Den kleinen Markt im Kaukasus haben viele nicht im Sinn. Doch verläuft durch Georgien, das so groß wie Bayern ist, ein riesiges europäisches Verkehrsprojekt. Politisch geht es nach den jüngsten Wahlen turbulent zu, weil Russland offenbar massiv Einfluss auf die Ergebnisse genommen hat. Die umstrittene Regierung verhält sich jedenfalls sehr europakritisch.

Beitrag in der Gesamtausgabe (PDF)

Viele in Deutschland kennen Georgien kaum und halten das Land auf dem Kaukasus politisch für unbedeutend. Denn es liegt einfach sehr weit weg. So trennen Berlin und den ehemaligen sowjetischen Markt ungefähr 3.700 km, für die man per Auto über Tschechien, den Balkan und die Türkei 42 Stunden braucht. Und wirtschaftlich scheint Georgien wohl auch nur wenig herzugeben, weil es gerade einmal so groß wie Bayern ist, nur 3,7 Millionen Einwohner hat und nur ein paar Prozent von dessen gesamtwirtschaftlicher Leistung aufweist. Doch in Wirklichkeit ist Georgien als Brückenkopf für die internationalen Verkehrswege in die Wachstumsmärkte in Mittelasien und nach China bedeutsam.

Dazu gehört der Transportkorridor Europa-Kaukasus-Asien (TRAGECA), deren Grundlage in einem Dokument aus dem Jahr 1998 geregelt worden war, also vor mehr als einem Vierteljahrhundert. Georgien war eines von anfangs zwölf Ländern, die den Vertrag unterzeichnet haben. Ursprünglich geht das Projekt auf die EU zurück, die es 1993 angestoßen hat.

Parlamentswahlen unter großen Unruhen

Deshalb haben die Parlamentswahlen in Georgien, die Ende Oktober unter großen Unruhen stattgefunden haben, auch eine spürbare Bedeutung für Deutschland und Mitteleuropa. Politisch steht das Land jetzt vor einer Zerreißprobe, weil offenbar Russland massiv Einfluss auf die Wahlergebnisse genommen hat. Moskau betrachtet Georgien quasi als seinen Hinterhof, auf den Russland unbedingt Einfluss haben muss.

So steuert das Land nach der Parlamentswahl auf gewaltige Auseinandersetzungen zu, berichtete der internationale Fachdienst „Dow Jones“ kurz nach dem Urnengang. Die zunehmend autoritäre und Moskau-freundliche Partei „Georgischer Traum“ erklärte sich zur Siegerin mit über 50% der Stimmen, während die Opposition das Wahlergebnis als gefälscht zurückwies. Die prowestliche Präsidentin Salome Surabischwili, deren Rolle hauptsächlich zeremonieller Art ist, rief zu Demonstrationen gegen die Regierungspartei auf. „Ich erkenne diese Wahl nicht an“, sagte Surabischwili. „Die Anerkennung käme einer Legitimierung der Übernahme Georgiens durch Russland gleich.“ Nach offiziellen Ergebnissen lag die Regierungspartei mit 54% der Stimmen vorn. Die Opposition sprach von einem „Staatsstreich“.

Georgien setzt die Beitrittsgespräche mit der Europäischen Union nun bis zum Jahr 2028 aus, wie der georgische Premierminister Irakli Kobatschidse bekannt gegeben hat. Er kündigte außerdem an, dass die Regierung bis dahin auf die EU-Haushaltszuschüsse verzichten werde. Laut Kobatschidse wird Georgien bis zum Jahresende 2028 „wirtschaftlich bereit sein, Gespräche über eine EU-Mitgliedschaft aufzunehmen“, wie der Nachrichtenservice „NewsGeorgia“ berichtet.

Sanktionen aus Brüssel?

In einer Ende November angenommenen nicht bindenden Entschließung forderte das EU-Parlament Sanktionen, u.a. gegen den georgischen Premierminister Kobatschidse. Es lehnte das Ergebnis der georgischen Parlamentswahlen vom Oktober ab und forderte, diese innerhalb eines Jahres zu wiederholen. Die Entschließungen des EU-Parlaments (EP) sind zwar nicht bindend, doch übt ihr Ergebnis politischen Druck auf die EU-Kommission, die Sanktionen vorschlagen kann, und auf die Mitgliedstaaten aus. Letztere müssen sie einstimmig annehmen. Das EP forderte EU-Sanktionen und Einschränkungen der Kontakte mit der georgischen Regierung.

