Trotz einer moderaten Rückkehr des Wirtschaftswachstums in diesem Jahr stehen die Zeichen in Brasilien noch immer nicht auf Entspannung. Das Land am Zuckerhut hat weiter mit Herausforderungen zu kämpfen, darunter politische Unsicherheiten und ein hohes Staatsdefizit. Auch beim Zahlungsverhalten haben die Lieferanten und Dienstleister des Amazonas-Staates laut dem aktuellen Atradius Zahlungsmoralbarometer schlechtere Werte als im Vorjahr gemeldet.

Dr. Thomas Langen, Senior Regional Director Deutschland, Mittel- und Osteuropa, Atradius Kreditversicherung

Beitrag als PDF (Download)

Nachdem Brasiliens Bruttoinlandsprodukt 2016 um 3,6% zurückging, erholt sich die Wirtschaft in diesem Jahr mit einem prognostizierten BIP-Wachstum von 0,6% langsam wieder. Dennoch ist die Gesamtstimmung aktuell eher verhalten − trotz positiver Entwicklungen für das Land durch gestiegene Rohstoffpreise oder gesunkene Zinsen. Ein Grund hierfür ist, dass nach der Ernennung von Michel Temer zum Präsidenten im vergangenen Jahr die politische Situation immer noch unsicher und das Staatsdefizit weiterhin groß sind. Auch der neue Staatschef hat mit Reputationsschäden zu kämpfen, unter anderem durch Korruptionsvorwürfe und wegen seines rigiden Vorgehens zur Beseitigung der Staatsschulden.

Haushaltssituation Brasiliens weiterhin kritisch

Präsident Temer ist daher gezwungen, Maßnahmen zur Auffüllung der infolge der expansiven Fiskalpolitik der vergangenen Jahre leeren Staatskassen einzuleiten. Im Juli wurde eine Arbeitsmarktreform verabschiedet, die für heftige Proteste gesorgt hat, da durch sie zahlreiche Arbeitnehmerrechte geschmälert wurden. Auch das Vorhaben, eine Regenwaldfläche zur Rohstoffgewinnung freizugeben, sorgte für großen Unmut in der Bevölkerung. Außerdem plant der Präsident mit seiner Regierung umfassende Pensionsreformen und Privatisierungen. Unter anderem sollen staatliche Beteiligungen an Unternehmen und Flughäfen verkauft werden, darunter auch der größte Stromkonzern Brasiliens.

Neben der Haushaltslage bremsen weitere Faktoren eine positivere Entwicklung der brasilianischen Wirtschaft. Nach wie vor leidet das Land unter einer hohen Arbeitslosigkeit, der relativ geringen Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Produktionssektors sowie dem gedämpften Investitions- und Konsumklima. So dürften trotz der moderaten Erholung der Wirtschaft als Folge der langen Rezession auch die Insolvenzen in diesem Jahr erneut ansteigen.

Rezession wirkt auch in der Zahlungsmoral nach

Die schwierige Gesamtlage Brasiliens spiegelt auch das „Atradius Zahlungsmoralbarometer Amerika“ wider. Für die Studie haben wir Firmen aus Amerika, Mexiko, Brasilien und Kanada zum Zahlungsverhalten ihrer Geschäftskunden in den vergangenen zwölf Monaten befragt.

92,7% der an der Studie teilnehmenden brasilianischen Unternehmen meldeten dabei verspätete Zahlungen ihrer inländischen Kunden im Befragungszeitraum. Damit liegt der Wert noch höher als im Vorjahr (91,4%). Im Durchschnitt gewährten die brasilianischen Unternehmen ihren inländischen Kunden ein Zahlungsziel von 31 Tagen und ihren ausländischen Kunden eines von 33 Tagen. Kleine und mittelständische Unternehmen gewährten dabei insgesamt längere Zahlungsziele als Großunternehmen. Mit durchschnittlich 56 Tagen räumen brasilianische Firmen die längsten Zahlungsziele für Kunden aus dem Maschinen- und Anlagenbau ein, gefolgt von denen aus der Metallindustrie mit 39 Tagen und denen aus der Papierindustrie mit nur noch 30 Tagen. Insgesamt lagen in den vergangenen zwölf Monaten im Schnitt ganze 63 Tage zwischen der Rechnungsstellung und dem Zahlungseingang bei den Lieferanten.

2,5% des Gesamtwertes an offenen Forderungen blieben bei den befragten Brasilianern uneinbringlich und mussten damit abgeschrieben werden. Das ist der höchste Wert in der gesamten Studie. Im Vorjahr lag der Wert bei 2%. Die brasilianischen Unternehmen gewähren, wie auch 2016 schon beobachtet, mehr Zahlungen auf Ziel an inländische Geschäftspartner als an ausländische Kunden. Insgesamt wurden 48% der Zahlungen mit Zahlungsziel gewährt, gut 2% mehr als noch im Jahr 2016.

Gründe für Forderungsausfall ­vielfältig

53% der befragten brasilianischen Unternehmen gaben als Hauptgrund für ausgefallene Forderungen die Insolvenz oder Betriebsaufgabe des Kunden an. 39% der Befragten nannten fehlgeschlagene Inkassomaßnahmen als Grund für ausgefallene Forderungen.

37% der befragten Unternehmen konnten den Kunden nicht ausfindig machen. Aus diesen Gründen wollen 33% der Befragten die Kreditwürdigkeit der Unternehmen, mit denen sie zusammenarbeiten, in den kommenden Monaten intensiver prüfen. 31% haben sich dafür entschieden, das Abnehmerrisiko genauer zu analysieren.

USA – Anlass zur Sorge

Obwohl Brasilien einen vergleichsweise geringen Teil seiner Exporte in die USA liefert, ist die Sorge der brasilianischen Unternehmen vor einem möglichen US-amerikanischen Protektionismus groß, wie eine Extraumfrage zur aktuellen Situation im Rahmen des Atradius Zahlungsmoralbarometers 2017 ergab. 28% der Firmen wollen daher ihr Kreditmanagement verbessern. 36% wollen die Kreditwürdigkeit ihrer Abnehmer verstärkt prüfen, und 34% wollen das Ausfallrisiko analysieren.

Unsichere Weltwirtschaft macht sich bemerkbar

Das hohe Maß an Unsicherheit in der Weltwirtschaft, insbesondere in Bezug auf die Handelspolitik, belastet die Unternehmen. Dies wirkt sich nicht nur auf die Zahlungsmoral in Brasilien, sondern auch auf die in ganz Nord- und Südamerika sowie auf die weltweite Zahlungsmoral aus.

Die Ergebnisse unserer Befragung zeigen, dass die brasilianischen Unternehmen im aktuellen Wirtschaftsumfeld aufgrund der möglichen Auswirkungen von Zahlungsverzügen auf ihre Liquidität beunruhigt sind. Deshalb empfiehlt es sich, ein starkes Forderungsmanagement inklusive Kreditversicherung zu haben, um Störungen des Cashflows und damit einen Dominoeffekt auf die Lieferkette zu verhindern.

Das aktuelle „Atradius Zahlungsmoralbarometer Amerika“ finden Sie auf www.atradius.de im Menüpunkt Publikationen.

thomas.langen@atradius.com

Aktuelle Beiträge

Cookie-Einwilligung mit Real Cookie Banner