Die deutsche Wirtschaft befindet sich inmitten eines Sturmes. Dieser schwierigen Gemengelage widmeten sich die Experten beim diesjährigen „Tag der Exportweltmeister“. Gegenwind kommt aufgrund großer Überkapazitäten auf dem Stahlmarkt oder durch die Trump’schen Zölle. Sturmschäden zeigen sich u.a. in Form steigender Unternehmensinsolvenzen. Es gibt aber auch erste Anzeichen, dass sich das große Donnerwetter alsbald verzieht.

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Zum ersten Mal haben der „Tag der Exportweltmeister“ und der „MBI Stahltag“ Ende September parallel stattgefunden. Mehrere Hundert Gäste kamen ins Offenbacher Capitol Theater und waren sogleich mittendrin in der großen Kunst der Krisenanalyse. Gleich zu Beginn sagte Tobias Aldenhoff, Leiter der Wirtschafts- und Handelspolitik bei der Wirtschaftsvereinigung Stahl: „Die Situation ist extrem herausfordernd. Am liebsten hätte ich zu einem anderen Zeitpunkt gesprochen. Aber ich denke, es ist gerade jetzt wichtig, sich austauschen.“

Aldenhoff hat kraft Amt allen voran die Stahlbranche fest im Visier: „Allein im letzten Jahr hatten wir in diesem Markt globale Überkapazitäten von 600 Mio t.“ Das sei das Fünffache von der Menge, die EU-Unternehmen an Stahl produzierten. Der Importdruck sei dadurch enorm hoch. „Die großen Stahlmengen kommen v.a. aus China und anderen asiatischen Ländern – und sind übrigens zum allergrößten Teil CO2-intensiv produziert.“ Das war ein dezenter Hinweis auf die Maßgabe in Europa und Deutschland, wonach dort verstärkt klimaneutraler Stahl hergestellt werden soll.

Steigende Stahlpreise durch Infrastrukturmaßnahmen

Doch ausgerechnet der indische Konzernriese ArcelorMittal hatte im Juni seine Pläne für eine „grüne“ Stahlproduktion in Deutschland gestoppt. Der Bund hatte ihm hierfür insgesamt Fördergelder in Höhe von 1,3 Mrd EUR zugesagt, um seine Werke in Bremen und Eisenhüttenstadt auf „grünen“ Wasserstoff umzustellen. „Doch auch damit rechnet es sich für die Inder momentan nicht“, gab Aldenhoff zu bedenken, sagte aber auch: „Das kann sich in Zukunft wieder ändern. Denn es gibt einen Silberstreif am Horizont.“ Und meinte damit in erster Linie die hierzulande geplanten, großen Infrastrukturinvestitionen, die auch den Stahlpreisen wieder etwas auf die Sprünge helfen dürften.

Darauf zielte auch Hauke Burkhardt, Head of Trade Finance & Lending DACH bei der Deutschen Bank, in seiner anschließenden Keynote im großen Theaterrund ab: „Erwartete Kapitalströme haben erheblichen Einfluss auf physische Handelsströme. Als bei uns im Frühjahr das Sondervermögen angekündigt wurde, hat sich erhebliches Interesse an Deutschland geweckt.“

Auch der Liberation Day sei so ein Moment gewesen. Die verschiedenen, von Donald Trump angekündigten Zölle hätten zur Diversifizierung der Kapitalströme geführt. „In der Folge wurden hohe Summen aus dem US-Dollar abgezogen und sind in andere Währungen geflossen. Daher hat der US-Dollar gegenüber vielen Währungen abgewertet, auch dem Euro.“ Eine Aufwertung der eigenen Währung sei wiederum ungünstig für exportierende Unternehmen. „Wir bewegen uns in Deutschland gerade in vielfacher Hinsicht in einem Spannungsfeld“, unterstrich Burkhardt, der anschließend mit Tobias Aldenhoff noch an einer Podiumsdiskussion teilnahm. „Beispielsweise waren einerseits Messen wie die Bauma in diesem Jahr so gut besucht wie seit Langem nicht mehr. Viele Kunden beginnen jetzt mit dem großen Bestellen. Andererseits ist die Zahl der Unternehmensinsolvenzen deutlich höher als im vergangenen Jahr.“

