Zwar verlangsamt sich die Konjunktur, dennoch wird mit weiter starkem Wachstum in Armenien gerechnet. Die öffentliche Verschuldung ist moderat, die Auslandsverschuldung geht zurück. Nach Jahren der Spannungen und Konflikte in Bergkarabach verhandeln Armenien und Aserbaidschan nun über ein Friedensabkommen, das weiteren Auftrieb verleihen würde.
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Lange wurden die Beziehungen zwischen Armenien und Aserbaidschan durch den Konflikt um die von christlichen Armeniern dominierte Region Bergkarabach belastet, die 1991 ihre Unabhängigkeit vom vorrangig muslimischen Aserbaidschan erklärte. Es folgte ein bewaffneter Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan, der 1994 mit einem UN-Waffenstillstandsabkommen ein Ende fand. Seitdem waren die Verhandlungen über den Status der von Armenien unterstützten abtrünnigen Republik Bergkarabach trotz Vermittlungsbemühungen Russlands und westlicher Mächte festgefahren.
Massenzustrom von Flüchtlingen
Nach Jahren der Spannungen und Konflikte in Bergkarabach, bei denen es u.a. zu einer militärischen Auseinandersetzung und einer Blockade der Region durch die aserbaidschanische Armee kam, brachte das Militär Aserbaidschans die Region im September 2023 unter seine Kontrolle. Anschließend löste der aserbaidschanische Präsident, Ilham Alijew, die nicht anerkannte Republik Bergkarabach auf, woraufhin die meisten ethnischen Armenier die Region verließen und nach Armenien gingen. Dies führte zu einem Massenzustrom von Flüchtlingen, der Regierungschef Nikol Paschinjan unter enormem Druck setzte. Nach diesen Entwicklungen wird die Region nun vollständig von Aserbaidschan kontrolliert.
Damit ist das Konfliktrisiko in Bergkarabach drastisch zurückgegangen. Da die militärischen Fähigkeiten Armeniens weit hinter denen Aserbaidschans zurückbleiben, ist es unwahrscheinlich, dass Armenien zurückschlägt und seine Kontrolle über die Region wiederzuerlangen versucht. Überdies kann Armenien aufgrund des anhaltenden Kriegs in der Ukraine nicht länger auf die militärische Unterstützung Russlands bauen. Daher distanziert sich Armenien von Moskau und setzt auf eine künftige Intensivierung der Beziehungen zum Westen. Kürzlich billigte die armenische Regierung einen Gesetzentwurf, um ein EU-Beitrittsverfahren einzuleiten. Die Entscheidung, der EU beizutreten, müsste durch ein Referendum bestätigt werden. Die Annäherung an die EU birgt jedoch Risiken, da dahingehende Schritte Vergeltungsmaßnahmen aus Moskau nach sich ziehen dürften.
Verfassungsreferendum 2027?
Nicht zuletzt verhandeln Armenien und Aserbaidschan derzeit über ein Friedensabkommen, das – wenn es zum Abschluss kommt – die Spannungen zwischen beiden Ländern weiter reduzieren und auch eine Lösung für die Exklave Nachitschewan, ein autonomes Gebiet Aserbaidschans, umfassen würde. Mit den verbesserten Beziehungen zu Aserbaidschan hat sich auch das Verhältnis zur Türkei entspannt.
Ein wichtiges Hindernis, um das Friedensabkommen zu erreichen, bildet jedoch die aserbaidschanische Forderung nach einer Änderung der armenischen Verfassung, die den Passus beinhaltet, Bergkarabach sei untrennbarer Bestandteil Armeniens. Ein Verfassungsreferendum ist für 2027 geplant.
Seit seinem Amtsantritt im Zuge der Samtenen Revolution im Jahre 2018 hat der armenische Premierminister Paschinjan wichtige Systemreformen in Angriff genommen, die auf Korruptionsbekämpfung, Förderung der Hightech-Branche und Entwicklung der Landwirtschaft abzielen. So konnte das Land seine Position im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International verbessern.
Darüber hinaus hat sich die IT-Branche entwickelt und konnte ihren Beitrag zu den Leistungsbilanzeinnahmen erhöhen (auf 6,9% im Jahr 2023). Demgegenüber sind traditionellere Einnahmequellen wie private Transfers und Arbeitnehmerentgelte zurückgegangen (auf jeweils 6,2% und 3,9% der gesamten Leistungsbilanzeinnahmen 2023). Insgesamt sind die Leistungsbilanzeinnahmen Armeniens heute stärker diversifiziert als noch vor zehn Jahren.
Langfristiges BIP-Wachstum von 5%
Die Wirtschaft hat vom Krieg in der Ukraine profitiert, der zu beträchtlichen Mittelzuflüssen von Unternehmen, Migranten sowie umgeleiteten Exporten geführt hat. Demzufolge verzeichnete das Land in den vergangenen drei Jahren ein kräftiges BIP-Wachstum. Künftig dürfte sich die Wirtschaft trotz einer aktuellen Konjunkturverlangsamung positiv entwickeln, wobei mit einem langfristigen realen BIP-Wachstum von nahezu 5% gerechnet wird.
