Coface-Volkswirtin Patricia Krause spricht im Interview mit dem „ExportManager“ über die Entwicklung von Inflation und Wechselkursen in Südamerika, den brasilianischen Markt sowie über Bildung als wichtigsten Faktor gegen den Fachkräftemangel.

Beitrag in der Gesamtausgabe (PDF)

Frau Krause, wie bewerten Sie die aktuelle Inflationsentwicklung in Südamerika und welche Maßnahmen halten Sie für notwendig, um die Inflation einzudämmen, ohne das Wirtschaftswachstum zu gefährden?

Patricia Krause: Im vergangenen Jahr wurden große Fortschritte bei der Senkung der Inflation erzielt, aber der letzte Schritt hin zu den Zielen der Zentralbanken ist der schwerste und verläuft entsprechend langsam. In einigen Ländern wie Brasilien sehen wir eine hartnäckige Inflation im Dienstleistungssektor, bedingt durch den weiterhin angespannten Arbeitsmarkt. Nicht nur in Deutschland kämpft man mit dem Fachkräftemangel und den steigenden Lohnkosten. In anderen Ländern versuchen die Regierungen, bestehende Subventionen abzubauen, bspw. bei Strom in Chile oder bei Treibstoff in Kolumbien. Das führt zu einem vorübergehenden Anstieg der Inflation. Darüber hinaus müssen die Auswirkungen der Währungsabwertungen im Blick behalten werden. Wenn eine Währung abwertet, bedeutet dies, dass Exporte günstiger für das Ausland, aber importierte Waren teurer werden. Dies erhöht dann auch den heimischen Inflationsdruck. Entsprechend reagieren die Zentralbanken in der Region im Allgemeinen vorsichtig und halten die Zinssätze weiterhin auf einem erhöhten Niveau, das die Wirtschaft und damit auch den Inflationsdruck abbremst.

Die Wechselkurse in einigen südamerikanischen Ländern sind sehr volatil. Welche Auswirkungen hat dies auf die Wirtschaft und wie können sich Unternehmen und Staaten gegen solche Währungsschwankungen absichern?

Die Währungen in der Region haben zum einen unter der unsicheren globalen Lage und zum anderen unter dem Rückgang des Zinsunterschieds zwischen lateinamerikanischen Volkswirtschaften und den entwickelten Märkten gelitten. Wenn die US-amerikanische Fed einen hohen Zinssatz anbietet, verlieren Investitionen in Schwellenländern mit einem ähnlich hohen Zins, aber einem deutlich höheren Risiko ihre Attraktivität. Zusätzlich gibt es innerhalb der Region hausgemachte Risiken, z.B. fiskalpolitische Probleme bis hin zum Ausfall der staatlichen Verschuldung, die sich ebenfalls auf den Wechselkurs auswirken. Starke Wechselkursschwankungen stellen eine Herausforderung für Unternehmen dar, da sie schwer vorhersehbar sind. Für heimische Unternehmen, die Verpflichtungen in einer Fremdwährung haben, können Währungsabsicherungen eine Möglichkeit sein. Demgegenüber sollten Unternehmen mit starkem Exportfokus besonders auf die finanzielle Lage ihrer Käufer achten, wenn diese in Ländern mit starken Wechselkursschwankungen sesshaft sind. Hier kann eine Versicherung helfen, mögliche Verluste abzusichern.

Viele südamerikanische Länder sind stark von Rohstoffexporten abhängig. Auf welche Weise können diese Länder ihre Wirtschaft diversifizieren, um weniger anfällig für Preisschwankungen auf den Rohstoffmärkten zu sein?

Neben dem Verkauf der Rohstoffe könnten die Länder in Verarbeitungsanlagen investieren und die nächsten Verarbeitungsschritte dieser Rohstoffe selbst vornehmen, um somit ein höherwertiges Gut zu erschaffen. Zudem sollten sie nach Branchen suchen, die Entwicklungspotenzial haben, und Strategien entwickeln, um interessierte Investoren anzuziehen. Investitionen in die Verbesserung der In-frastruktur, z.B. bei Transportwegen oder der Stromversorgung, würden ebenfalls dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit der lokalen Industrie zu steigern. Ebenso wäre eine Reduzierung der Bürokratie hilfreich, etwa beim Steuersystem oder bei Unternehmensgründungen bzw. -ansiedlungen.

Die Einkommens- und Vermögensungleichheit ist in vielen Teilen Südamerikas hoch. Welche politischen Maßnahmen sind notwendig, um die Ungleichheit zu verringern und für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen?

Sozialleistungen helfen zwar, die Herausforderungen der einkommensschwächeren Bevölkerung abzumildern, sind jedoch keine Lösung des Problems. Um echte Fortschritte zu erreichen, wäre die effektivste Maßnahme, die bestehenden Finanzmittel effizient in qualitativ hochwertige öffentliche Bildung zu investieren. Dazu gehört auch, den Lehrplan an die Bedürfnisse der Wirtschaft anzupassen und mehr Geld für gutes Lehrpersonal auszugeben.

Wie bewerten Sie die aktuellen Handels-beziehungen Brasiliens als größte Volkswirtschaft Südamerikas mit anderen Regionen der Welt, insb. mit China, den USA und der EU? Welche Chancen und Risiken sehen Sie?

