Das Verfassungsgericht des südostasiatischen Landes trifft bedeutungsvolle Entscheidungen und erschüttert so die heimische Politiklandschaft.
Beitrag in der Gesamtausgabe (PDF)
In der ersten Augusthälfte hat das thailändische Verfassungsgericht innerhalb weniger Tage zwei weitreichende Urteile gefällt. Das umstrittenste betrifft die Auflösung der populären Oppositionspartei Move Forward Party (MFP), die die Parlamentswahlen im Jahr 2023 gewonnen hatte, und den Ausschluss führender Parteimitglieder von politischen Ämtern. Das Gericht erklärte, die Reformvorschläge der MFP bedrohten die Monarchie und seien verfassungswidrig.
Zweites Urteil führte zu Amtsenthebung von Premierminister
Das zweite Urteil führte zur Amtsenthebung von Premierminister Srettha Thavisin von der regierenden Pheu Thai Party (PTP) wegen eines Verstoßes gegen den Ethikkodex. Das Parlament in Thailands Hauptstadt Bangkok hat daraufhin ein anderes PTP-Mitglied zur neuen Premierministerin gewählt: Paetongtarn Shinawatra, die 38-jährige Tochter des früheren Premierministers Thaksin Shinawatra, ist nun die jüngste Regierungschefin des südosteuropäischen Staates.
Die Urteile könnten zu erneuten politischen Unruhen im Land führen. Das Risiko politischer Instabilität in den kommenden Monaten und Jahren bleibt hoch. Parteiverbote sind in der Geschichte Thailands nichts Neues: Sie gelten als Maßnahmen des konservativen Lagers aus Militär und Königstreuen gegen eine Reformpartei, die v.a. eine Entschärfung des Majestätsbeleidigungs-Gesetzes (Lèse-Majesté-Gesetz) und eine Modernisierung der Monarchie versprochen hatte.
Ruf der jungen Bevölkerung nach einem Wandel in Thailand
Wie bei früheren Parteiverboten wird jedoch auch die Auflösung der MFP nichts an dem klaren Ruf der jungen Bevölkerung nach einem Wandel in Thailand ändern, der sich in dem deutlichen Sieg der MFP bei den Parlamentswahlen 2023 manifestiert hat. Es ist daher wahrscheinlich, dass eine neue Partei mit denselben Zielen an die Stelle der MFP treten wird. Das jüngste Urteil des Verfassungsgerichts zeigt, dass das Kräftemessen zwischen Reformern und Konservativen nicht so schnell vorbei sein wird und das Risiko eines Militärputschs weiterhin besteht.
Das zweite Urteil des Verfassungsgerichts könnte dazu dienen, den Druck auf die Regierungspartei PTP aufrechtzuerhalten. Die PTP war selbst führende Oppositionspartei und ist seit den Parlamentswahlen 2023 Teil einer Regierungskoalition mit konservativen (mit dem Militär verbündeten) Parteien. Es könnte auch eine Warnung an den derzeitigen PTP-Vorsitzenden und Ex-Premier Thaksin Shinawatra sein, keine größere politische Rolle auf Kosten der konservativen Parteien zu übernehmen. Angesichts der politischen Unerfahrenheit seiner jüngsten Tochter wird erwartet, dass er eine einflussreiche politische Figur bleibt.
Überarbeitung des sog. Digital-Wallet-Programms
Unter der neuen Premierministerin wird politisch weitgehend Kontinuität erwartet, wenn auch mit einigen Anpassungen. Das sog. Digital-Wallet-Programm, ein umfangreiches Konjunkturpaket zur Verbesserung der Lage der privaten Haushalte, könnte endlich überarbeitet werden. Dessen Planung und Umsetzung verzögerte sich und war von Missmanagement betroffen, seine Wirkung und der Einfluss auf die Staatsfinanzen sind umstritten.
Trotz der unbeständigen politischen Entwicklung hat sich die wirtschaftliche Erholung Thailands im zweiten Quartal dank steigender Exporte und eines starken privaten Konsums fortgesetzt. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die politischen Risiken die Wirtschaftsentwicklung in den kommenden zwölf Monaten beeinträchtigen werden. Die Risikoeinstufungen von Credendo bleiben vorerst unverändert.
Ausführliche Länderberichte finden Sie auf der Seite www.credendo.com
j.schnorrenberger[at]credendo.com