Bangladesch durchläuft eine schwere politische Krise – der Ausgang ist noch ungewiss. Dies beeinträchtigt die Geschäftsentwicklung spürbar, doch die wirtschaftliche Stabilität des Landes bleibt gewahrt. So stuft die Credendo Group das kurzfristige Risiko (mit Kategorie 3 von 7) als relativ niedrig ein. Devisenreserven auf Rekordhöhe – ein Ergebnis robuster Textilexporte und bedeu­tender Überweisungen der in den Golfstaaten arbeitenden Emigranten – sorgen für eine gute internationale Zahlungsfähigkeit.

Von Christoph Witte, Direktor Deutschland, Credimundi, Member of the Credendo Group

Die Amtszeit der regierenden säkularen Awami-Liga (AL) verlief relativ ruhig – bis im vergangenen Jahr einzelne Fabrikgebäude der Textilindustrie einstürzten und die Anhänger der islamischen Nationalistischen Partei (BNP) sich radikalisierten. Sie protestierten auch gegen umstrittene Gerichtsverfahren infolge der Kriegsverbrechen im Unabhängigkeitskrieg von Bangladesch. Historische Führungspersönlichkeiten der BNP und der verbündeten Partei Jamaat-e-Islami müssen sich vor dem Kriegsverbrechertribunal verantworten. Gegen sie wurden Gefängnisstrafen sowie Todesurteile verhängt.

Die BNP setzte sich für eine neutrale Übergangsregierung ein, die die Wahlen organisieren sollte. Die AL lehnte dies jedoch ab – weshalb es monatelang zu gewalttätigen Streiks und Protesten mit einer Rekordzahl von Todesopfern kam. Die BNP und ihre Verbündeten boykottierten die Wahl, so dass der Sieg der AL nicht überzeugte. Seitdem ist die Lage zwar wieder etwas ruhiger geworden, doch solange sich die derzeitige Premierministerin Sheikh Hasina gegen Neuwahlen wehrt und kein politischer Kompromiss gefunden wird, können die Konflikte jederzeit wieder aufflammen. Es besteht die Gefahr, dass sich die islamische Bevölkerung radikalisieren könnte. Angesichts einer Regierung, die sich Korruption und Wahlbetrug vorwerfen lassen muss, könnten der Terrorismus im Land und die Popularität der islamischen Parteien zunehmen.

Textilwirtschaft setzt auf Wandel

Bislang ist es der Wirtschaft relativ gut gelungen, die negativen politischen Einflüsse abzuwehren – insbesondere der Textil- und Bekleidungssektor hatte kaum unter Nachfrageschwankungen zu leiden. Dieser Sektor sorgt für Millionen von Arbeitsplätzen und hat eine führende Rolle in der Wertschöpfung Bangladeschs. Textilien und Bekleidung machen rund 80% der gesamten Güterexporte aus; 60% sind für den Markt der Europäischen Union bestimmt. Diese hat Bangladesch Präferenzzölle eingeräumt. Das Land ist daher im Export übermäßig von der Textilwirtschaft abhängig. Angesichts des harten Wettbewerbs mit anderen südostasiatischen Ländern (Kambodscha, Vietnam, Indonesien und potentiell auch Myanmar) ist die Regierung gefordert, sich Gedanken über eine Diversifizierung der Exporte zu machen.

Das Risiko, dass diese Schlüsselbranche von negativen Schocks getroffen wird, ist untragbar hoch. Das Image der Textilindustrie Bangladeschs wurde im vergangenen Jahr durch die tragischen Einstürze von Fabrikgebäuden geschädigt, eine Folge mangelnder Sicherheitsmaßnahmen. Der Einsturz des Rana Plaza Buildings kostete 1.100 Arbeiter das Leben, was Proteste im Land sowie Kritik aus dem Westen auslöste. Die Regierung vereinbarte mit lokalen Fabrikbesitzern und ausländischen Modefirmen einen Aktionsplan mit dem Ziel, die Sicherheitsstandards in den 4.000 Textilfabriken Bangladeschs zu erhöhen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Mehr als ein Viertel aller Fabriken wurde bereits überprüft, und einzelne Produktionsstätten mussten schließen. Gewerkschaften wurden zugelassen und der monatliche Mindestlohn kräftig um 77% auf 5.300 Takas (68 USD) erhöht. Somit sind Fortschritte seit Beginn dieser Initiativen zu verbuchen. Ob die neuen Standards in Zukunft eingehalten werden bzw. der Wandel im Sektor vorangetrieben wird, ist allerdings fraglich, weil der Widerstand der Arbeitgeber zunimmt und bei einem Rückgang der Kostenvorteile der Verlust von Arbeitsplätzen droht. Die Arbeitskosten sind allerdings im regionalen Vergleich immer noch wettbewerbsfähig (nur in Myanmar sind die Lohnkosten niedriger) – vor allem aufgrund des allgemeinen Aufwärtstrends der Löhne in Asien. Daher dürfte die Attraktivität Bangladeschs als zweitwichtigster Textilstandort, nach China, nicht wirklich gefährdet sein. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass die Sicherheitsbedingungen wirklich verbessert werden und sich keine neuen Unfälle ereignen, die die sozialen Spannungen wieder erhöhen könnten.

