Unterm Strich ist die Wirkung aller Maßnahmen, die Biden angekündigt hat, vorderhand nur schwierig zu bestimmen. Ins Kalkül zu ziehen ist, dass eine erhöhte Konsumnachfrage üblicherweise nachfolgend die Investitionen antreibt.

Der demokratische US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden hat eine Mehrheit im 538 Wahlmänner umfassenden „Electoral College“ erreicht und wird somit aller Voraussicht nach am 14. Dezember 2020 formal zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt werden. Die Amtseinführung wird schließlich am 20. Januar 2021 stattfinden. Wie werden sich die Vereinigten Staaten unter Biden entwickeln? Wir wagen einen Blick voraus.

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Die US-Wahlen 2020 sind vorüber. Zwar hat sich der Rauch noch nicht vollständig verzogen, aber der Blick geht nach vorn: Was ist von einer Biden-Präsidentschaft zu erwarten? Was macht die US-Wirtschaft in der Ägide Biden? Wird Joe Biden in der Außenhandelspolitik einen protektionistischen Kurs wie sein Amtsvorgänger pflegen? Wie wird sich der Außenwert des US-Dollar entwickeln?

So viel vorweg: Die Erholung der US-Wirtschaft dürfte sich fortsetzen, und wir erwarten, dass die Schwäche des US-­Dollar gegenüber dem Euro, wie sie seit Mai zu beobachten ist, in abgemilderter Form andauert. In Summe keine schlechten Aussichten für europäische Exporteure.

Bidens Wahlprogramm …

Hinweise darauf, welche Richtung die US-Politik unter Biden einschlagen wird, sind in „Joes Vision“ zu finden, Bidens Wahlprogramm. Dort wird unter anderem eine Vielzahl an Steuererhöhungen genannt. So soll der Körperschaftsteuersatz von derzeit 21% auf 28% ansteigen. Auf Auslandsgewinne soll ein Steuersatz in Höhe von 21% gelten. Auch wird ein Mindeststeuersatz in Höhe von 15% auf Buchgewinne gefordert. Die Verlagerung von Arbeitsplätzen in das Ausland soll, wie es heißt, steuerlich sanktioniert werden – ein Vorhaben, bei dem sich die Demokraten mit den zukünftig oppositionellen Republikanern wohl sehr schnell einig werden. Biden fordert des Weiteren eine Anhebung des Spitzensatzes in der Einkommensteuer von derzeit 37,0% auf 39,6%. Das US-Forschungsinstitut „Tax Policy Center“ schätzt, dass Bidens Vorschläge die Einnahmen des Zentralstaates über einen Zeitraum von zehn Jahren um insgesamt 2,4 Bill USD in die Höhe treiben werden.

Aus Sicht in den Vereinigten Staaten arbeitender Unternehmen sind damit der schlechten Nachrichten nicht genug. Dem designierten US-Präsidenten schwebt auch vor, die Verhandlungsmacht der Gewerkschaft durch verschiedene Maßnahmen zu stärken, etwa durch die ausschließliche Vergabe öffentlicher Aufträge an tarifgebundene Unternehmen oder durch die landesweite Einführung einer Pflicht zur Leistung von Gewerkschaftsbeiträgen auch durch nicht organisierte Arbeitnehmer. Zudem soll der landesweit geltende Mindestlohn verdoppelt werden, und zwar von derzeit 7,25 USD pro Stunde auf 15 USD pro Stunde.

Darüber hinaus befürchten manche Unternehmer, dass sich Joe Biden dem Ansinnen des linken Lagers innerhalb der Demokratischen Partei nach einer Zerschlagung der großen Silicon-Valley-Konzerne nicht widersetzen wird. Hier ist jedoch einzuräumen, dass die Monopolstellung von Google & Co. auch vielen republikanischen Politikern ein Dorn im Auge ist.

… trübt die Stimmung der Unternehmen, …

Nach der überraschenden Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im Jahr 2016 schoss die Stimmung der Unternehmen in den Vereinigten Staaten steil nach oben. Nachfolgend hielt sie sich auf erhöhtem Niveau, bis zum Ausbruch der Coronapandemie.

Die Vermutung liegt nahe, dass angesichts der Pläne der Demokraten für die kommenden Jahre die Stimmung unter den US-Unternehmen nachhaltig leiden könnte. Selbst wenn die Coronapandemie demnächst einmal wieder zurückweichen sollte, würde die Stimmung nicht wieder anziehen. Im Ergebnis hieße dies, dass die Investitionspläne des Unternehmenssektors längerfristig zusammengestrichen würden.

… stärkt aber die Konsumnachfrage

Dem steht entgegen, dass „Joes Vision“ umfangreiche Steuergutschriften für Kinder und für die Kinderbetreuung vorsieht. Derartige Transfers werden, sollten sie Wirklichkeit werden, besonders Bevölkerungsgruppen mit geringem Einkommen zugutekommen. Diese weisen eine niedrige Sparquote auf.

Aus konjunktureller Perspektive hieße dies: Derjenige fiskalpolitische Stimulus, der mit den Steuergutschriften einherginge, dürfte der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage ohne große Abstriche zugutekommen. Darüber hinaus wird auch nur eine ansatzweise Umsetzung des Wahlkampfversprechens von Joe Biden, innerhalb seiner Amtszeit 2 Bill USD für Infrastruktur und Umweltschutz auszugeben, die Verbrauchs- und Investitionsausgaben des Staates in die Höhe treiben.