Die brasilianischen Exporte sind seit 2021 gewachsen, wobei die Verkäufe nach China, dem wichtigsten Handelspartner, stark zugenommen haben. Die USA bleiben der zweitwichtigste Absatzmarkt, doch hier läuft der Anstieg der Ausfuhren schleppender. Brasilien pflegt generell gute Beziehungen zu seinen wichtigsten Handelspartnern. Dennoch wäre es wichtig, neue Handelsabkommen voranzubringen, was in diesem Fall in Zusammenarbeit mit den weiteren Mercosur-Staaten geschehen müsste. Brasilien selbst hat bspw. kein Handelsabkommen mit den USA oder China. Außerdem ziehen sich die Verhandlungen mit der Europäischen Union seit Jahren hin.

Wie kann Brasilien mehr ausländische Direktinvestitionen anziehen, um das Wirtschaftswachstum zu fördern und Arbeitsplätze zu schaffen?

Brasilien belegt laut den Vereinten Nationen den fünften Platz unter den wichtigsten Zielen für ausländische Investitionen weltweit und hat im vergangenen Jahr 66 Mrd USD erhalten. Das entspricht 2,9% des brasilianischen nominalen BIP im Jahr 2023. Um mehr Investitionen bzw. neue Investoren anzuziehen, könnte Brasilien wie bereits erwähnt Bürokratie abbauen, um die Geschäftstätigkeit von Unternehmen vor Ort zu erleichtern. Investitionen in die Infrastruktur wären eine weitere hilfreiche Maßnahme; dies würde die Transport- und damit die Gesamtproduktionskosten deutlich reduzieren.

Der informelle Sektor spielt in vielen südamerikanischen Ländern eine große Rolle. Wie kann dieser Sektor formalisiert werden, um Steuereinnahmen zu generieren und Arbeitnehmerrechte zu schützen?

Informell Beschäftigte sind oft gering qualifiziert und werden schlechter bezahlt als formell Beschäftigte. Um die Schwarzarbeit zu verringern und das Wirtschaftswachstum zu steigern, ist es notwendig, die Produktivität der Produktionsprozesse zu steigern und in die Ausbildung der Beschäftigten zu investieren. Es ist wichtig, Bildung mit dem Fokus auf den Produktionssektor zu priorisieren. Ein besserer Zugang zu hochwertiger Bildung ist ein wirksames Mittel, um die Informalität zu verringern.

In einigen Ländern Südamerikas gibt es Rückschritte bei der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Welche Auswirkungen hat dies auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Attraktivität für Investoren?

Wie in anderen Regionen auch ist Südamerika von einer zunehmenden politischen Polarisierung betroffen, was die Demokratie und den Rechtsstaat bedroht. Eine solche Entwicklung hat i.d.R. negative Auswirkungen auf die Anwerbung von Investitionen. Demgegenüber steht dennoch, dass die Region reich an natürlichen Ressourcen und Rohstoffen ist, womit sie auch weiterhin attraktiv bleibt.

Allein rund acht Millionen Venezolaner haben in den vergangenen Jahren ihre Heimat verlassen, fast ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Überhaupt sind die Migrationsströme innerhalb Südamerikas und aus anderen Regionen hoch. Welche Herausforderungen und Chancen ergeben sich daraus für die betroffenen Länder?

Zu den Vorteilen gehört, dass durch Zuwanderung die Zahl der Arbeitskräfte steigt. Mithilfe von Migranten könnte somit ein möglicher Arbeitskräftemangel verringert und die Wirtschaftsleistung gesteigert werden, da sie möglicherweise unterschiedliche Fähigkeiten und Fachkenntnisse mit in die Länder bringen. Darüber hinaus konsumieren die Zugewanderten im Gastland und zahlen Steuern, wenn sie arbeiten. Auch das steigert das Wirtschaftswachstum. Andererseits sind viele Migranten, selbst wenn sie qualifiziert sind, gezwungen, Jobs im informellen Sektor anzunehmen, bei denen sie weniger verdienen. Daher wäre eine bessere Integration ausländischer Zuwanderer in den Arbeitsmarkt hilfreich.

Welche Fortschritte gibt es bei der regionalen Integration wie dem Mercosur in Südamerika und welche Vorteile könnte eine stärkere Integration für die wirtschaftliche Entwicklung der Region bringen?

Der regionale Handel innerhalb Lateinamerikas ist nicht sehr stark – nur ein Fünftel der Exporte geht in andere Länder der Region. Für die meisten sind China oder die Vereinigten Staaten das Hauptziel ihrer Warenausfuhr. Ein Grund für dieses Verhalten ist, dass die Länder Südamerikas oft ähnliche Produkte herstellen und gleichzeitig ähnliche Produkte benötigen. Generell sind diese Volkswirtschaften hauptsächlich Exporteur von Rohstoffen und Importeur von Fertigwaren.

Der Klimawandel und Umweltzerstörung sind große Herausforderungen für Südamerika. Wie können Regierungen eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung fördern, die die Umwelt schützt und gleichzeitig den Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht wird?

Es gibt einige Beispiele für die Förderung privater Investitionen im Bereich erneuerbare Energien. Zudem ist Südamerika ein bedeutender Produzent der Rohstoffe, die für die grüne Transformation im Energiebereich benötigt werden. Allerdings hat der Abbau dieser Rohstoffe oft negative Auswirkungen auf die Umwelt. Daher wäre es sinnvoll, in verbesserte Abbauprozesse zu investieren, die Ressourcennutzung effizienter zu gestalten und den Umweltauswirkungen sowie den Folgen für die Menschen in diesen Regionen entgegenzuwirken.

Die Fragen stellte Jörg Rieger.

Aktuelle Beiträge

Cookie-Einwilligung mit Real Cookie Banner