Diverse Länder fordern die Stärkung der Binnennachfrage Deutschlands. Die Leistungsbilanzungleichgewichte zwischen Überschussländern wie Deutschland und Defizitländern wie den USA gelten dabei zu Recht als eines der Probleme, die die Weltwirtschaft erst in die Finanzkrise, dann in die globale Rezession geführt haben. Doch die Rückkehr auf den Wachstumspfad, der finanzielle Spielräume eröffnet, erfordert eine Rückbesinnung auf die deutschen Stärken: Export und Innovation.
Von Torsten Windels, Chefvolkswirt, NORD/LB AG
Glaubt man den Frühindikatoren, deutet alles auf ein zunehmend robustes Wachstum der Welt hin. Vorne dabei Asien, aber auch andere Emerging Markets, gefolgt von den USA und allmählich auch Europa. Der Aufschwung folgt der Höhe der konjunkturpolitischen Gegensteuerung, je mehr, desto schneller. In Bezug auf die Wachstumsstrategien gibt es derzeit zwei Richtungen.
Erstens: Alle setzen auf Export, um der Krise zu entkommen, die Beschäftigung aufzubauen und die Staatsschulden abzubauen. So will US-Präsident Obama in fünf Jahren den US-Export verdoppeln. Grundsätzlich unterstellen auch die deutschen Forschungsinstitute in ihrer Gemeinschaftsdiagnose von Mitte April 2010 einen globalen Ausweg aus der Krise über den Export. Aber wer fragt diese Exporte als Importe nach? Zwar hat China im März 2010 erstmals seit sechs Jahren ein Handelsbilanzdefizit eingefahren, das nicht durch Schrumpfung der Exporte (+25%) entstanden ist, sondern durch Mehrnachfrage nach Importen (+66%). Dies dürfte wesentlich auch das Ergebnis der starken konjunkturpolitischen Stimulierung durch die chinesische Regierung sein. Dass dies nachhaltig sein wird, ist aber noch nicht erkennbar, da sich an der Wachstumskonzeption der Chinesen grundsätzlich nichts geändert haben dürfte: Wachsen durch (billigen) Export, um den Strukturwandel im Lande zu bewältigen (Stadtflucht, Integration der Wanderarbeiter).
Auch die anderen Emerging Markets dürften sich mit ihrer relativ stabilen Lage in der jüngsten Krise wohlfühlen. Die Lektion nach der Asien-Krise 1997/98 ist gelernt. Sie führte zu einer Umkehr einer auf Kapitalimporten basierten Entwicklungspolitik mit Abhängigkeiten von den internationalen Finanzmärkten, Leistungsbilanzdefiziten und steigender Auslandsverschuldung zu einer exportbasierten und mit hohen Devisenreserven geschützten Wachstumspolitik. Eine Abkehr von dieser für die Emerging Markets erfolgreichen Exportüberschusspolitik ist nicht zu erwarten. Positiv ist an dieser Exportorientierung, dass damit bislang protektionistische Tendenzen erfolgreich unterbunden wurden.
Zweitens: Alle machen weiter wie bisher. Die USA und einige andere Länder setzen auf schuldenfinanzierten Konsum. Andere Länder, wie Deutschland, China und Japan, setzen auf Exportüberschüsse und finanzieren die Defizitländer mit ihren Exporteinnahmen. Jedoch war und ist die noch immer nicht beseitigte Überschuldung der US-Haushalte keine nachhaltige Wachstumsstrategie – ebenso wenig wie die merkantilistische Haltung der Dauerüberschussländer.
Griechenland zeigt aktuell die Achillesferse der Euro-Zone und könnte zum Bumerang für die Konjunktur werden. Die nach der Lehman-Pleite drohende Abwärtsspirale aus Finanzkrise, Nachfrageeinbruch und Rezession wurde nur mit gigantischem öffentlichem Aufwand von Geld- und Fiskalpolitik gebändigt. Doch reichen die Vertrauenserschütterungen tief. Was kann man nach Lehman, Island und Griechenland noch ausschließen, und was kommt jetzt? Erst rettet der Staat die Finanzmärkte, dann verweigern die Finanzmärkte die Staatsfinanzierung. Die damit drohenden Staatskonkurse wiederum bedrohen Banken, Versicherungen und Konjunktur. Ob diese Wiederauferstehung der Krise nochmals glaubwürdig von der Politik abgewendet werden kann, könnte in Frage gestellt werden. Wenn zudem der Euro als gefährdet erscheint, steht der Euro-Zone und dem Export eine neuerliche extreme Anspannung bevor.
