Im April hat das EU-Parlament dem Entwurf des sog. EU-Lieferkettengesetzes zugestimmt. Die aktuellen Diskussionen in der Industrie konzentrieren sich auf die praktische Umsetzung der aufgeführten Sorgfaltspflichten. Dabei kommt ein Aspekt häufig zu kurz, der erhebliche juristische Sprengkraft birgt: das künftige zivile Klagerecht für Geschädigte. In Verbindung mit der steigenden Anzahl professioneller Prozessfinanziers könnte dies in Deutschland eine Prozesslawine gegen Unternehmen auslösen.

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Das deutsche Lieferkettengesetz, das seit Januar vergangenen Jahres gilt, wird in der Wirtschaft bis heute kritisiert. Unternehmen beklagen z.B. exzessiven, teils redundanten Berichtsaufwand oder die Verpflichtung, für Wertschöpfungsschritte geradezustehen, die sie seriös gar nicht überprüfen können.

Die Industrie verfolgte daher die Debatte um die EU-Richtlinie „zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit“, kurz EU-Lieferkettengesetz genannt, von Beginn an mit gemischten Gefühlen. Der Hoffnung, dass nach dem deutschen Alleingang künftig gleiche Regeln für alle europäischen Wettbewerber gelten, stand die Sorge gegenüber, das bestehende deutsche Pendant könnte durch die Brüsseler Vorgaben nochmals verschärft werden.

Nach der Verabschiedung des Entwurfs durch das Europäische Parlament im April steht fest, dass die Überwachungspflichten sehr ambitioniert sind und über die Vorgaben des bestehenden deutschen Lieferkettengesetzes zweifellos hinausgehen. Spannend bleibt die Frage, wie der hiesige Gesetzgeber die Vorgaben konkret in nationales Recht umsetzen wird.

Vorbereitung in sechs Schritten

Betroffene Unternehmen müssen sechs Schritte abarbeiten, die den OECD-Leitlinien für die Sorgfaltspflicht bei verantwortungsvollem Geschäftsgebaren folgen. Konkret sind sie dazu verpflichtet,

• Sorgfaltspflichten in die Unternehmenspolitik und die Management-
systeme zu integrieren,
• nachteilige Menschenrechts- und Umweltauswirkungen zu identifizieren und zu bewerten,
• tatsächliche und potenziell nachteilige Menschenrechts- und Umweltauswirkungen zu verhindern, zu beenden oder zu minieren,
• die Wirksamkeit entsprechender Maßnahmen zu bewerten,
• begleitend zu kommunizieren sowie
• Abhilfemaßnahmen bereitzustellen.

Die Diskussionen in den Führungsetagen konzentrieren sich derzeit auf die Frage, wie man diesen Ansprüchen im komplexen Geschäftsalltag praktisch gerecht werden kann. Allerdings sind auch die Folgen, die sich aus möglichen Verstößen ergeben, einer intensiven Betrachtung wert. Neben behördlichen Sanktionen können nämlich künftig Personen, die sich von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden betroffen fühlen, zivilrechtlich auf Schadenersatz klagen.

Das deutsche Lieferkettengesetz stellt bislang ausdrücklich klar, dass Pflichtverletzungen keine zivilrechtliche Haftung begründen. Nun muss der Gesetzgeber die Voraussetzungen für entsprechende Zivilklagen schaffen.

Was wie eine Petitesse wirken mag, birgt erhebliche juristische Sprengkraft. Betroffene können nämlich nicht nur ein individuelles Verfahren anstoßen oder sich der Sammelklage bspw. einer NGO oder Gewerkschaft anschließen, sondern auch ein Unternehmen beauftragen, das sich auf die Finanzierung von Prozessen spezialisiert hat. Solche Gesellschaften, die im Erfolgsfall einen Anteil an der erstrittenen Schadenersatzsumme erhalten, treten hierzulande immer häufiger auf. Das ist ein profitables und legales Geschäftsmodell.

Droht eine Klagewelle?

Rechtsstreitigkeiten können erhebliche Kosten insb. für Verteidigung oder Gutachten verursachen. Wenn Unternehmen diese Kosten vorfinanzieren und sich möglicherweise am Risiko beteiligen, können Betroffene, die individuell das Kostenrisiko eines Gerichtsprozesses nicht tragen können oder wollen, ihre Ansprüche leichter durchsetzen. Gleichzeitig haben beteiligte Unternehmen natürlich ein Interesse daran, mit Blick auf die erzielbaren Erlöse möglichst viele erfolgversprechende Verfahren aktiv anzustoßen.