Die EU-Beschränkungen sollten sich nach Ansicht der Kammer gegen einzelne Mitglieder der Regierung richten. Die Abgeordneten verurteilten auch die Einmischung Russlands in den Wahlprozess in Georgien. Nach Ansicht des EU-Parlaments waren die georgischen Wahlen weder frei noch fair, sodass sich Georgien vom demokratischen und rechtsstaatlichen Weg entfernt habe, wofür die regierende Partei „Georgischer Traum“ die volle Verantwortung trage. In der Resolution heißt es, dass die von der georgischen Zentralen Wahlkommission vorgelegten Ergebnisse unzuverlässig sind und nicht den Willen der georgischen Wähler widerspiegeln.

Georgien strebte NATO-Beitritt an

Die Bedeutung der Wahl geht auch deswegen weit über die Grenzen des Landes hinaus, weil Georgien lange Zeit einen NATO-Beitritt angestrebt hat. Georgien ist zu einem Schlachtfeld im strategischen Wettbewerb des Westens mit Russland geworden. Anfang Oktober hätte eine von Moskau unterstützte Kampagne bei einem Referendum in Moldau, das an die Ukraine grenzt, einen Pro-EU-Kurs fast vereitelt. In Georgien hatten Wahlbeobachter festgestellt, dass die Wahl durch weit verbreiteten Betrug und Einschüchterung der Wähler ernsthaft verfälscht worden sei.

„My Vote“, ein Zusammenschluss georgischer Wahlbeobachter, erklärte, die Abstimmung sei durch physische Gewalt, Verstöße gegen das Wahlgeheimnis und das Füllen von Wahlurnen beeinträchtigt worden. Die Wahlbehörden wiesen diese Vorwürfe zurück und erklärten, die Abstimmung sei friedlich und frei verlaufen. Umfragen von unabhängigen Instituten im Vorfeld der Wahl hatten der Regierungspartei höchstens um die 40% der Stimmen prognostiziert, während die größeren Oppositionsbündnisse zusammengerechnet auf etwa 55% kamen.

Höhere Wachstumsprognosen

Die Moskau-freundliche Haltung der Regierung ist umso schockierender, als Georgien eines der ersten Länder war, die unter der Aggression von Russlands Präsident Wladimir Putin litten: Die beiden georgischen Regionen Abchasien und Südossetien wurden von Moskau de facto okkupiert. Die politischen Spannungen haben sich bislang noch nicht auf die wirtschaftliche Entwicklung ausgewirkt. Wie sich das Land ökonomisch entwickeln wird, ist nur sehr schwer vorherzusehen, weil nur wenige Tage vor den Wahlen die Welt noch in Ordnung schien. So haben sich der Internationale Währungsfonds (IWF) und die amtierende georgische Regierung sehr optimistisch dazu geäußert. Die Organisation hob ihre Wachstumsprognose für Georgien für das Jahr 2024 auf 7,6% an. In seinem Weltwirtschaftsbericht vom Oktober 2024 prognostiziert der IWF, dass das Wachstum des georgischen Bruttoinlandsprodukts weiter an Dynamik gewinnen wird, wobei für 2025 ein Plus von 6% erwartet wird.

„Damit übertrifft das Land die Raten der europäischen Staaten und der regionalen Nachbarn,“ sagte der stellvertretende georgische Wirtschaftsminister Vakhtang Tsintsadze, der seit 2022 im Amt ist. „Das Ziel der Regierung ist nicht nur die Aufrechterhaltung eines hohen Wirtschaftswachstums, sondern auch die Verringerung der Kluft zwischen dem Lebensstandard in Georgien und dem in den EU-Ländern“, sagte das Regierungsmitglied. Der stellvertretende Minister hob die laufenden Bemühungen der Regierung zur Förderung des Wirtschaftswachstums hervor, darunter die Umsetzung wichtiger Infrastrukturprojekte und Initiativen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Der Ausbau des TRAGECA war offenbar nicht auf seiner To-do-Liste. Jedenfalls erwähnte der Politiker das Mega­projekt nicht noch einmal extra.

Im Fokus stand die Präsentation des IWF, der sich überwiegend mit der volkswirtschaftlichen Entwicklung auseinandersetzte – und die sieht auch künftig sehr optimistisch aus. Denn die Organisation geht außerdem davon aus, dass das Pro-Kopf-BIP Georgiens in diesem Jahr etwa 8.883 USD erreichen wird, was einer Kaufkraftparität von 27.363 USD entspricht. Bis 2029 soll das Pro-Kopf-BIP auf 12.734 steigen, womit Georgien 52,5% des durchschnittlichen Pro-Kopf-BIP der EU-Länder erreichen würde.

