Kurz nach Donald Trumps erster Zoll-Keule hatte der französische Kreditversicherer nach Paris geladen. Die kaum vorhersehbare Wirtschaftspolitik des neuen US-Präsidenten ist denn auch einer der großen Risikofaktoren für die ohnehin angeschlagene Weltwirtschaft, aber beileibe nicht der einzige.
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Nein, das Timing für das Austragen der jährlichen Country Risk Conference von Coface Anfang Februar hätte in diesem Jahr wohl kaum besser sein können. Just am Wochenende vorher schwang Donald Trump kurz nach dem offiziellen Amtsantritt seine erste richtige Zoll-Keule. Gegenüber mexikanischen, kanadischen und chinesischen Produkten hatte der neue US-Präsident staatliche Preisaufschläge zwischen 10% und 25% angekündigt, die mehr oder weniger direkt ab dem 3. Februar hätten gelten sollen. Doch nach Telefonaten mit der mexikanischen Präsidentin Claudia Sheinbaum und dem kanadischen Premier Justin Trudeau – verbunden mit gewissen Zugeständnissen in der jeweiligen Migrations- und Drogenpolitik – setzte Trump die Einführung der Zölle gegen Kanada und Mexiko kurzerhand für zunächst einen Monat aus, ohne dass sie in Kraft getreten wären.
Der Boden für die Country Risk Conference in Paris am darauffolgenden Tag war bereitet. „Wir haben viel Unsicherheit in der Welt“, sagte Coface-CEO Xavier Durand zur Begrüßung vor mehreren Hundert Gästen im vollen Palais Brongniart, dem altehrwürdigsten Gebäude der Pariser Börse. Dieser Satz hätte zu den Turbulenzen vom Tag zuvor kaum besser passen können. Natürlich, Durand steht einem Kreditversicherer vor, dessen Geschäft u.a. die globale Risiko- und Warenabsicherung ist. Doch man musste sich nicht nur Trumps jüngste Zolltiraden vor Augen halten, um eine risikoreiche Welt zu konstatieren. Chinas Wachstumsschwäche gepaart mit dessen wettbewerbsfähigen Gütern, Europas strukturelle Probleme, die anhaltenden Folgen der Corona-Pandemie, die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Welt, die Energiemangellage: Die jüngere Zeit war tatsächlich gespickt mit Gefahren, die grundsätzlich das Potenzial haben, zahlreiche Unternehmen und damit auch ganze Volkswirtschaften über kurz oder lang wirtschaftlich zur Strecke zu bringen. Nicht nur in Deutschland ist zuletzt die Zahl der Insolvenzen stark gestiegen. 2025 könnte es gar einen Rekordwert geben. „Wir sind in Deutschland inmitten eines perfekten Sturms. Die Unternehmen bekommen die Energiewende voll zu spüren, die Energiekosten sind extrem hoch. Dazu sind wir im heftigsten Handelskrieg seit 2008“, erklärte Christiane von Berg, die als Volkswirtin bei Coface u.a. für die deutsche Wirtschaft zuständig ist.
„Die europäische Krise ist strukturell“
„Wir haben heute eine sehr komplizierte Situation, weil sich die Welt in vielerlei Hinsicht verändert hat. Bei der Denkweise gab es eine Art Reset mit nun vorherrschenden komplexen nationalen Interessen“, sagte Famke Krumbmüller, Leiterin für die Region EMEIA bei der Strategieberatung EY-Parthenon. Coface-Chefökonom Jean-Christophe Caffet erklärte, die größten Risiken in diesem Jahr kämen aus Richtung Außen- und Wirtschaftspolitik. „Und diese sind eng mit Trump verbunden.“ Der US-Präsident setze um, was er angekündigt habe – und zwar eher schnell als langsam. Gerade für Europa ist Coface nicht nur deshalb für 2025 alles andere als optimistisch. „Die europäische Krise ist strukturell“, unterstrich Caffet. „Wir sehen in Europa eine schon länger anhaltende Deindustrialisierung, der Kontinent altert und ist gerade bei neuen Technologien weniger innovativ als andere.“
Hinzu kommen, das war ebenfalls häufiges Thema auf der Risk Conference, große politische Unsicherheiten, allen voran in den beiden größten EU-Volkswirtschaften Deutschland und Frankreich. Immerhin: Tags darauf – auch das ein so vorher nicht absehbares, gutes Timing – überstand Frankreichs Neu-Premier François Bayrou zwei Misstrauensvoten in Zusammenhang mit dem 2025er Staatshaushalt, dessen Aufstellung kurz darauf gelang. Die deutschen Bundestagswahlen am 23. Februar haben zumindest eine Konstellation hervorgebracht, in der die von der CDU angestrebte Regierungsbildung bis Ostern realistisch erscheint.