Zwar ist der „strafende Schadenersatz“, der in den USA immer wieder zu Sammelklagen mit teils spektakulären Entschädigungssummen führt, im deutschen Recht nicht verankert und auch die EU-Richtlinie schließt dies explizit aus. Stattdessen ist hierzulande entscheidend, welcher konkrete Schaden dem Betroffenen im Einzelfall entstanden ist.

Bei der Bündelung von Verfahren, die auf ähnlichen Vorwürfen beruhen, können aber erhebliche Summen zusammenkommen. Komplexe globale Lieferketten und bekannte Problemfelder wie etwa die Arbeitsbedingungen bei der Gewinnung knapper Rohstoffe dürften es interessierten Parteien relativ leicht machen, Angriffsflächen aktiv zu identifizieren. Daher steht zu befürchten, dass nach der Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht Unternehmen von einer Klagewelle überrollt werden.

Unternehmen sind gefragt

Das finanzielle Risiko aus derartigen Klagen hängt maßgeblich davon ab, was ein Unternehmen herstellt, welche Rohstoffe es verarbeitet und wie gut es die künftigen Anforderungen antizipiert und entsprechende Maßnahmen umsetzt. Wertschöpfungsketten, die eine – auch nur geringe – Exposition zu Krisengebieten oder Regionen mit prekären Menschenrechts- oder Umweltschutzstrukturen aufweisen, sind naturgemäß stark anfällig. Gleiches gilt für besonders komplexe Lieferketten, bei denen sich die Herkunft einzelner Bestandteile nur schwer oder – wie z.B. bei Schrotten oder recycelten Inhalten – faktisch gar nicht ermitteln lässt.

In diesem Zusammenhang wird auch das künftige Sanktionsregime eine wichtige Rolle spielen. Derzeit kontrolliert das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) die Einhaltung des deutschen Lieferkettengesetzes. Die Behörde verfügt über erhebliche Sanktionsmöglichkeiten, die von hohen Bußgeldern bis zum zeitweiligen Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen reichen, hat aber bislang mit viel Augenmaß agiert. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber die künftigen Verpflichtungen weiterhin im Rahmen der Kontrolle durch das BAFA oder eher im Rahmen der zivilrechtlichen Unternehmenshaftung konkretisiert.

Angriffsflächen mininieren

Die Mitgliedstaaten müssen die Vorgaben der Richtlinie binnen zwei Jahren in nationales Recht überführen, womit die entsprechenden deutschen Gesetze wohl spätestens ab 2027 greifen. Unmittelbar betroffen sind zunächst Unternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitern und einem weltweiten Konzernumsatz von über 1,5 Mrd EUR. Diese Schwellen sinken ab 2028 auf 3.000 Mitarbeiter und 900 Mio EUR und ab 2029 nochmals auf 1.000 Mitarbeiter und 450 Mio EUR, sofern der deutsche Gesetzgeber nicht über die europäischen (Mindest-)Vorgaben hinausgeht.
Gesellschaften, die unter diese Vorgaben fallen, sollten Angriffsflächen für juristische Attacken so weit wie möglich minimieren – nicht zuletzt deshalb, weil einschlägige Gerichtsverfahren unabhängig von ihrem Ausgang erhebliche Ressourcen binden und dem Ruf des Unternehmens nachhaltig schaden können.

Vorlaufzeit effektiv nutzen

Die Vorbereitung ist üblicherweise in eine Planungs- und eine Umsetzungsphase aufgeteilt. In der Planungsphase werden zunächst die eigenen Prozesse analysiert und an den umfassenden neuen Pflichtenkatalog angepasst. Anschließend ist zu definieren, wie sich die Einhaltung der Vorgaben im Geschäftsalltag dokumentieren und nachweisen lässt. In der Umsetzungsphase sind Zuständigkeiten und Berichtslinien zu definieren, passende Ressourcen und Kompetenzen aufzubauen und robuste Prozesse zu installieren, mit denen sich das Handeln der eigenen Zulieferer überprüfen und dokumentieren lässt. Gut vorstellbar ist, dass Zertifizierungsunternehmen hier in naher Zukunft entsprechende Nachweise anbieten.

Diese Vorbereitung erfordert Zeit und Ressourcen. Die dringende Empfehlung lautet daher, die verbleibenden zwei Jahre bis zur Umsetzung effektiv zu nutzen. Dazu gehört in aller Regel eine umfassende Beratung, um die zwingend notwendige Compliance herzustellen.

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