Die Wachstumsstory bleibt intakt, …

Unterm Strich ist die Wirkung aller Maßnahmen, die Biden angekündigt hat, vorderhand nur schwierig zu bestimmen. Ins Kalkül zu ziehen ist, dass eine erhöhte Konsumnachfrage üblicherweise nachfolgend die Investitionen antreibt. Dieser „Akzelerator-Effekt“ wird nach aller Erfahrung eine etwaige steuerinduzierte Eintrübung der Investitionslaune weit überkompensieren.

Die Umsetzung der von Joe Biden angekündigten Maßnahmen wird entscheidend davon abhängen, ob es den Demokraten gelingen wird, den Republikanern die Mehrheit im US-Senat abzunehmen. Das Rennen ist auch hier noch offen. Ohne eine Mehrheit in beiden Häusern des US-Kongresses wäre Joe Biden darauf angewiesen, Kompromisse mit den Republikanern einzugehen und mit Hilfe von Dekreten zu regieren.

Die von verschiedenen Seiten geäußerte Einschätzung, dass ein Wahlsieg Donald Trumps besser für die US-Wirtschaft gewesen wäre, ist durch nichts gedeckt und erheblich in Zweifel zu ziehen. Wir erwarten, dass die US-Wirtschaft im Schlussquartal 2021, und damit eher als der Euro-Raum oder das Vereinigte Königreich, ihr Vorkrisenniveau wieder erreichen wird. Diese Prognose setzt freilich voraus, dass eine etwaige Eskalation der Coronapandemie nicht einen erneuten „Lockdown“ der US-Wirtschaft erzwingt. Für das Gesamtjahr 2021 ergibt sich für uns die Prognose einer Zuwachsrate des US-Bruttoinlandsprodukts von 3,6%.

… doch auch die Schulden steigen weiter

Die Kehrseite eines derartigen, im internationalen Vergleich guten Wirtschaftsverlaufs wäre ein rasanter Anstieg der Staatsverschuldung. Nach unserer Berechnung belief sich die US-Staatsverschuldung im Jahr 2019 auf knapp 109% des Bruttoinlandsprodukts. Der Einbruch der Staatseinnahmen infolge der Coronapandemie in Verbindung mit diversen Rettungspaketen dürfte die Staatsverschuldung im Jahr 2020 auf über 130% des Bruttoinlandsproduktes hieven.

Eine vollständige Umsetzung der demokratischen Ausgabenvorschläge aus Wahlkampfzeiten würde die US-Staatsverschuldung in noch schwindelerregendere Höhen treiben. Die Ausgabenvorschläge summieren sich über ein Fenster von zehn Jahren auf mehr als 7 Bill USD, und sie werden durch die geplanten Steuer­erhöhungen nur teilweise zu finanzieren sein.

Protektionismus setzt sich fort

Die Hoffnung mancher Exporteure auf dieser Seite des Atlantiks, dass die Wirtschaftspolitik des designierten US-Präsidenten Joe Biden weniger protektionistisch ausfallen wird als die seines Amtsvorgängers, dürfte im Kern enttäuscht werden. Ein Wahlkampfslogan Joe Bidens lautete: „Made in All of America“. Der designierte Präsident möchte unter Zuhilfenahme der Einkaufsmacht des Staates die Rückverlagerung von Lieferketten in die Vereinigten Staaten erreichen. Die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland soll, wie bereits erwähnt, zudem steuerlich sanktioniert werden.

Bei alledem gehen politische Beobachter davon aus, dass Joe Biden den Schulterschluss mit der Europäischen Union suchen wird, um mit der geballten Macht des Westens gegen unlautere Aktivitäten der VR China vorzugehen. Europa ist für Biden ein Verbündeter und kein Feind.

US-Dollar wird schwächer

Nach der überraschenden Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten im Jahr 2016 gewann der US-Dollar gegenüber dem Euro sprunghaft an Wert. Wenn es auch nach all den geopolitischen Krisen in den zurückliegenden Jahren eine Vielzahl an Marktteilnehmern goutieren dürfte, dass im Weißen Haus bald ein Präsident sitzen wird, welcher nicht täglich neue Konflikte entfacht, wagen wir den Umkehrschluss und prognostizieren, dass nun, nach dem voraussichtlichen Wahlerfolg von Joe Biden, der Greenback gegenüber dem Euro an Wert verlieren wird.

Für diese Prognose spricht nicht nur die besagte Beobachtung aus dem Jahr 2016, sondern auch die Erwartung, dass mit dem unterstellten Abklingen der geopolitischen Risiken nach der Abwahl Trumps die Funktion des US-Dollar als „sicherer Hafen“ weniger gesucht sein wird. Im Ergebnis erwarten wir eine Aufwertung der Gemeinschaftswährung auf 1,23 USD per Mitte 2021.

Uwe Burkert leitet seit 2013 als Chefvolkswirt das Research der LBBW und repräsentiert es seit etwa zwei Jahrzehnten nach innen und außen. Alle zwei Wochen schaut er in seinem Blog „Burkerts Blick“ auf die Weltwirtschaft. Er bewertet die Entwicklungen an den internationalen Finanzmärkten und kommentiert Entscheidungen in der Wirtschafts-, Notenbank- und Regierungspolitik. Den Blog mit dem aktuellen Beitrag „Wohin steuert Amerika?“ finden Sie HIER.

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