Die Ziele, welche sich die georgische Regierung gesetzt hat, sind ähnlich ambitioniert. Die politische Führungsriege will die Prognosen des IWF noch einmal übertreffen. „Wir haben einen umfassenden Plan entwickelt, mit dem wir die Wirtschaft des Landes bis 2028 auf über 47,45 Mrd USD ankurbeln wollen“, sagte Kobatschidse, ebenso nur ein paar Tage vor den Wahlen. Zum Vergleich: 2023 lag das BIP bei 30 Mrd USD. „Dieser Plan umfasst spezifische Programme und Projekte, von denen wir glauben, dass sie uns helfen werden, dieses Ziel zu erreichen“, erklärte der Regierungschef.

Zukunft der Trasse TRAGECA ungewiss

Sollten die starken Unruhen im Land anhalten, dürften Großvorhaben wie die internationale Trasse TRAGECA kaum eine Chance haben. Dies wäre nicht nur für die Wirtschaft Georgiens ungünstig, sondern auch für Europa und Mittelasien, weil das Vorhaben einiges an Wirtschaftskraft verspricht. Die gesamte Trasse schlängelt sich über den Landweg, Bahnstrecken und über das Kaspische Meer durch insgesamt 14 Länder. Deren Märkte weisen gemeinsam eine jährliche Wirtschaftsleitung von 2,7 Bio USD auf, also etwa 65% des BIP von Deutschland. Die Türkei drückt hier mit 1,1 Bio USD dem gesamten Wirtschaftsraum den größten Stempel auf.

Diese Zahlen sind zwar im europäischen Vergleich relativ gering, doch geht es hier um eine Verkehrsinfrastruktur und folglich darum, Waren zu transportieren. Diese Route eignet sich hervorragend, um dem Projekt der Seidenstraße „The Belt and Road Initiative“ (BRI) Konkurrenz zu machen, das China vor geraumer Zeit angestoßen hat. Die Webseite des Projektes TRAGECA nennt zwischen 100 und 200 Logistikfirmen, die sich auf der Trasse engagieren. Besonders viele Unternehmen befinden sich in Rumänien und in Moldau mit 94 bzw. 18.

Das Vorhaben leidet stark unter dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Denn viele Staaten liegen in der Nähe Russlands oder haben sich sogar mit Moskau solidarisch erklärt wie der Iran. Auch aus diesem politischen Grund dürfte es nur schwer sein, wieder starke Impulse in das Vorhaben zu bringen. Nun hat der Iran die Führung für das Vorhaben für ein Jahr inne. Zuvor hatte eben gerade Georgien die Führung gestaltet.

Wichtig: Der Transitverkehr durch den Iran hat in der ersten Hälfte des Jahres 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 61% zugenommen. Der Generalsekretär des Projekts, A.A. Assavbayev, wies in einer Erklärung auf die Bedeutung der gemeinsamen Koordinierung der Arbeiten mit der Islamischen Republik Iran im Bereich des Gütertransports hin, insb. auf der Straße im Transit durch den Iran.

Westliche Unternehmen engagiert

Doch auch westliche Unternehmen haben bereits ihre Fühler nach dem Projekt ausgestreckt. So liefert der österreichische Metallhersteller Gertnergroup (GG) dem internationalen Hafen von Turkmenistan, der in der Stadt Turkmenbashi liegt, offenbar Ausrüstung aus Metall. Das berichtet die Publikation „Turkmenportal.com“. Dieser Hafen liegt auch an der Trasse. Den Mitgliedern einer Delegation wurde das Potenzial des Seehafens vorgestellt, insb. machten sie sich mit den Geräten und Dienstleistungen vertraut, die dort am Hafen installiert sind bzw. angeboten werden.

Während des Treffens mit Vertretern des internationalen Seehafens lobte der Generaldirektor des österreichischen Unternehmens, Alexander Masinger, die Infrastruktur des Hafens. In diesem Zusammenhang haben die Partner vorgeschlagen, den Besuch einer umfassenden Gruppe von Unternehmensvertretern in Turkmenistan zu wiederholen. Vielleicht bleibt GG nicht der einzige westliche Konzern in Turkmenistan.

Aktuelle Beiträge

Cookie-Einwilligung mit Real Cookie Banner