Die Bundesministerien für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie Arbeit und Soziales (BMAS) haben sich auf einen Referentenentwurf zum neuen Lieferkettengesetz geeinigt. Auf Unternehmen kommen umfangreiche Kontroll-, Berichts-, Dokumentations- und Handlungspflichten zu.

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Das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“, kurz „Lieferkettengesetz“ oder „Sorgfaltspflichtengesetz“ befand sich lange in der Abstimmung zwischen BMZ und BMAS. Nach einer Einigung der zuständigen Minister könnte es nun schnell gehen: Noch in dieser Legislaturperiode will die Große Koalition das Gesetz verabschieden. Zum 1. Januar 2023 soll es in Kraft treten. Auf Unternehmen kommt eine Vielzahl neuer Pflichten zu, die von einem umfangreichen Katalog an Ordnungswidrigkeiten und neuen Klagemöglichkeiten für Betroffene flankiert werden.

Das Gesetz soll zunächst unmittelbar nur für Unternehmen mit mehr als 3.000 Arbeitnehmern gelten. Innerhalb von verbundenen Unternehmen nach § 15 AktG werden die Arbeitnehmer sämtlicher Konzerngesellschaften der Konzernmutter hinzugerechnet, selbst wenn die Tochtergesellschaften im Ausland ansässig sind. Ab dem 1. Januar 2024 wird der Anwendungsbereich des Gesetzes auf Unternehmen mit mehr als 1.000 Arbeitnehmern erweitert, der Schwellenwert für die Anwendung des Gesetzes also herabgesetzt.

Umfangreicher Menschenrechtskatalog

Ausgangspunkt der Sorgfaltspflichten ist die Sicherstellung der Durchsetzung international anerkannter Menschenrechte in der Lieferkette. Anhang I des Referentenentwurfs führt dazu eine Liste internationaler Menschenrechtsabkommen auf, aus denen sich die geschützten Rechtspositionen ergeben. Dazu gehören das Recht auf Leben und Gesundheit, die Verbote von Sklaverei und Kinderarbeit sowie der Schutz vor Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung. Der erfasste Menschenrechtskatalog umfasst darüber hinaus viele Rechte, die unmittelbar aus der Stellung einer Person als Arbeiter/-in folgen, wie beispielsweise das Recht auf einen angemessenen Lohn und gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit, das Recht auf Arbeitspausen und eine angemessene Begrenzung der Arbeitszeit sowie das Recht auf die Gründung von Gewerkschaften und das Streikrecht. Die Sorgfaltspflichten erstrecken sich ferner auf das Recht der Gewährung eines angemessenen Lebensstandards, einschließlich der Garantie ausreichender Nahrung, Unterbringung und einer Wasser- und Sanitärversorgung.

Damit erstrecken sich die Sorgfaltspflichten auf einen umfangreichen Menschenrechtskatalog, dessen Einhaltung originär eine staatliche Aufgabe ist. Das Gesetz will die Verantwortung für die Durchsetzung international anerkannter Menschenrechte nicht vollends auf Unternehmen abwälzen, stellt aber fest, dass die Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte auch Unternehmen trifft. Trotz des festzustellenden Bemühens um Konkretisierung bleibt der Schutzbereich indes in vielen Fällen vage: Was ist eine „ungeeignete Arbeitsorganisation in Bezug auf Arbeitszeiten und Ruhepausen“? Was ist ein „angemessener Lohn“? Schließlich: Wenn der Gesetzgeber das Gebot der Nichtdiskriminierung aufgrund von „nationaler oder ethnischer Abstammung, … sexueller Orientierung, …, politischer Meinung, Religion oder Weltanschauung“ ernst nimmt, kann noch nicht einmal in allen Mitgliedstaaten der EU ohne Risiko eines Verstoßes gegen das Lieferkettengesetz produziert werden.

Abgestufte Verantwortung

Das Gesetz definiert die Lieferkette sehr weit, wodurch sich die Reichweite der Sorgfaltspflichten erhöht. So hat ein Unternehmen die Sorgfaltspflichten innerhalb des eigenen Geschäftsbereichs, bei Handlungen seiner Vertragspartner (unmittelbare Zulieferer) sowie bei Handlungen weiterer Zulieferer (mittelbare Zulieferer) sicherzustellen.

Zwei bedeutende Einschränkungen erfährt die Reichweite der Sorgfaltspflichten:

Zum einen durch das Merkmal der Beachtung der Pflichten „in angemessener Weise“. Dadurch wird das Einflussvermögen eines Unternehmens auf den unmittelbaren Verursacher einer Rechtsverletzung zum Bewertungskriterium für die Durchführung der Sorgfaltspflichten. Dieser Einfluss kann bei mittelbaren Zulieferern wegen fehlender Vertragsbeziehungen geringer sein als bei unmittelbaren Vertragspartnern. Über die Angemessenheit entscheidet im Ergebnis aber die Behörde in einem eventuellen Bußgeldbescheid bzw. das Gericht am Ende eines Verfahrens – eine erhebliche Unsicherheit für Unternehmen!

