Viele Jahre standen die Volkswirtschaft Argentiniens und die des Nachbarlands Brasilien unter keinem guten Stern. Argentinien befand sich mehrmals vor einer Staatspleite, in Brasilien herrschte politische Orientierungslosigkeit. Jetzt dreht sich der Wind: Mit den neuen Regierungen wächst das Vertrauen ausländischer Unternehmen. Eine neue Dynamik entsteht, von der exportorientierte Unternehmen profitieren können.

Von Michael Maurer, Head of Relationship Management Trade & Export Finance, Landesbank Baden-Württemberg

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Der südamerikanische Staatenbund Mercosur ist für Deutschland ein bedeutender Partner. Die Bundesrepublik exportierte im Jahr 2016 Waren im Wert von 11,5 Mrd EUR in die Mercosur-Länder Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay, meist Maschinen oder Pharma- und Chemieerzeugnisse. Die lateinamerikanischen Staaten führen umgekehrt vor allem Agrarprodukte und Rohstoffe in die EU ein, im vergangenen Jahr lag der Warenwert bei 9,8 Mrd EUR. Um die Handelsaktivitäten zu vereinfachen, laufen bereits seit dem Jahr 2000 Gespräche über ein Freihandelsabkommen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und den Mercosur-Ländern. Diesen Herbst ist eine neue Verhandlungsrunde angesetzt.

Argentinien auf Wachstumskurs

Besonders großes Potential hat momentan Argentinien. Seit dem Regierungswechsel vor zwei Jahren steigen die wirtschaftlichen Möglichkeiten für ausländische Unternehmen. Das Vertrauen in die argentinische Wirtschaft müssen viele Investoren allerdings erst wiederfinden: In den vergangenen 200 Jahren war Argentinien achtmal pleite. Zudem hat der sozialistische Kurs der Regierung Kirchner viele Investoren vergrault.

Doch nach einer Anpassungsrezession im vergangenen Jahr, die mit einer hohen Inflationsrate und niedriger Wirtschaftsleistung einherging, bewegen sich die Indikatoren nun wieder aufwärts. Die Wirtschaft wächst in diesem Jahr voraussichtlich um 2,5%. Die Inflation geht spürbar zurück: Während die Landeswährung Peso 2016 im Durchschnitt um 60% an Wert gegenüber dem US-Dollar verlor, liegt die Inflationsrate inzwischen bei 25%. 2018 könnte sie Prognosen zufolge bis auf 15% sinken. Argentinische Staatsanleihen, auch die mit langen Laufzeiten, sind bei Investoren wieder beliebt. Besondere Aufmerksamkeit hat die im Sommer erfolgreich begebene 100-jährige Staatsanleihe erregt, die sogar mehrfach überzeichnet war und wiedergewonnenes Vertrauen beweist.

Die LBBW spürt die aufkommende Zugkraft Argentiniens in der Außenhandelsfinanzierung. Hier verzeichnet das Land eine der höchsten Wachstumsraten, der Anstieg ist geradezu sprunghaft. Das liegt unter anderem am liberalen Kurs der neuen Regierung, die nach und nach Subventionen abbaut und so ausländischen Unternehmen den Marktzugang erleichtert. Präsident Mauricio Macri kehrt die Politik seiner Vorgängerin Cristina Kirchner um, die auf soziale Umverteilung und staatliche Eingriffe in die Wirtschaft setzte. Macri will stattdessen die Wirtschaft liberalisieren, Subventionen und Devisenkontrollen abbauen.

Vor allem der Ausbau der Infrastruktur treibt das Wachstum, etwa im Energiebereich: Argentinien hat einen stark steigenden Strombedarf, der sich aus der bisherigen Energieproduktion bald nicht mehr decken lässt. Bis zum Jahr 2025 müssen in Argentinien rund 21 Gigawatt an zusätzlicher Stromerzeugungskapazität ans Netz gehen, um die Stromnachfrage zu befriedigen, rechnen die Experten der Außenwirtschaftsagentur Germany Trade and Invest vor. Dafür sind Investitionen von rund 35 Mrd USD erforderlich.

Erneuerbare Energien bieten besonders gute Wachstumsmöglichkeiten. Bislang kommt der Großteil der Stromversorgung aus Wasserkraftwerken. Wind- und Solarenergie spielen dagegen nur eine marginale Rolle. Dabei sind die Voraussetzungen besonders günstig: Argentinien gehört zu den Standorten mit den stärksten Sonneneinstrahlungswerten weltweit, auch die durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten sind hoch. Hier dürfte es in den kommenden Jahren also zu regen Investitionen kommen.

Brasilien steht in den Startlöchern

Die LBBW betreut den argentinischen Markt und das südliche Lateinamerika vom Nachbarland Brasilien aus. Die Repräsentanz in São Paolo feiert im kommenden Jahr ihr 20-jähriges Bestehen. Die Experten vor Ort verfügen über ein breites Netzwerk und bieten individuelle Lösungen. Denn gerade für mittelständische Unternehmen ist es in Lateinamerika schwierig, eine langfristige Finanzierung zu bekommen. Hier können die Spezialisten der LBBW helfen, in den von Land zu Land unterschiedlichen Geschäftsusancen den Überblick zu behalten und passgenaue langfristige Finanzierungen zu ermöglichen.

Brasilien ist nicht nur für die LBBW eine wichtige Drehscheibe: Das fünftgrößte Land der Welt gilt als Wirtschaftsmotor Südamerikas und wird von ausländischen Unternehmen gern zum Markteintritt in der Region genutzt. Die Verbindungen zwischen Brasilien und Argentinien sind sowohl geographisch als auch wirtschaftlich eng. Der Volksmund sagt: Wenn es Brasilien gutgeht, geht es auch Argentinien gut.

Wirklich gut geht es Brasilien zwar noch nicht. Der Staat kommt gerade aus der schwersten Rezession seiner Geschichte. Mittlerweile mehren sich jedoch die Anzeichen für einen Aufschwung. Zwar kann von Erholung noch keine Rede sein, mit etwas Glück dürfte die brasilianische Wirtschaft im laufenden Jahr aber ein kleines Wachstum von immerhin 0,5% erzielen. Ähnlich wie im Nachbarland Argentinien trägt auch in Brasilien besonders die Infrastruktur- und Energiebranche zu den positiven Zahlen bei.

Während sich die wirtschaftliche Situation also langsam erholt, ist die politische Lage in Brasilien allerdings weiterhin angespannt. Das liegt nicht nur daran, dass die Arbeitslosenquote mit 13% immer noch recht hoch ist, sondern auch an immer neuen Krisen und Skandalen in der Regierung. Im vergangenen Jahr wurde Staatspräsidentin Dilma Rousseff wegen Haushaltsmanipulationen ihres Amtes enthoben. Ihr Nachfolger Michel Temer steckt ebenfalls tief im Korruptionssumpf: Angesichts immer neuer Enthüllungen und Bestechungsskandale steigt die Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Das dürfte den dringend notwendigen Konsolidierungs- und Reformkurs weiter erschweren.

Trotz aller Widrigkeiten sind Argentinien und Brasilien für ausländische Unternehmen höchst lukrativ. Auch die anderen beiden Mercosur-Staaten Uruguay und Paraguay könnten künftig noch interessanter werden. Dort sind die Steuern niedrig, ebenso die Lohn- und Energie-kosten. Die sozialistischen Sorgenkinder von einst, sie mausern sich zusehends Richtung unternehmerfreundliche Hoffnungsträger.

michael.maurer@lbbw.de

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