Wiederum wird deutlich, wie abhängig die globalisierten Märkte vom Vertrauen ihrer Akteure sind. Vertrauen und Handel führen zu Wachstum und Gewinn. Misstrauen führt zu Rezession und Verlust. Man erhält, was man erwartet. Dieses positive Rückkopplungsmodell ist per se instabil und damit ungeeignet, um verspieltes Vertrauen zurückzugewinnen oder in die Zukunft zu investieren. Eine Wachstums- und Exportperspektive er-scheint somit unsicher. Ein Ausweg liegt in offenen Märkten für Waren und Dienstleistungen zur Stimulierung des Handels, der über Arbeitsteilung, Spezialisierung und Skalenerträge wieder Wachstum erzeugt. Unerlässlich scheint jetzt aber die Zähmung der destruktiven Kräfte der Finanzmärkte. Auch unternehmerische Freiheit braucht einen stabilen Rahmen, damit das Risiko der unternehmerischen Investition beherrschbar bleibt und nicht zum Kasinospiel verkommt. Unternehmerische Freiheit und Sicherheit im rechtlichen, politischen und ökonomischen Rahmen bedingen sich gegenseitig. Die Weiterentwicklung der Globalisierung und mit ihr des Exports hängt damit von der Neuformulierung angemessener Rahmenbedingungen auf nationaler und internationaler Ebene ab.
Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft, sprich ihrer Unternehmen, ist hoch. In der ausgeprägten Schwächephase 2002–2005 wurden auf politischer Ebene wichtige Reformen umgesetzt (Arbeitsmarkt, Steuern, Sozialversicherung). Auf Unternehmensebene wurden Bilanzen durch Eigenkapital gestärkt, netto wurden Kredite getilgt, die Produktpaletten modernisiert und neue Märkte, insbesondere im Export, erfolgreich erschlossen. Erst Ende 2009 ging der Titel „Exportweltmeister“ an China.
Mit moderater Lohnentwicklung und damit sehr stabilen Lohnstückkosten hat sich die deutsche Wirtschaft eine starke Position in der Welt erarbeitet. So wurde Deutschland in der Periode 2006–2008 zur Konjunkturlokomotive der EU. Bis zum Zusammenbruch der Finanzmärkte im Herbst 2008 und der nachfolgenden Rezession stiegen die Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands stetig und gegenüber fast allen Ländern der Welt an.
Die starke Position Deutschlands mit einer breiten und diversifizierten industriellen und Dienstleistungskompetenz bewegt sich zudem häufig im Bereich der Qualitätsproduktion, wo durch Technologie, Spezialisierung, Kombinationen aus Produkt und Service der Preiswettbewerb hinter den Qualitätsanspruch zurücktritt. Deutlich wurde dies, als selbst in der Hochphase der Konjunktur Mitte 2008, als der Ölpreis auf fast 150 US$/Barrel und der Euro auf fast 1,60 US$ stieg, der deutsche Export zwar ächzte, aber nicht wie erwartet zusammenbrach. Zudem konnte diese Stärke von den Handelspartnern in der Euro-Zone nicht durch Abwertungen konterkariert werden. Entsprechend stiegen die Überschüsse gegenüber den Handelspartnern in der Euro-Zone. Mit der Finanzkrise endete diese scheinbar glückliche Phase deutscher Exportdynamik. Der Welthandel, die Achillesferse des deutschen Wachstumsmodells, brach ein, das deutsche BIP schrumpfte um 5% bzw. ca. 125 Mrd Euro.
Einige Länder schauen etwas kritisch auf die deutsche Exportstärke und fordern die Stimulierung der Binnennachfrage. Deutschland verweist auf die Anpassungspflicht der Defizitländer. Dieses Gegeneinander der wechselseitigen „Empfehlungen“ könnte gefährlich werden. Handel erfordert Partner auf zwei Seiten. Deutschland hat ein elementares Interesse an guten Wachstumsbedingungen seiner Exportmärkte.
Um aus Rezession, Bankabschreibungen und Staatsverschuldung herauszukommen, wird Wachstum zentral. Folgerichtig rücken in den Wachstumsstrategien der Wirtschaftspolitik und der Unternehmen Export und Innovation ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Auch hier scheint das Innovationssystem der deutschen Volkswirtschaft mit ihrer breiten technologischen Kompetenz und ihrer Tradition als Qualitätsproduzentin Vorteile gegenüber vielen anderen Ländern zu haben.
Folgerichtig sind die Ausgangsvoraussetzungen im sich verschärfenden Exportwettbewerb grundsätzlich positiv, und auch die Dynamik Asiens bietet, so gesehen, mehr Chancen als Risiken. Bleibt zu hoffen, dass Innovation, Wachstum und positive Erwartungen auch die private Binnennachfrage durch Investition und Konsum ankurbeln, um dauerhafte Ungleichgewichte im Außenhandel zu vermeiden.
Kontakt: torsten.windels[at]nordlb.de
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