Zum anderen treffen die Unternehmen keine Handlungspflichten in Bezug auf Verletzungshandlungen bei mittelbaren Zulieferern, sofern sie davon keine sub-stanziierte Kenntnis haben. Erlangen Unternehmen Kenntnis von einer Rechtsverletzung, beispielsweise durch eine Beschwerde eines Betroffenen, haben Unternehmen bei unmittelbaren Zulieferern „angemessene Abhilfemaßnahmen“ einzuleiten.

Für die Angemessenheit einer Maßnahme gibt das Gesetz aber nur grobe Leitlinien zur Hand: Je nach Einflussmöglichkeiten des Unternehmens und der Schwere der Menschenrechtsverletzung dürften jedoch die Anforderungen an die Abhilfemaßnahmen steigen. Auch hier besteht eine erhebliche Rechtsunsicherheit für die betroffenen Unternehmen; zudem kann im Nachhinein geurteilt werden, dass die Einschaltung eines Zwischenhändlers „missbräuchlich“ war mit der Folge, dass ein mittelbarer Zulieferer wie ein unmittelbarer Zulieferer behandelt wird.

Auch KMU betroffen

Eines wird deutlich: Das Gesetz betrifft mitnichten nur große Unternehmen. Es ist zu erwarten, dass die direkt von dem Gesetz betroffenen Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten in der Lieferkette durch vertragliche Vereinbarungen an unmittelbare Zulieferer weitergeben, um die eigenen weitreichenden Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Das Gesetz und die Gesetzesbegründung sehen solche Vertragsklauseln ausdrücklich vor. Entsprechende Vertragsvereinbarungen könnten auch unter den Zulieferern in der Lieferkette zum Standard werden, um vertragliche Sorgfaltspflichten entlang der Kette zu erfüllen.

Verpflichtete Unternehmen könnten sich darüber hinaus Druckmittel einräumen lassen (beispielsweise in Form von Vertragsstrafen), mit denen Verstöße gesetzeskonform geahndet und unterbunden werden können. Auch kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), selbst solche, die entfernte Positionen in der Lieferkette einnehmen, sollten sich daher auf das Inkrafttreten des Gesetzes vorbereiten und die materiellen Pflichten berücksichtigen.

Weitreichende Sorgfaltspflichten

Hinsichtlich der geschützten Rechtspositionen schafft das Lieferkettengesetz Sorgfaltspflichten, die der Durchsetzung der Rechte dienen. Die Sorgfaltspflichten beziehen sich auf die gesamte Lieferkette. Sie können in sechs Bereiche unterteilt werden:

Zunächst haben Unternehmen ein geeignetes Risikomanagement einzuführen, das die unternehmensinternen Geschäftsabläufe auf ein Erkennen, Vorbeugen und Beenden drohender bzw. verwirklichter Risiken von Menschenrechtsverstößen trimmt. Ein wichtiges Instrument scheint hier die Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten zu sein, das zwar nur beispielhaft vorgeschlagen wird, aber dennoch zum Maßstab werden dürfte.

Unternehmen haben eine Risikoanalyse durchzuführen, in deren Rahmen Risiken in der Lieferkette bzw. bei Zulieferern gewichtet und priorisiert werden.

Sofern Risiken erkannt werden, sind Präventionsmaßnahmen zu ergreifen, um die Verwirklichung der Risiken zu vermeiden. Ebenso muss die Unternehmensleitung eine Grundsatzerklärung zur Menschenrechtsstrategie des Unternehmens verabschieden.

Sofern sich ein Risiko verwirklicht, hat ein Unternehmen Abhilfemaßnahmen einzuleiten. Im eigenen Geschäftsbereich muss die Abhilfemaßnahme zur Beendigung des Verstoßes führen.

Bei unmittelbaren Zulieferern müssen die Geschäftsbeziehungen zwar nicht sofort abgebrochen werden, es ist aber ein Konzept mit konkretem Zeitplan zu erstellen, wie Verletzungen geschützter Rechtspositionen minimiert werden können. Als letzte Eskalationsstufe hält das Gesetz aber auch den Abbruch der Geschäftsbeziehung für „geboten“. Bei Kenntnis von Verstößen bei mittelbaren Zulieferern ist insbesondere ein Konzept zur Minimierung und Vermeidung der Verletzung einer geschützten Rechtsposition zu erstellen und umzusetzen.

