Seit zweieinhalb Jahren diskutiert Großbritannien, wie der eigene EU-Ausstieg aussehen soll. Ende März läuft die Austrittsfrist ab – einigen sich EU und Großbritannien bis dahin nicht, kommt ein ungeregelter Brexit. Viele deutsche Mittelständler haben schon Krisenszenarien für diesen Ernstfall in der Schublade. Matthias Meyer, Geschäftsführer der britischen Tochter des Werkzeugmaschinenbauers Gebr. Heller Maschinenfabrik, sprach mit „Markt und Mittelstand“, einer Schwesterpublikation des „ExportManagers“, über den Stand der Vorbereitungen.
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Wie ist die Stimmung in der britischen Wirtschaft?
Angespannt. Das ganze Chaos ist für niemanden mehr verständlich, sowohl Pro- als auch Kontra-Brexit-Lager schämen sich für das Bild, das die britische Politik derzeit abgibt. Viele haben resigniert und wollen nur noch, dass es vorbei ist – auf welche Art auch immer.
Glauben Sie, dass uns ein harter Brexit bevorsteht?
Die Möglichkeit besteht mehr denn je, obwohl ich weiterhin hoffe, dass sich Großbritannien und die EU doch noch einigen. Allerdings läuft uns die Zeit davon. Unternehmen müssen Vorkehrungen treffen für den Fall, dass wieder eine harte Grenze durch den Ärmelkanal verläuft. Mit der Einleitung dieser Vorkehrungen können wir eigentlich nicht länger warten.
Wie wäre Ihr Geschäft konkret betroffen?
Wir übernehmen in unserem Werk in Redditch die Endmontage einer Produktlinie der Heller-Maschinen, und diese werden dann weltweit versandt. Jede Woche bekommen wir dafür sechs oder sieben Lkw-Ladungen Bauteile und Komponenten aus Europa und insbesondere aus Deutschland geliefert. Die Kostensteigerung durch Verzollung ließe sich im Fall eines ungeregelten Brexits minimieren, da für den Prozess der passiven Veredelung keine Zölle anfallen. Aber das Chaos an Tunnel und Fähre käme uns teurer zu stehen. Wenn ich nicht mehr verlässlich planen kann, wann Bauteile eintreffen, kann ich meine Produktionskapazitäten nicht effektiv ausnutzen, und eine pünktliche Lieferzusage gegenüber unseren Kunden wird dadurch erschwert. Wir müssten uns gegen die zu erwartenden Schwankungen in der Lieferkette absichern, indem wir Sicherheitsbestände einlagern. Aus diesem Grund sind wir derzeit dabei, weitere externe Lagerflächen anzumieten. Dies verursacht neue Kosten. Außerdem ist zu erwarten, dass die Transportkosten steigen werden, wenn die Lkw länger unterwegs sind.
Welche Maßnahmen liegen für den Fall der Fälle in Ihrer Schublade?
Nach einem harten Brexit brauchen wir weitere Arbeitskräfte in der Administration, die die komplexere Liefer- und Zollabwicklung übernehmen und Lieferketten anders strukturieren. Wenn die EU und Großbritannien sich aber wider Erwarten in letzter Sekunde einigen: Was mache ich dann mit diesen Arbeitskräften? Im Grunde müsste ich sie wieder entlassen. Das verträgt sich aber nicht mit der Verantwortung gegenüber unserer Belegschaft. Wir werden daher vermutlich doch bis zuletzt warten und eine Zeitlang mit Mitarbeitern in der deutschen Muttergesellschaft die zusätzlichen Prozesse lokal unterstützen und erst dann neu einstellen, wenn die Spielregeln final feststehen.
Erwägen Sie eine Verlagerung Ihres britischen Werks auf den Kontinent?
Wir haben über 40 Jahre Fachkompetenz in Großbritannien aufgebaut, die lässt sich nicht so einfach verlagern. Unsere Infrastruktur, Hallenkapazitäten, Produktionsanlagen können wir nicht über Nacht hier ab- und woanders aufbauen. Wir werden aus heutiger Sicht weiterhin in Redditch produzieren und mit den Unwägbarkeiten so effektiv wie möglich umgehen müssen. Sobald die dauerhaft gültigen Grundlagen der Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und der EU klar sind, werden wir die Frage aber erneut prüfen.
Wird sich der Fachkräftemangel mit dem Brexit weiter verschärfen?
Kurzfristig eher nicht. Direkt nach einem Brexit kann es auf dem Markt sogar mehr verfügbare Fachkräfte geben, weil einige Großunternehmen ihre Standorte schließen oder zurückbauen. Aber mittelfristig wird es schwieriger werden, qualifizierte Kräfte anzulocken, das stimmt. Wie attraktiv kann Großbritannien für Arbeitnehmer sein, wenn es rundherum abgekapselt ist? Kein deutscher Ingenieur wird hierherziehen, wenn er einen ähnlichen Job beispielsweise in den Niederlanden angeboten bekommt. Dort profitiert er von der Arbeitnehmerfreizügigkeit und weiß, dass seine Sozialversicherungsbeiträge in einem gemeinsamen Topf landen – hier ist das völlig unklar. Hinzu kommt die momentane Entwertung des Britischen Pfund: Auch wenn ein europäischer Arbeitnehmer hier seine Lebenshaltung in Pfund zahlt, kalkuliert er realistischerweise zurück in Euro, weil er irgendwann wieder in sein Heimatland zurück möchte. Und da zeigt sich, dass seit dem Referendum 2016 die realen Einkommen in Großbritannien um 20% gesunken sind.
Gibt es auch Industriebranchen, die von einem radikalen Austritt profitierten?
Krisengewinnler gibt es immer. Nach einem Brexit wird es vermutlich zu mehr Reshoring kommen. Unternehmen im Maschinenbau beispielsweise werden versuchen, ihre Komponenten in Großbritannien einzukaufen statt auf dem Kontinent. Allerdings haben sie nicht viele Anbieter zur Auswahl, da die Industriebasis Großbritanniens nicht so groß ist wie in vergleichbaren europäischen Ländern. Als ich 2003 hierhergezogen bin, war ich schockiert über den Stand des industriellen Gewerbes. Nach der Finanzkrise hat die Politik hier vermehrt investiert, Maschinenparks wurden modernisiert und Produktionsstraßen automatisiert, das hat dem Standort gutgetan. Umso bitterer ist, dass jetzt mit dem Brexit diesem Wirtschaftszweig wieder ein so heftiger Schlag versetzt wird.
Durch ein zweites Referendum könnte der Brexit noch abgesagt werden. War dann alles nur ein böser Traum – oder bleibt der Vertrauensverlust?
Natürlich gibt es ein paar Entscheidungen, die nicht rückgängig gemacht werden können. Aber den Großteil halte ich für reparabel. Großbritannien hat Vorteile als Zuliefer- und Kundenmarkt. Die wird kein europäischer Unternehmer aus persönlichem Ärger über die politischen Querelen ignorieren. Es mag eine Weile dauern, aber man wird wieder zusammenwachsen. Dessen bin ich mir sicher.
Das Interview ist in der aktuellen Ausgabe unseres Schwestermagazins „Markt und Mittelstand“ erschienen. Sie erhalten „Markt und Mittelstand“ im Zeitschriftenhandel oder über www.marktundmittelstand.de.
katharina.schnurpfeil@marktundmittelstand.de