Dank der Einnahmen aus dem Export von Erdöl und Erdgas ist Algerien in der Lage, umfangreiche Konjunkturprogramme zu finanzieren. Im Mittelpunkt steht der Ausbau der Infrastruktur. Unter anderem unterstützt die EU Algerien dabei, die wirtschaftliche Basis des Landes zu verbreitern. Für mittelständische deutsche Unternehmen bieten sich viele Ansatzpunkte, da Algerien über ein relativ stabiles politisches Umfeld für Geschäftspartnerschaften verfügt.
Von Ingo D. Tuchnitz, Senior Regional Manager, Financial Institutions – Emerging Markets, BHF-BANK
Algerien ist der Fläche nach das größte Land Afrikas. Die knapp 40 Millionen Algerier leben ganz überwiegend in der nördlichen Küstenregion, auf die sich zugleich auch die wirtschaftlichen Aktivitäten konzentrieren. Zwei Drittel der Bevölkerung haben arabische Wurzeln, ein Drittel berberische. Traditionell verfügt Algerien über enge Verbindungen nach Frankreich. Neben der Amtssprache Arabisch ist Französisch die im Wirtschaftsleben gebräuchliche Sprache. Im Jahr 2005 trat ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union in Kraft.
Verhältnismäßig stabile politische Situation
Algerien zeichnet sich im Vergleich zu den Nachbarländern durch politische Stabilität aus. Zwar kam es 2011 auch in Algerien zu Protesten, die jedoch im Unterschied zu denen in anderen arabischen Ländern friedlich blieben. Als Reaktion auf die Demonstrationen hob die Regierung nach zwei Jahrzehnten den Ausnahmezustand auf und senkte die Lebensmittelpreise. Islamistische Ideen finden aufgrund der jüngeren Geschichte des Landes in Algerien weniger Anhänger als in anderen arabischen Regionen. In den 90er Jahren forderte der Konflikt mit islamistischen Kräften vermutlich mehr als 100.000 Tote. In dessen Folge erwarb die Regierung unter Führung von Präsident Bouteflika durch ihre Aussöhnungspolitik national und international viel Anerkennung. Dem vereinzelt aufflammenden islamistischen Terror begegnet der Staat mit einer starken Militärpräsenz, insbesondere in den Grenzgebieten zu Libyen und Mali. Der Anschlag auf ein Gasfeld Anfang 2013 und die Entführung und Ermordung eines französischen Touristen im Herbst 2014 haben die politische Stabilität des Landes insgesamt bisher nicht gefährdet.
Ein großes Problem bleiben für den im April 2014 wiedergewählten Präsidenten Bouteflika die hohe Jugendarbeitslosigkeit und der Mangel an billigem Wohnraum. Wie viele andere Staaten Afrikas weist Algerien ein starkes Bevölkerungswachstum auf. Die Bevölkerungszahl hat sich in den vergangenen 30 Jahren mehr als verdoppelt. Sie wächst pro Jahr um etwa 2%. Ein Risiko stellt die angeschlagene gesundheitliche Situation von Präsident Bouteflika dar. Sollte er aufgrund einer weiteren Verschlechterung seines Gesundheitszustands zur Aufgabe der Regierungsgeschäfte gezwungen sein, könnte sich bis zu eventuellen Neuwahlen die politische Situation instabiler präsentieren. Man erwartet jedoch durch eine solche Situation aus heutiger Sicht noch keinen grundlegenden Politikwechsel.
Sehr gute Finanzierungslage dank Öl und Gas
Algerien verfügte bisher über hohe Handelsbilanz- und Leistungsbilanzüberschüsse sowie einen fast ausgeglichenen Haushalt. Der gefallene Ölpreis und die geplanten Infrastrukturprojekte werden jedoch negative Auswirkungen haben. Dank komfortabler Devisenreserven des Staates in Höhe von ca. 184 Mrd USD und des Oil Stabilization Funds mit weiteren ca. 60 Mrd USD ist der algerische Staat auch weiterhin in einer guten Finanzierungsposition. Seit 2006 hat Algerien seine Schulden bei den Kreditgebern im Paris Club und den kommerziellen London-Club-Gläubigern größtenteils getilgt.
Das Wirtschaftswachstum wird für die nächsten Jahre auf durchschnittlich 3% geschätzt, was in etwa dem Wert der vergangenen Jahre entsprechen würde. Die Inflationsrate betrug 2014 rund 3%, die Arbeitslosenquote um die 11%. Die gute Wirtschaftsentwicklung der vergangenen Jahre ist vor allem hohen Erlösen aus dem Verkauf von Öl und Gas zu verdanken. Rund 30% des BIP und 98% der Exporterträge sowie gut 60% der Fiskaleinnahmen des Landes werden mit diesen beiden Energieträgern erwirtschaftet. Generell dominieren Staatsunternehmen das Wirtschaftsleben. Der Anteil der Industrie am BIP ist mit etwa 5% gering. Der Dienstleistungssektor ist vor allem auf Handel und Tourismus ausgerichtet.
