Nach dem 15. März 2022 wurden als Antwort auf den völkerrechtswidrigen Angriff zusätzliche Sanktionen gegen Russland und gegen Belarus beschlossen. In Fortsetzung unserer beiden Beiträge (ExportManager 2/2022 und 3/2022) werden die Auswirkungen dieses EU-Embargos – mit einem Vergleich des Russland- und Belarus-Embargos – für Exporteure in der EU aufgezeigt.
Beitrag in der Gesamtausgabe (PDF)
Ausgangsfall 1: D in Deutschland möchte eine Auswuchtmaschine mit der ZTN (Zolltarifnummer) 9031 1000 an den Kunden R in Russland und den Kunden B in Belarus liefern. Was muss D hierbei nach dem Russland- und Belarus-Embargo beachten?
Ausgangsfall 2: G, Geschäftsführer der D in Deutschland, möchte seinen kranken Vater in Russland besuchen und dort einen Monat bleiben. Da keine Kreditkarten mehr in Russland akzeptiert sind, nimmt er 9.000 EUR Bargeld mit, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Der deutsche Zoll stellt dieses Geld sicher und wirft ihm einen Embargoverstoß vor. Wie kann sich G wehren?
Ausgangsfall 3: Ein am 8. April 2022 gelisteter Oligarch O aus Russland reist mit seinem Privatjet nach Deutschland, um hier eine Flugzeugreparatur durchführen zu lassen. Dürfte der Privatjet beschlagnahmt werden, wenn O nach durchgeführter Reparatur seinen Rückflug nach Russland antreten will?
Die weiteren Russland-Sanktionen vom 16. März bis 24. April 2022
Bezüglich der Ukraine-VO 269/2014 gibt es kleine Änderungen durch die Änderungsverordnungen VO 2022/580 und VO 2022/625 vom 8. bzw. 13. April 2022: Übergangsregelungen (Altvertragsregelungen) für einige neue Listungen und Ausnahmen für humanitäre Partner bzw. humanitäre Zwecke. Für die Ukraine-VO gibt es eine wichtige Durchführungs-VO VO 2022/581 vom 8. April 2022: Es werden zusätzlich 216 natürliche Personen und 17 Einrichtungen gelistet, sodass deren Vermögen eingefroren wird und ihnen gegenüber ein Bereitstellungsverbot besteht.
Zu den 17 Einrichtungen gehören einige Maschinen-, Elektronik- und Waffenhersteller sowie vier Banken (Otkritie, Novicombank, Sofcombank, VTB Bank). Zu den 216 Personen zählen hochrangige Kreml-/Ministerialbeamte, weitere Oligarchen, hochrangige Militärs, Industrielle und Medienvertreter sowie Verwandte (Eheleute, Kinder/Eltern, Geschwister) von vorher Gelisteten (u.a. die Tochter von Präsident Wladimir Putin) – um Verschiebungen des Vermögens innerhalb der Familie zu verhindern – und Mitglieder der sog. Donezk-Regierung. Damit sind derzeit insgesamt 1.110 natürliche Personen und 83 Einrichtungen auf der Ukraine-VO gelistet – eine lange Liste. Praxistests zeigen allerdings, dass viele der russischen Namen, die meist auf drei oder vier Weisen geschrieben werden können, in der Regel manuell nur dann entdeckt werden, wenn nur eine bestimmte der möglichen Schreibweisen eingegeben wird.
Die wichtigsten Änderungen betreffen die Russland-VO 833/2014 durch die VO 2022/576 vom 8. April 2022: Neben einer Neufassung von zwei Artikeln (Verbot der Entgegennahme von „Oligarchen“-Einlagen über 100.000 EUR bzw. Lieferverbot von Banknoten eines EU-Mitgliedstaates nach Russland) werden die Anhänge X (Güter für die Raffination) und XVII (Eisen- und Stahlerzeugnisse) neu gefasst und die Anhänge VII (strategische Güter) und XVIII (Luxusgüter) ergänzt. Neu sind vor allem die folgenden Bestimmungen:
• Ausfuhrverbot für bestimmte Kraftstoffe (Anhang XX) und vor allem für Güter nach Anhang XXIII (Güter, die zur Stärkung der industriellen Kapazitäten Russlands beitragen könnten). Das ist eine Liste von 31 Seiten Länge (von KN Code 0601 bis 9612).