Europa und die USA haben politische Krisen nicht exklusiv
Doch die politischen Krisen und Umbrüche haben Europa und die USA beileibe nicht exklusiv. Auch in ostasiatischen Ländern gibt es diesbezüglich tektonische Verschiebungen. In Südkorea hatte das Parlament Präsident Yoon Suk Yeol zunächst suspendiert, ehe er von Ermittlungsbehörden verhaftet wurde – weil er wegen der Schieflage des Haushaltes Anfang Dezember 2024 das Kriegsrecht verhängt hatte. Zuvor hatte sich Yoon wochenlang mit Sicherheitskräften in seiner Residenz verschanzt. Auch sein Interimsnachfolger Han Duck Soo wurde des Amtes enthoben. In Japan musste Fumio Kishida im vergangenen Oktober nach nur drei Jahren als Premierminister seinen Hut nehmen. Sein Nachfolger, Shigeru Ishiba, ist selbst in seiner Liberaldemokratischen Partei (LDP) umstritten, läutete aber einen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik ein. Dieser ist auch notwendig.
Denn das ökonomische Urteil des Coface-Chefvolkswirts für Ostasien, Bernard Aw, fällt für die – hinter Deutschland – viertgrößte Volkswirtschaft der Welt alles andere als rosig aus. „Japan ist zwar bei Weitem nicht so stark von der Automobilindustrie abhängig wie Deutschland, steht aber vor ganz ähnlichen Problemen, wie der Alterung der Bevölkerung.“ Die Wachstumsraten seien in Japan im Prinzip schon seit etlichen Jahren im Keller, im vergangenen Jahr sei es erneut nur um magere 0,1% vorangegangen (zum Vergleich Deutschland: –0,2%). „Die Geburtenrate ist in Japan schon seit Anfang der 1970er Jahre stark rückläufig.“ Sie verharrt deutlich unter 1,5. Gleichzeitig gehört Nippon zu den Ländern mit der höchsten Lebenserwartung. Eine starke Alterung der Bevölkerung ist so quasi programmiert.
Südkorea trotzt politischen Turbulenzen
Das benachbarte Südkorea hat zwar in puncto Demografie mit ganz ähnlichen Problemen zu kämpfen, angesichts einer Fertilitätsrate von unter 0,8 sogar noch verschärfter. Aber das Land trotzt wirtschaftlich eindrucksvoll den politischen und teils auch gesellschaftlichen Turbulenzen. „Das 2024er Wachstum von 2,0% ist solide. Und auch in diesem Jahr könnte es auf diesem Niveau vorangehen“, so Aw. Die Coface-Prognose liege aktuell bei 1,5%.
Noch vor einigen Jahrzehnten war Südkorea eines der ärmsten Länder der Welt, holte anschließend mit Siebenmeilenstiefeln auf – und mischt als Hightech-Nation heute mit seinen nur 52 Millionen Einwohnern wirtschaftlich weit vorne mit, weil es sich industriell immer wieder neu erfunden hat. Ihre Reformbereitschaft zeigen die Südkoreaner auch aktuell. Während sich etablierte heimische Unternehmen in einigen Kernbranchen der zunehmenden Konkurrenz aus China erwehren müssen, suchte sich das Land neue Wachstumsmärkte in Bereichen wie Halbleiter, Biotechnologie oder autonomes Fahren.
Abgeschwächtes Wachstum in China
Apropos China, die größte Volkswirtschaft Ostasiens (und zweitgrößte der Welt) ist 2024 nach offiziellen Angaben der Regierung um 5% gewachsen, woran es allerdings Zweifel gibt. Für dieses Jahr prognostiziert Coface für die Volksrepublik einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts von lediglich 4,3%. Vor allem etwaige US-Zölle – und damit ist man zwangsläufig wieder bei Donald Trump – sieht der Kreditversicherer als Hauptrisiko für China an. Für das benachbarte Taiwan ist indessen die Volksrepublik selbst die größte Bedrohung. Immer wieder hat sie in jüngerer Vergangenheit mit einer feindlichen Übernahme Taiwans gedroht, zur Not mit militärischen Mitteln. Präsident Xi Jinping sieht die Insel als eigenes Territorium an. Die Spannungen nahmen zuletzt wieder zu, nachdem der eher China-kritische Lai Ching-te Anfang 2024 in Taiwan als Sieger aus den Präsidentschaftswahlen hervorgegangen ist.
Häufig sind chinesische Kriegsschiffe oder die Küstenwache in Meerstraßen rund um Taiwan unterwegs. Lai hat mehrfach schon einen friedlichen Austausch angeboten. Schließlich sind auch die wirtschaftlichen Verflechtungen groß; viele Menschen aus Festlandchina arbeiten in Taiwan. Wirtschaftlich läuft es, das machte auch Bernard Aw in Paris deutlich, auf der Insel ohnehin richtig rund. Im vergangenen Jahr stand ein Plus von 4,3%, obgleich das Land anders als China bereits als hochentwickelte Volkswirtschaft gilt. Taiwan ist allerdings noch stärker als Südkorea von der Halbleiterindustrie abhängig. Und Abhängigkeiten sind in diesen Zeiten alles andere als gut.