Angesichts einer Normalisierung in den Bereichen Tourismus und private Transfers ist das Leistungsbilanzdefizit 2024 auf 4,2% des BIP gestiegen und dürfte in den kommenden Jahren bei nahezu 5% des BIP liegen, da die positiven Effekte des Ukraine-Kriegs nachlassen.
Langfristiges BIP-Wachstum von 5%
Künftig bleibt die Abhängigkeit von russischem Gas vor dem Hintergrund der fortlaufenden Annäherung an die EU ein Risiko. In der Vergangenheit benutzte Russland Gaspreisermäßigungen als Mittel für das Abringen von Zugeständnissen, etwa die Mitgliedschaft in der von Russland geführten Eurasischen Wirtschaftsunion und das Eigentum an wichtigen Vermögenswerten. Dies hat zur Folge, dass Russland strategische Infrastruktur wie z.B. das Gasversorgungsnetz besitzt.
Die öffentlichen Finanzen sind derzeit tragfähig, mit einer mäßig hohen Verschuldung der Zentralregierung (leicht über 50% des BIP). Etwas mehr als die Hälfte der öffentlichen Verschuldung besteht gegenüber Auslandsgläubigern. Ein Großteil der Auslandsschulden beteht gegenüber multilateralen Gläubigern (überwiegend zu Vorzugsbedingungen), gefolgt von bilateralen und privaten Gläubigern, da Armenien Anleihen auf dem internationalen Finanzmarkt emittieren konnte.
Eurobonds werden fällig
Folglich ist Armenien Veränderungen der globalen Finanzbedingungen ausgesetzt. Positiv zu erwähnen ist, dass sich die finanzielle Situation erheblich verbessert hat, wobei die Auslandsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt gesunken und der Nettoauslandsvermögensstatus zwar weiterhin negativ ist, aber dennoch Verbesserungen aufweist. Auch der Schuldendienst ist moderat, dürfte aber aufgrund von Eurobonds mit Fälligkeit in den Jahren 2029 und 2031 künftig steigen.
Auch wenn das Niveau der Währungsreserven moderat ist und schwankt, wird das Risiko einer Einführung von Devisenkontrollen durch das vorsorgliche Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds ein Stück weit abgeschwächt. Gleichwohl wird das kurzfristige politische Risiko in Kategorie 4/7 eingestuft, da mit einem Anschwellen des Leistungsbilanzdefizits gerechnet wird. Aufgrund des umfangreichen bilateralen Handelsvolumens mit Russland sind Unternehmen, die das Umgehen west-licher Sanktionen gegen Russland ermöglichen, außerdem der Gefahr ausgesetzt, selbst Gegenstand dieser Sanktionen zu werden.

Da die Inflation in Armenien (orange) von 2022 auf 2023 stark abgenommen hat, konnte die heimische
Zentralbank die Leitzinsen (rot) zuletzt in zahlreichen Trippelschritten senken. © Central Bank of Armenia, Statistical Committee Credendo
Der Wechselkurs des Dram war 2024 relativ stabil und ist in jüngerer Zeit gegenüber dem US-Dollar gesunken. Nachdem die Inflation eine Zeit lang erhöht war (vgl. Grafik oben), ging sie plötzlich drastisch zurück und bleibt trotz eines erneuten Anstiegs deutlich unter dem von der Zentralbank festgelegten Ziel von 4%. Dies gab der Zentralbank die Möglichkeit, die Zinsen zu senken, was sich positiv auf die Kreditzinsen und den Zugang zu Krediten auswirkte.
Die Einstufung des Geschäftsumfelds in Kategorie D/G wird vom günstigen wirtschaftlichen Ausblick, einem stabilen Wechselkurs und einem von niedriger Inflation geprägten Umfeld unterstützt. Negative Einflüsse sind die institutionellen Rahmenbedingungen sowie ein geopolitisches Umfeld, das die Wechselkursvolatilität jederzeit verschärfen könnte.
Heraufstufung des mittel- bis langfristigen politischen Risikos
Credendo hat sich entschlossen, das mittel- bis langfristige politische Risiko, das die Zahlungsfähigkeit eines Landes widerspiegelt, von Kategorie 6/7 in Kategorie 5/7 heraufzustufen. Dieser Entschluss ging auf verschiedene Faktoren zurück, insb. auf die Verbesserung der finanziellen Lage und den durch die politische Situation bedingten Rückgang des Risikos. Armenien verhandelt derzeit mit Aserbaidschan über ein Friedensabkommen und angesichts der bisher erzielten merklichen Fortschritte erscheint ein Wiederaufflammen des Konflikts außerordentlich unwahrscheinlich.
Ausführliche Länderberichte finden Sie auf der Seite www.credendo.com
j.schnorrenberger@credendo.com