• EU-Einfuhrverbot von Gütern nach Anhang XXI (Güter, die Russland erhebliche Einnahmen bringen könnten, u.a. Kaviar, einige Chemikalien, Düngemittel, Holz, Glasfasern, Turbo-Strahltriebwerke, Schiffe etc.) und von Gütern nach Anhang XXII (Kohle-Erzeugnisse)
• Verbot des EU-Hafenzugangs für russische Schiffe sowie Verbot der Beför-derung und Durchfuhr in der EU für russische Lkw-Unternehmen
• Verbot, öffentliche Aufträge nach Russland zu vergeben und Verträge mit russischen Stellen weiter zu erfüllen
• Verbot, russische Einrichtungen, die sich zu über 50% in öffentlicher Kontrolle befinden, zu unterstützen
• Verbot, einen Trust o.Ä. mit russischen Staatsangehörigen zu registrieren
Vor allem der neue Anhang XXIII und die Ausweitung der vier genannten Anhänge (VII, X, XVII und XVIII) führen dazu, dass Exporteure nach dem 8. April 2022 ihre Russland-Geschäfte neu überprüfen müssen, selbst wenn sie vorher eine Genehmigung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle erhalten hätten.
Sonstige neue Russland-Bestimmungen betreffen erstens Änderungen zur Do-nezk-VO 2022/263 (durch VO 2022/626 vom 13. April 2022): Hier werden Ausnah-men für zwei der dort enthaltenen Verbote für humanitäre Zwecke normiert. Sie umfassen zweitens Änderungen zur Belarus-VO 765/2006 (durch VO 2022/577 vom 8. April 2022): Hiermit wird das Verbot der Beförderung und Durchfuhr in der EU für belarussische Lkw-Unternehmen eingeführt und das Lieferverbot von Banknoten eines EU-Mitgliedstaats nach Belarus neu gefasst. Sie betreffen drittens neue Beschlüsse zu EU-Unterstützungs-maßnahmen im Rahmen der Europäischen Friedensfazilität (GASP-Beschlüsse 2022/471 und 2022/472 vom 23. März 2022).
Prüfreihenfolge und Vergleich mit der Belarus-VO
Prüfung 1 – Dual-Use-Gut
Russland: Wenn es um ein gelistetes Dual-Use-Gut geht, ist die Ausfuhr grundsätzlich verboten, falls es nicht um einen der abschließend geregelten sieben nicht militärischen Zwecke (Ausnahmetatbestände) geht; sonst muss die Altvertragsregelung (durch bis zum 1. Mai 2022 zu beantragende BAFA-Genehmigung) genutzt werden.
Belarus: gleiche Regelung.
Prüfung 2 – spezifische Güterverbote
Russland: Es bestehen Ausfuhr- und Ver-kaufsverbote nach Russland für Güter nach Anhang II (Erdölgüter), Anhang VII (strategische Güter = Güter für militärische und technologische Stärkung Russ-land), Anhang X (Güter für Raffination), Anhang XI (Güter für Luft- und Raumfahrt), Anhang XVI (Güter der Meeres- und Schiffstechnik), Anhang XVIII (Luxusgüter), Anhang XX (bestimmte Kraftstoffe), Anhang XXIII (Güter zur Stärkung der industriellen Kapazitäten Russlands). Und für folgende Güter Russlands bestehen Einfuhr- und Verkaufsverbote in die EU: Anhang XVII (Eisen- und Stahlerzeugnisse), Anhang XXI (Güter mit erheblichem Einnahmepotenzial für Russland), Anhang XXII (Kohleprodukte) und Anhang XXIV (bestimmte chemische Erzeugnisse).
Belarus: Es bestehen Ausfuhr- und Verkaufsverbote nach Belarus für Güter nach Anhang III (Repressionsgüter), Anhang IV (Überwachungssoftware), Anhang Va (strategische Güter = Güter für militärische und technologische Stärkung von Belarus), Anhang VI (Tabakerzeugnisse) und Anhang XIV (Maschinen). Und für folgende Güter von Belarus bestehen Einfuhr- und Verkaufsverbote in die EU: Anhang VII (Mineralerzeugnisse), Anhang VIII (Kaliumchlorid-Produkte), Anhang X (Holzerzeugnisse), Anhang XI (Zementerzeugnisse), Anhang XII (Eisen- und Stahlerzeugnisse) und Anhang XIII (Kautschukerzeugnisse).