Vorsichtig optimistische ­Wachstumsprognose

Trotz der Widrigkeiten verbuchte Bangladeschs Textilindustrie gute Zahlen und demonstrierte eine beachtliche Widerstandsfähigkeit. Die Exporte legten in den vergangenen zehn Jahren um 6% im Jahresdurchschnitt zu. Die jüngsten negativen Ereignisse haben jedoch erstmals seit 2003 das BIP-Wachstum im Fiskaljahr 2013/14 unter die 6%-Marke gedrückt. Mittelfristig wird das BIP-Wachstum voraussichtlich wieder nach oben tendieren (6,5% bis 7%). Dies setzt allerdings eine Lösung der politischen Konflikte voraus. Anhaltende soziale Unruhen dürften sich ungünstig auf die Pläne der ausländischen Investoren, die öffentlichen Finanzen und den geschwächten Bankensektor auswirken und die wirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigen.

Die Inlandsnachfrage, die 75% des BIP ausmacht, wird durch die verlangsamte Kreditvergabe, geringere Überweisungen der im Ausland arbeitenden Bangladescher und stagnierende Investitionen gebremst. Die Leistungsbilanz weist einen Überschuss auf; allerdings wird erwartet, dass sie sich nächstes Jahr in die Defizitzone bewegt, weil die Importe von Investitionsgütern voraussichtlich anziehen werden. Die Transferzahlungen der im Ausland arbeitenden Bangladescher, die ein Drittel der Leistungsbilanzerlöse ausmachen, sind sehr stabil und bilden einen guten Schutz vor externen Schocks. Sie übersteigen das hohe Handelsbilanzdefizit und ermöglichen eine nahezu ausgeglichene Leistungsbilanz. Im vergangenen Jahr hat sich der Zufluss der Transferzahlungen allerdings abgeschwächt, eine Folge restriktiverer Bedingungen in den Golfstaaten bei der Einstellung von Arbeitern aus Bangladesch. Doch die Zahlungsbilanz dürfte nicht unter Druck geraten, weil die ausländischen Direktinvestitionen voraussichtlich weiter fließen und den Finanzierungsbedarf ausreichend decken werden.

Haushaltsprobleme belasten

Der Internationale Währungsfonds (IWF) unterstützt Bangladesch finanziell mit einer um drei Jahre verlängerten Kredit­fazilität. Hiermit signalisiert er, dass die Regierung der Aufrechterhaltung makroökonomischer Stabilität verpflichtet ist und sich darum bemüht, die wirtschaft­lichen Fundamentaldaten zu verbessern. Dennoch bieten die Staatsfinanzen Anlass zur Sorge: Das Haushaltsdefizit beträgt chronisch mehr als 3% des BIP. Die Steuereinnahmen der Regierung sind mit 12,4% des BIP strukturell zu niedrig und angesichts des Konjunkturabschwungs weiter rückläufig. Höhere Steuereinnahmen sind dringend notwendig, um die Zinszahlungsverpflichtungen (etwa 18% der Haushaltseinnahmen) zu erfüllen, aber auch, um höhere Sozialausgaben und die notwendigen Investitionen in die Infrastruktur zu finanzieren. Doch es gibt auch Pluspunkte: Die Fiskalpolitik ist umsichtig, Reformen sind auf den Weg gebracht worden oder in Planung. Die vorwiegend im Inland refinanzierte Staatsverschuldung ist moderat und dürfte im Verhältnis zum BIP bald unter der 40%-Marke liegen.