Länderrisiken im Fokus

Insolvenzen sind auch ein wichtiger Indikator für Kreditversicherer – genau wie Länderrisiken. Claudia Haas, Regional Chief Market Officer bei Coface, sagte später auf der Event-Bühne: „Länderrisiken sind ein wesentlicher Bestandteil für die Absicherung von Lieferketten. Diversifizierung ist und bleibt ein großes Thema für Unternehmen. Doch bevor etwas an der Lieferkette geändert wird, sollten immer die Chancen und Risiken in dem jeweiligen Land betrachtet werden.“ Die weltweite Risiko-Wetterlage ist, damit sind wir wieder beim perfekten Sturm, wahrlich keine gute. Das zeigte auch die Länderrisikokarte von Coface.

Ebenso düster sah es bei einem Länder-Quervergleich zwischen Januar 2008 und August 2025 aus, den Markus Kuger, Chief Economic Adviser bei Baker Ing, mitbrachte. Dem Sturm der vielen globalen Krisen habe über all die Jahre lediglich Norwegen getrotzt. „Deutschland ist eine sehr offene Volkswirtschaft. In der G7-Gruppe gibt es kein anderes Land, das mehr exportiert“, erklärte Kuger, „daher sind die Länderrisiken für Deutschland viel wichtiger als etwa für die USA oder China, die relativ zum BIP einen viel kleineren Teil ausführen.“ Am Vormittag war im Capitol Theater die Frage aufgekommen, ob man angesichts der Zollwut von Donald Trump nicht stärker auf die USA als Markt verzichten könne. „Die Antwort“, so Kuger, „ist ein klares Nein. Wir haben im vergangenen Jahr so viel in die Vereinigten Staaten exportiert wie in kein anderes Land. Die USA sind viel zu wichtig für deutsche Unternehmen.“

Netzwerken in einem schönen Ambiente: das Foyer des Capitol Theaters am „Tag der Exportweltmeister“. © Jörg Rieger

Noch viel Potenzial für Europa bietet indessen der afrikanische Markt. Zwei Experten, die sich dort auskennen, sind Nacef Dhidah, Regional Sales Manager MENA beim schwäbischen Traditions-unternehmen Trumpf, und Andreas Voss, Chief Country Representative Nigeria bei der Deutschen Bank. „Wir haben früh damit angefangen, Märkte außerhalb der Industriestaaten zu erschließen“, erklärte Dhidah. In afrikanischen Ländern sei es allerdings vertrieblich alles andere als einfach, zumal Vertreter aus China und der Türkei häufig selbst in abgelegenen Region schon präsent seien. „Wichtig sind daher Partner vor Ort, die ein Verständnis und ein Netzwerk im jeweiligen lokalen Markt haben.“ Trumpf ist diesen Weg mit der Deutschen Bank gegangen. „Es gibt für jedes der über 50 Länder in Afrika unterschiedliche Exportbestimmungen“, berichtete Voss. „Gleichzeitig sind die lokalen Banken als Institutionen häufig noch nicht etabliert und vieles undurchsichtig. Und genau hier kommen wir ins Spiel.“

Dr. Dirk Schumacher, Chefvolkswirt bei der KfW Bankengruppe, nahm dann am Nachmittag wieder die gesamte Weltwirtschaft in den Blick. „Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos.“ Den hiesigen Mittelstand sieht der Ökonom dabei im Vorteil. „Unsere Mittelständler sind innovativ, und die Chinesen sind dort als große Konkurrenten noch nicht so angekommen wie bei Großkonzernen. Letztere werden auch durch die Trump’schen Zölle deutlich stärker durchgeschüttelt“, so Schumacher.

EU-Zollreform steht bevor

Die EU-Zollreform, deren noch auszuverhandelnde Regelungen ab 2038 verbindlich für alle Unternehmen gelten sollen, nahmen indessen Patrick Nieveler, Geschäftsführer der PASANI Academy, und Horst Scharf, Leiter von FORMAT Software Service, ins Visier. „Der Aufwand für den Umstieg dürfte sich für die Unternehmen zwar in Grenzen halten und die Übergangsfristen sind lang. Trotzdem sollte man den derzeitigen Reformprozess genau im Auge behalten“, erklärte Nieveler. Und Scharf ergänzte: „Es wird mit dem Data Hub künftig nur noch ein System geben.“

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