Vergleich: Bei den Ausfuhrverboten entsprechen sich die strategischen Güter (Russland-Anhang VII, Belarus-Anhang Va) weitgehend; und bei den Gütern mit hohem Einnahmepotenzial (Russland-Anhang XXIII, Belarus-Anhang XIV) gibt es Teilüberschneidungen; bei Belarus fehlen derzeit Ausfuhrverbote vor allem für Luxusgüter. Bei den Einfuhrverboten entsprechen sich die Eisen- und Stahlerzeugnisse (Russland-Anhang XVII, Belarus-Anhang XII) weitgehend. Ansonsten gibt es viele Unterschiede.
Prüfung 3 – Risiko Krim/Donezk
Russland: Spezifische Beschränkungen sind zu beachten, falls die Güter in die besetzten Ukraine-Regionen Krim (VO 692/2014) oder Donezk/Luhansk (VO 2022/263) gelangen könnten. Dann gelten ein Export- und Verkaufsverbot für Güter nach Anhang II (Güter für Verkehr, Telekommunikation, Energie, Öl- und Gasexploration/Förderung), ein EU-Einfuhrverbot sowie bestimmte Verwendungs- und Dienstleistungsverbote und sehr umfassende Investitionsverbote.
Belarus: Solche Regelungen fehlen hier.
Prüfung 4 – Sensitive Verwendungen
Russland: Es sind sensitive Verwendun-gen (v.a. Catch-all, Militär, Öl) zu prüfen: Verbot der Genehmigung bei potenziell militärischer Nutzung/bei potenziell militärischem Nutzer, wenn Nutzung für Ölexploration feststeht oder wenn Anhaltspunkte für die Verwendung im Kontext mit ABC-Waffen/Trägern oder mit Nuklearanlagen bestehen.
Belarus: Hier gelten entsprechende Regelungen (ohne die Ölverwendung).
Prüfung 5 – Personenprüfung
Russland: Es besteht ein Verkaufs- und Lieferverbot, wenn eine der in der Lieferkette involvierten Personen/Firmen oder Banken – unmittelbar oder mittelbar (= Listung der Anteilseigner/Geschäftsführer) – auf EU-Sanktionslisten gelistet sind (vgl. v.a. VO 269/2014), vgl. auch die spezifischen Personenanhänge der Russland-VO 833/2014, u.a. den Anhang XIX.
Belarus: gleiche Regelungen (vgl. Listung in Anhang I der Belarus-VO).
Prüfung 6 – Finanzierungsprüfung
Russland: Bei Krediten von mindestens 30/90 Tagen Laufzeit und bei vielen Geldmarktinstrumenten bestehen Verbote, v.a. wenn sie von bestimmten Firmen oder Banken kommen; es gibt auch zahlreiche Investitionsverbote.
Belarus: Hier sind die Regelungen weitgehend gleich.
Lösung Ausgangsfall 1
Güterprüfung: Die Auswuchtmaschine könnte ein gelistetes Dual-Use-Gut sein (v.a. Position 2B119a oder 2B219). Falls ja, würde für eine Ausfuhr aus kommerziellen Motiven sowohl nach Russland als auch nach Belarus ein Ausfuhrverbot bestehen – es sei denn, dass die Altvertragsregelung (Vertrag vor dem 26. Februar bzw. 3. März 2022, BAFA-Genehmigungsantrag bis zum 1. Mai 2022) greift.
Weitere Güterprüfung: Mit dieser ZTN finden sich keine Einträge in der Russland-VO 833/2014. Im Russland-Anhang XXIII ist lediglich ein Gut mit einer benachbarten ZTN (9031 20 – Prüfstände) aufgeführt, um dieses Gut geht es hier aber nicht. Und in der Belarus-VO findet sich keinerlei Eintrag. Eine manuelle Nachprüfung ist bzgl. solcher Güteranhänge erforderlich, die keinerlei ZTN nennen, für Russland ist dies Anhang VII und für Belarus Anhang Va. Diese manuelle Nachprüfung dürfte hier zum Ergebnis führen, dass keines der Güter nach Russland-Anhang VII bzw. Belarus-Anhang Va vorliegt. Wäre dies anders, kann möglicherweise die Altvertragsregelung (Altvertrag und Genehmigungsantrag bis 1. Mai 2022) genutzt werden.
Personenprüfung: Der Kunde R (und seine Anteilseigner/Geschäftsführer) darf we-der auf den Anhängen der Ukraine-VO gelistet sein noch auf Anhängen der Russ-land-VO, v.a. nicht auf Anhang IV (militärische Endverwender) oder Anhang XIX (staatseigene Unternehmen, mit denen jeder Handel verboten ist). Der Kunde B (und seine Anteilseigner/Geschäftsführer) darf nicht auf Anhang I der Belarus-VO gelistet sein. Auch andere involvierte Personen (wie etwa Banken) müssen auf Per-sonenlistung überprüft werden.