Die Geldpolitik ist stabilitätsorientiert; die Inflationsrate liegt unter 7%, und der Wechselkurs des Taka weist seit zwölf Monaten eine stabile Entwicklung gegenüber dem US-Dollar auf. Die Risiken externer Zahlungsunfähigkeit sind gering angesichts niedriger Auslandsschulden in Höhe von 20% des BIP gegenüber multilateralen Gläubigern zu günstigen Konditionen. Bangladeschs Währungsreserven bewegen sich auf einem historischen Rekordniveau. Sie reichen aus, um fünf Monatsimporte zu finanzieren und mehr als zweimal die kurzfristigen Schulden zu begleichen. Diese gute Liquiditätsposition ist ein Ergebnis sinkender Importzuwächse in Verbindung mit steigenden Exporten und ausländischen Direktinvestitionen.

Die Lage im Bankensektor stellt sich weniger rosig dar: Die politische Instabilität und die etwas weniger dynamische Konjunktur haben den Sektor geschwächt. Insbesondere die vier Staatsbanken (sie vereinen ein Viertel des gesamten Bankvermögens auf sich) verbuchen ein hohes Niveau an notleidenden Krediten, Tendenz steigend. Dies ist auf Fehlverhalten und die Nichtachtung der Kreditgesetze zurückzuführen. Eine teilweise Rekapitalisierung der Staatsbanken ist – unter der Voraussetzung, dass diese ihre Unternehmensführung verbessern – geplant.

Die größte Errungenschaft Bangladeschs sind die Fortschritte hinsichtlich der Lebensumstände der Menschen (Human Development). Eine Reihe von Indikatoren wie Alphabetisierung, Kindersterblichkeit und Lebenserwartung haben sich kontinuierlich verbessert. Hauptgründe hierfür sind die bessere Position der Frauen durch die Beschäftigung im Textilsektor, das weitverbreitete Angebot an Mikrokrediten für Kleinstunternehmen und der Transfer von Einkommen in ländliche Gebiete von den im Ausland arbeitenden Bangladeschern. Hinsichtlich Gesundheit und Bildung entwickelt sich Bangladesch zurzeit besser als sein Nachbarland Indien, was zu einer Verbesserung des wirtschaftlichen Potentials beiträgt.

Armut, Klimawandel und ­mangelhafte Infrastruktur

Die Überwindung der Armut ist eine der drei großen Herausforderungen für Bangladesch. Obwohl die Armut in den vergangenen zehn Jahren verringert werden konnte, ist sie immer noch weit verbreitet im gesamten dichtbesiedelten Land (157 Millionen Menschen). Das Pro-Kopf-Einkommen (850 USD) ist eines der niedrigsten in Asien. Die Regierung ist nicht nur gefordert, für ein höheres Wachstum auch im Vergleich zu anderen schnell wachsenden Ländern der Region zu sorgen, sondern auch dafür, dass dieses einer breiteren Bevölkerungsschicht zugutekommt.

Eine weitere Bedrohung ist der globale Klimawandel – vor allem der Anstieg des Meeresspiegels, tropische Stürme und Überschwemmungen könnten Wirtschaft und Gesellschaft zusätzlich belasten. Eine dritte Herausforderung ist die schwach ausgebaute Infrastruktur – dies betrifft die gesamte Region Südasien – die die wirtschaftliche Aktivität behindert. Derzeit sind größere, über mehrere Jahre angelegte (staatliche und private) Investitionsprojekte geplant. Doch noch sorgen die mangelhafte Infrastruktur, die überbordende Bürokratie und die verbreitete Korruption für ein schwieriges Geschäftsumfeld. Hinsichtlich Korruption ist Bangladesch Spitzenreiter in Asien – das Land nimmt Platz 136 von 177 Ländern auf der Rangliste von Transparency International ein.

Trotz dieser widrigen Umstände bewertet Credimundi das systemische Geschäftsrisiko mit B, was auf die guten wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen zurückzuführen ist, von denen die Unternehmen profitieren.

Die ausführliche Länderstudie Bangladesch steht unter http://www.credimundi.de zum kostenlosen Download bereit.

Kontakt: c.witte[at]credendogroup.com

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