Die algerische Volkswirtschaft ist extrem von Öleinnahmen abhängig. Der Absturz des Ölpreises im Jahr 2014 sowie fehlende Reformen haben zu einer drastischen Verschlechterung der Wirtschaftslage geführt. Mit der Wahl von Abdelmadjid Tebboune zum neuen Staatspräsidenten verbinden sich kaum Hoffnungen auf Reformen.
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Aus der algerischen Präsidentschaftswahl vom 12. Dezember 2019 ging Abdelmadjid Tebboune als Sieger hervor und wurde Nachfolger des langjährigen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika. In Ermangelung glaubwürdiger Kandidaten waren die Wahlen zuvor bereits zweimal verschoben worden. Außerdem wurden sie von mehreren Oppositionsparteien boykottiert. Abdelmadjid Tebboune sowie ein weiterer Kandidat hatten unter Bouteflika bereits das Amt des Premierministers inne. Tebboune genießt dennoch eine gewisse Glaubwürdigkeit, da er 2017 nur wenige Monate Regierungschef war und nach der Einleitung eines Antikorruptionsverfahrens, das den Interessen Said Bouteflikas zuwiderlief, rasch zurücktreten musste.
Kein politischer Neuanfang
Nach dem Rücktritt Abdelaziz Bouteflikas am 2. April 2019 wurde Algerien de facto von der Armee regiert. Gleichzeitig wurde eine Übergangsregierung unter Vorsitz von Noureddine Bedoui eingerichtet. Um den Frust der Demonstranten über die grassierende Korruption zu mindern, wurde eine Reihe von Korruptionsverfahren gegen hochrangige Personen eingeleitet. Das Ergebnis waren lange Haftstrafen für einige der unpopulärsten Persönlichkeiten unter Bouteflikas Vertrauten, darunter sein Bruder und verschiedene andere Geschäftsleute mit Verbindungen zum alten Regime. Diese Verfahren sind jedoch vielmehr als Abrechnung innerhalb der Elite denn als ernsthafter Versuch zur Bekämpfung der hohen Korruption zu bewerten.
Es ist zu erwarten, dass die Armee nach den Wahlen auf einen zügigen Übergang drängen wird. Gleichzeitig bestehen keine Anzeichen für einen strukturellen Bruch mit der Politik (bzw. dem Mangel einer Wirtschaftspolitik) des alten Regimes. Vor dem Hintergrund weitverbreiteter sozialer Unzufriedenheit dürften auch die Proteste anhalten, was die Umsetzung von Reformen zusätzlich erschwert.
Verschlechterung der Wirtschaftslage
Seit dem Absturz des Ölpreises hat Algerien ein hohes Zwillingsdefizit aufgebaut und kaum entschlossene Reformmaßnahmen ergriffen. Dies hat zu umfangreichen innen- und außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten geführt und stellt damit ein erhebliches Problem dar. 2013, vor dem Ölpreisverfall, bildeten Öleinnahmen einen wesentlichen Teil der Staatseinkünfte und einen noch bedeutenderen Anteil an den gesamten Leistungsbilanzeinnahmen.
Die Auswirkungen auf die Haushaltslage waren demnach beträchtlich, insbesondere da Algerien bereits während des Ölpreisbooms ein Staatsdefizit aufwies. In den Jahren 2012 bis 2013, als der Ölpreis im Durchschnitt bei über 100 USD pro Barrel lag, betrug das durchschnittliche Haushaltsdefizit immer noch 2,4% des BIP. Mit dem Rückgang des Ölpreises schnellte das Defizit entsprechend in die Höhe und erreichte 2015 einen Spitzenwert von 15% des BIP. Danach sank es bis 2018 kontinuierlich auf 4,8%, dürfte 2019 jedoch wieder auf 8,1% des BIP angeschwollen sein. Der Rückgang des Staatsdefizits zwischen 2015 und 2018 ist auf höhere Steuereinnahmen (insbesondere durch höhere Importzölle) sowie eine Erholung des Ölpreises zwischen 2015 und 2018 zurückzuführen.
Infolge des strukturellen Haushaltsdefizits stieg die Staatsverschuldung von 7,7% des BIP im Jahr 2013 auf 38,3% im Jahr 2018. Für 2019 wird ein Wert von 46,1% des BIP erwartet. Für die kommenden Jahre ist der IWF recht optimistisch, da mit einer stetigen Haushaltskonsolidierung gerechnet wird, die bis 2023 zu einem Primärüberschuss führen sollte. Im aktuellen politischen Klima ist jedoch unsicher, ob die Behörden zur Durchsetzung einer solchen Konsolidierung in der Lage sind.