Die Öl- und Gasreserven Algeriens werden auf 11,8 Mrd Barrel und die Gasreserven auf 4,5 Bill Kubikmeter geschätzt, womit das Land deutlich hinter den führenden Förderländern von Öl und Gas rangiert. Rund 95% seiner Erdgasproduktion liefert Algerien nach Europa.
Die wichtigsten Einfuhrgüter des Landes sind Nahrungsmittel, Maschinen, Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeugteile. Wie in vielen anderen afrikanischen Staaten hat sich China als wichtigster Importeur etabliert. Es wird gefolgt von der früheren Kolonialmacht Frankreich sowie von Italien und Spanien. Unternehmen aus Deutschland standen mit etwa 5% Marktanteil bei den Importeuren auf Rang fünf.
Die ausländischen Direktinvestitionen betrugen 2013 ca. 1,7 Mrd EUR. Beispiele für große Investitionsvorhaben sind ein algerisch-qatarisches Stahlwerk, das 2017 fertiggestellt sein soll, sowie eine Fertigungsstätte von Renault, die im vergangenen Jahr in Betrieb genommen wurde.
Konjunkturprogramme bieten Chancen
Vor dem Hintergrund der guten finanziellen Lage setzt die Regierung umfangreiche Konjunkturprogramme um, die auch deutschen Unternehmen gute Chancen bieten. Rund 150 Mrd USD werden in den Bau von Wohnungen, Hochschulen und Schulungszentren sowie den Ausbau des Straßennetzes und des Schienenverkehrs investiert. Hierdurch sollen auch die Voraussetzungen für eine Diversifizierung in arbeitsintensivere Sektoren geschaffen werden, wodurch man u.a. die hohe (Jugend-)Arbeitslosigkeit in den Griff bekommen will.
Bis 2019 sollen weitere 42 Mrd USD in die Stromerzeugung und die Stromverteilung fließen. Das staatliche Gas- und Elektrizitätsunternehmen Sonelgaz will neue Gasturbinenkraftwerke errichten. Besonderes Interesse gilt der Erweiterung der Kapazitäten bei den erneuerbaren Energien. Bis zum Jahr 2030 will Algerien 40% des Stroms vor allem über die Nutzung der Sonnenenergie erzeugen. Aktuell sind drei Solarhybrid-Kraftwerke und vier Windkraftanlagen in Bau. Entlegene Ortschaften sollen Photovoltaikanlagen erhalten.
Auch die Verbesserung der Wasserversorgung und der Abwasserentsorgung sowie Bewässerungsprojekte stehen auf der Agenda. Mehrere Staudämme und eine Reihe von Meerwasserentsalzungsanlagen sind in Arbeit. Für das Gesundheitswesen sind Investitionen in Höhe von 20 Mrd USD vorgesehen.
Ein wichtiges Entwicklungsthema ist die Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur des Landes, um die starke Ausrichtung auf den Öl- und Gassektor allmählich zu reduzieren. In diesem Zusammenhang sind drei große Petrochemieprojekte mit jeweils rund 3 Mrd USD Investitionssumme in Vorbereitung. Für zwei Raffinerien werden Vorstudien erstellt, der Bau einer dritten (Tiaret) befindet sich in der Ausschreibung.
Viele Ansatzpunkte für deutsche Unternehmen
Der deutsche Handel mit Algerien zeigte im Jahr 2013 einen leichten Überschuss (dt. Exporte 2,1 Mrd EUR, dt. Importe 1,9 Mrd EUR). Deutsche Produkte und deutsche Ingenieurdienstleistungen genießen in Algerien einen sehr guten Ruf, so dass deutsche Unternehmen vor allem bei anspruchsvollen Vorhaben präferierte Partner sind.
Deutschland bezieht aus Algerien vor allem Erdöl. Bei den deutschen Exporten handelt es sich in erster Linie um Pkw und Lkw sowie um Maschinen und Ausrüstungen für den Bausektor. Daimler errichtet in Algerien eine Produktionsstätte für Lkw und Busse. Rheinmetall hat laut Presseberichten die Genehmigung erhalten, gemeinsam mit anderen deutschen und einem regionalen Partner eine Produktionsstätte zur Herstellung von Transportpanzern in Algerien aufzubauen.
Ansatzpunkte für ein Engagement deutscher Unternehmen bieten sich vor allem beim Ausbau der Infrastruktur, etwa bei der Lieferung von Kraftwerks- und Übertragungstechnik, Ausrüstungen für Windparks und Solartechnik. Im Bereich der Umwelttechnik sind neben Anlagen zur Wasseraufbereitung auch technische Dienstleistungen gefragt. Auch der beabsichtigte Aufbau einer petrochemischen Industrie zur Herstellung von Düngemitteln kann für Anlagenhersteller aus Deutschland Ansätze bieten. Von den algerischen Geschäftspartnern wird es gern gesehen, wenn bei Investitionen vor Ort auch Ausbildungsplätze geschaffen werden und ein Technologietransfer ermöglicht wird.
Kontakt: ingo.dieter.tuchnitz[at]bhf-bank.com