden. Das passt gut zu den erhöhten Insolvenzzahlen, die wir aktuell in Deutschland sehen. Immerhin, der Ausblick für 2026 ist verhalten optimistisch. Wer Genaueres erfahren möchte: Wir stellen die Studienergebnisse am 10. Juli im Rahmen eines Webinars vor.

Wie genau steht es denn um diese Insolvenzzahlen in Deutschland?

Von Berg: Bei der Anzahl der Insolvenzen muss man sagen, dass es Monate mit kurzen Verschnaufpausen gibt. Aber insgesamt hält der steile Anstiegstrend, der Mitte 2022 angefangen hat, auch in diesem Jahr an. Derzeit sind wir mit rund 2.000 Insolvenzen im Monat grob auf dem Niveau, das zuletzt 2015 gesehen wurde. Das ist im historischen Vergleich noch ein moderates Niveau, aber wir sind es in Deutschland nach 10 Jahren einfach nicht mehr gewohnt, so hohe Zahlen zu haben. Bei den erwarteten Forderungen aus diesen Insolvenzen sieht es deutlich schlimmer aus. Bis März 2025 sind für die Gesamtwirtschaft Forderungen von 19,7 Mrd. EUR angehäuft worden. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2022 lag die Forderungssumme bei 14,3 Mrd. EUR. Sollten die Schäden je Monat so hoch bleiben wie im ersten Quartal, dann wird das Jahr 2025 das teuerste Jahr seit mindestens 2008 werden. Von den Jahren davor haben wir leider keine Daten.

Wann und wie kann die deutsche Wirtschaft Ihrer Meinung nach aus der anhaltenden Stagnation herauskommen?

Von Berg: Aktuell gibt es tatsächlich erste Anzeichen der Erholung. Die Gesamtstimmung in der Wirtschaft und ein paar Konjunkturdaten beleben sich, auch weil die Regierung sich bemüht, einige unternehmensfreundliche Maßnahmen wie den Investitionsbooster umzusetzen. Die Senkung der Stromsteuer für Unternehmen ist ebenfalls geplant im aktuellen Haushaltsentwurf. Die staatlichen Maßnahmen zusammen sollten zu einer moderaten Erholung führen. Einen riesigen Sprung erwarten wir bei Coface zumindest kurzfristig jedoch nicht.

Christiane von Berg ist Volkswirtin für BeNeLux & DACH beim Kreditversicherer Coface. Die Fragen stellte Jörg Rieger.

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