Nach dem Gesetz verpflichtete Unternehmen haben ein geeignetes Beschwerdeverfahren einzurichten, mit dessen Hilfe Betroffene menschenrechtswidrige Sachverhalte melden können. Das Beschwerdeverfahren bezieht sich auf die gesamte Lieferkette, muss also auch Personen zugänglich sein, die bei mittelbaren Zulieferern beschäftigt sind. Diese Verpflichtung ist folglich in der Lieferkette vertraglich weiterzureichen.

Schließlich werden umfangreiche Dokumentations- und Berichtspflichten eingeführt, darunter die Pflicht zur Erstellung eines Jahresberichts über die Umsetzung der Sorgfaltspflichten in der Lieferkette.

Neue Klagemöglichkeiten für Betroffene

Ursprünglich war vorgesehen, dass von Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette betroffene Personen aus dem Gesetz ein unmittelbares Klagerecht bekommen, mit dessen Hilfe sie Menschenrechtsverletzungen auf Basis deutschen Rechts gegen Unternehmen geltend machen können. Diese Möglichkeit sieht der Referentenentwurf nun nicht mehr vor. Betroffene Personen können jedoch Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen zur Prozessführung ermächtigen, wodurch die Hürden für eine Klage deutlich gesenkt werden.

Nach derzeitiger Rechtslage wäre eine solche Ermächtigung wegen mangelnden eigenen schutzwürdigen Interesses seitens der Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen wohl ausgeschlossen. Es ist abzusehen, dass sich hier eine „Klageindustrie“ interessierter Organisationen entwickeln kann, die Unternehmen einem kaum kalkulierbaren Risiko aussetzt – die bloße Behauptung einzelner oder weniger Arbeitnehmer mag ausreichen, ein Unternehmen in einen Rechtsstreit über die Auslegung zahlreicher unbestimmter Rechtsbegriffe mit ungewissem Ausgang zu verwickeln.

Materiell bezieht sich das Klagerecht auf sämtliche im Gesetz aufgeführten Menschenrechte, nicht jedoch auf einige umweltbezogene Pflichten.

Der Referentenentwurf weicht in zentralen Punkten zum Nachteil von Unternehmen vom Eckpunktepapier der Ministerien aus 2020 ab: Darin wollten die zuständigen Ministerien die Möglichkeit schaffen, dass Unternehmen ihre Haftung auf vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln beschränken können, wenn sie einen staatlich anerkannten Branchen- oder Schutzstandard innerhalb der Lieferkette implementieren („Safe Harbor“).

Auch eine explizite Exkulpationsmöglichkeit sieht der Referentenentwurf nicht mehr vor: Ursprünglich sollten Unternehmen explizit nicht für eingetretene Beeinträchtigungen haften, wenn sie nachweislich alle Sorgfaltspflichten erfüllen, die sie im Rahmen ihrer tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten umgesetzt haben. Zwar kann man das Gesetz dahingehend rechtlich auslegen – ein explizites Haftungsprivileg fehlt jedoch. Auch hier lässt das Gesetz Deutlichkeit vermissen.

Kontrolle und Sanktionen

Zuständig für die Kontrolle der Einhaltung der Sorgfaltspflichten durch Unternehmen soll das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) sein. Dort sind auch erforderliche Unternehmensberichte einzureichen.

Das Gesetz sieht zwei Arten von Sanktionen vor: Je nach Schwere des Verstoßes gegen die Pflichten aus dem Lieferkettengesetz können Unternehmen bis zu drei Jahre von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden. Darüber hinaus sieht das Gesetz einen beträchtlichen Katalog an Ordnungswidrigkeiten vor, der Verstöße gegen die materiellen Pflichten aus dem Lieferkettengesetz mit Bußgeldern von bis zu 800.000 EUR belegt. Bei Verstößen durch die Leitung eines Unternehmens können sich Bußgelder verzehnfachen. Wird Verstößen nicht oder nicht rechtzeitig abgeholfen oder werden Konzepte zur Beendigung von Verstößen bei unmittelbaren oder mittelbaren Zulieferern nicht oder nicht rechtzeitig erstellt oder umgesetzt, droht sogar eine Geldbuße von bis zu 2% des Jahresumsatzes.

Wie es weitergeht

Es ist damit zu rechnen, dass der überarbeitete Referentenentwurf vom Bundeskabinett beschlossen und in das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren zur Verabschiedung gegeben wird. Unternehmen tun gut daran, bereits jetzt organisatorische und vertragliche Maßnahmen zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten zu treffen. Die Zeit bis zum voraussichtlichen Inkrafttreten läuft. Es ist bedauerlich, dass der nationale Gesetzgeber bei einem solch globalen Thema vorwegprescht, nachdem der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments im Januar eine entsprechende Initiative für eine EU-Sorgfaltspflichtenrichtlinie verabschiedet hat und mit einer einheitlichen europäischen Regelung in den Produktionsländern mehr erreicht werden könnte.

l.harings@gvw.com

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