Lösung Ausgangsfall 2
Nach Art. 5i Abs. 1 Russland-VO 833/2014 ist es verboten, „auf eine amtliche Währung eines Mitgliedstaats lautende Banknoten“ zur Verwendung in Russland zu verbringen; hierunter fallen auch Euro-Banknoten. Gegen dieses Verbot hätte G grundsätzlich verstoßen. Aber nach Art. 5i Abs. 2 gilt das Verbot nicht „für den persönlichen Gebrauch natürlicher Personen, die nach Russland reisen, oder von mitreisenden unmittelbaren Familienangehörigen“. G sollte Einspruch gegen die Sicherstellung seines Geldes legen. Wenn er nachweisen kann, dass das Geld in dieser Höhe für seinen persönlichen Gebrauch für einen Monat Aufenthalt in Russland benötigt wird, müsste sein Einspruch erfolgreich sein. Dann läge auch kein Embargoverstoß vor.
Lösung Ausgangsfall 3
Mit einer Listung auf Anhang I der Ukraine-VO entsteht ein Verfügungsverbot für die gelisteten Personen (ihr Vermögen wird „eingefroren“) – und andere Personen dürfen den Gelisteten weder Gelder noch Waren/Dienstleistungen zur Verfügung stellen (Bereitstellungsverbot). Mit dem „Einfrieren“ des Vermögens des Gelisteten entsteht nach Polizeirecht die Befugnis, dessen Vermögen zu beschlagnahmen, sofern Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Entzug des Gutes aus der Verfügungsgewalt des Staates droht oder dass das Gut vom Gelisteten zum Erzielen von Einnahmen (oder für ähnliche Sanktionsverstöße) genutzt werden soll. Da hier ein Entzug aus der staatlichen Verfügung droht, dürfen die zuständigen Polizeibehörden die Beschlagnahme des Flugzeugs von O anordnen. Dieser Aufgabe kommt Deutschland derzeit nicht genügend nach.
Resümee
Das Russland-Geschäft wird immer aufwendiger: Täglich können sich die Russland-Sanktionen verschärfen, sodass der Russland-Export, der gestern noch zulässig gewesen war, morgen schon verboten ist; daher sind ständige Überprüfungen er-forderlich. Gleichzeitig ist die Anzahl der Genehmigungsanträge beim BAFA „explo-diert“, nach Schätzungen von Mitarbeitern auf etwa das Vierfache des bisherigen Umfangs. Und die BAFA-Bearbeitungszeit für diese Genehmigungsanträge wird bei ständigen Änderungen länger: Wenn kurz nach Abschluss der Technikerüberprü-fung neue Güteranhänge der Russland-VO angehängt werden, muss der Geneh-migungsantrag wieder vom Genehmigungs- zum Technikreferat des BAFA zurück (zu einer zweiten Überprüfung).
Längere BAFA-Zeiten können dazu führen, dass Altvertragsregelungen, die für Altverträge lediglich von einer Vertrags-„Erfüllung“ bis zum Tag X (aber nicht von einem BAFA-Genehmigungsantrag) abhängen, nicht mehr genutzt werden können, weil bis dahin der letztmögliche Tag für die Vertragserfüllung verstrichen ist. Dadurch steigt die Notwendigkeit, dass Exporteure eigenverantwortliche Überprüfungen ihres Russland- und Belarus-Geschäfts vornehmen; gleichzeitig fehlen aktuelle BAFA-Merkblätter zum Russland-Embargo.
Beratung durch Exportanwälte ist somit notwendig und unvermeidbar. Dabei sollte das Risiko von Embargoverstößen und möglichst auch von unnötigen BAFA-Genehmigungsanträgen vermieden werden. Zu besonders hohem Beratungsaufwand führen Güteranhänge, die auf die Nennung jeglicher ZTN verzichten (wie Russland-Anhang VII und Belarus-Anhang Va). Gleiches gilt für das Herausfinden von Geschäftsführern/Anteilseignern – in Russland/Belarus unverzichtbar, v.a. wegen möglicher gelisteter Oligarchen, die Anteile halten. Beides führt zur Notwendigkeit von manuellen Recherchen.
Wegen aktueller Hinweise zum Russland-Embargo vgl. HIER und zum EU-Exportrecht vgl. HIER
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