Die Auswirkungen auf die Leistungsbilanz waren noch deutlicher: Algeriens Leistungsbilanzüberschuss, der 2013 noch 0,3% des BIP betrug, wandelte sich bis 2016 in ein Defizit von 16,5% des BIP. Dieser Wert war bis Ende 2018 auf 9,6% zurückgegangen, dürfte 2019 jedoch wieder auf 12,6% des BIP angestiegen sein und bis 2023 bei über 10% verbleiben. Auffallend ist, dass Algerien dieses Leistungsbilanzdefizit nahezu vollständig unter Verwendung seiner Währungsreserven und seines Ölstabilisierungsfonds finanziert hat. Die ausländischen Investitionen sind ausgesprochen niedrig und Portfolioinvestitionen nicht vorhanden.
Im Ergebnis werden Reserven in hohem Tempo aufgezehrt. Ende 2013 lagen Algeriens Währungsreserven bei 192 Mrd USD, während der Ölstabilisierungsfonds weitere 70 Mrd USD enthielt. Insgesamt konnte dieser Puffer 42 Monatsimporte abdecken und entsprach 125% des BIP. Die umfangreiche Verwendung dieser Mittel führte bis Ende 2017 zur Erschöpfung des Ölstabilisierungsfonds und bis Ende 2019 zu einem Rückgang der Reserven auf 65 Mrd USD bzw. zwölf abgedeckte Monatsimporte. Angesichts des anhaltend hohen, wenngleich rückläufigen Leistungsbilanzdefizits wird für die kommenden Jahre mit einem weiteren Rückgang der Reserven gerechnet.
Positiv anzumerken ist, dass das Land kaum Auslandsschulden hat. Seit der Schuldenkrise in den 90er Jahren hat die Regierung stets die Politik verfolgt, Kreditaufnahmen im Ausland zu vermeiden. Da die Reserven jedoch weiterhin unter Druck stehen, verfügt die Regierung in den kommenden Jahren nur über eingeschränkte Möglichkeiten: Entweder sie leitet drastische Reformen ein (einschl. der Begrenzung der Importe), oder sie greift auf Auslandskredite zurück.
Bescheidene Reformbilanz
Die bisherige Reformbilanz ist ausgesprochen bescheiden, und derzeit gibt es keine Aussicht auf eine Änderung der Wirtschaftspolitik. Im aktuellen politischen Klima und angesichts der anhaltenden Proteste gestaltet sich die Konsolidierung des Haushalts als äußerst schwierig. Einige der ergriffenen Maßnahmen haben darüber hinaus negative Auswirkungen auf die Wirtschaft. Zur Verringerung des Drucks auf die Währungsreserven hat die Regierung Maßnahmen getroffen, die den Import teurer und schwieriger machen sollen.
Während diese Schritte das Potential haben, den Import (und damit außenwirtschaftliche Ungleichgewichte) leicht zu reduzieren, beeinträchtigen sie gleichzeitig das Geschäftsklima, da die Einfuhr von Produkten umständlicher und schwieriger wird. Solche Maßnahmen sind eine Art des Wirtschaftsnationalismus, mit dem nach offizieller Lesart die lokalen Industrien geschützt, tatsächlich jedoch die Gewinnspannen einiger der Führungselite nahestehender Unternehmen abgesichert werden sollen. Außerdem führen sie zu höherer Ineffizienz, da Unternehmen weniger Anreize haben, ihre Effizienz zu steigern.
Diese Art von Maßnahmen beeinflusst damit die langfristigen Wachstumsprognosen. Seit Jahren bleibt das Wachstum Algeriens hinter der Entwicklung der anderen Staaten in der Region zurück. So erreichte das Wachstum seit 2008 einen Durchschnittswert von nur 2,8% und lag 2017 sowie 2018 bei lediglich 1,3%. Für die Zukunft erwartet der IWF derzeit weiterhin ein Wachstum von rund 1,9%. Obwohl es sich hierbei um eine optimistische Einschätzung handelt, wäre selbst dieser Wert angesichts der zahlreichen Ursachen sozialer Unzufriedenheit nicht ausreichend, um die strukturell hohe Arbeitslosenquote zu beseitigen. Diese betrug Ende 2018 12%, während die Jugendarbeitslosigkeit bei nahezu 30% liegt.
Obwohl sich die Situation in Algerien deutlich verschlechtert hat, ist es aufgrund der verschwindend geringen Auslandsverschuldung des Landes unwahrscheinlich, dass diese Schulden nicht beglichen werden können. Daher stuft Credendo das mittel- bis langfristige politische Risiko Algeriens unverändert in Kategorie 4 ein, auch wenn weiterhin ein deutlicher Druck besteht.
Ausführliche Länderberichte finden Sie auf der Seite www.credendo.com.