Nach der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi am 2. Oktober 2018 hat die Bundesregierung beschlossen, für eine Reihe von bereits erteilten Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien eine „vorläufige Aussetzung“ auszusprechen. Die betroffenen Ausführer fragen sich, ob eine solche vorläufige Aussetzung rechtmäßig ist und ob sie in einem solchen Fall Entschädigungsansprüche haben.
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D in Deutschland hatte beantragt, seine Rüstungsgüter (Kampfflugzeuge) an S (die Armee in Saudi-Arabien) auszuführen; diese Genehmigung wurde D im Januar 2018 erteilt, nachdem D (nach den Anforderungen im Koalitionsvertrag) nachgewiesen hatte, dass eine Nutzung im Jemen-Konflikt nicht zu befürchten ist. Zu seiner großen Überraschung erhielt D zehn Monate später im November 2018, als gerade die Ausfuhr beginnen sollte, folgenden Bescheid vom BAFA: „Die Gültigkeit der Ihnen im Januar 2018 erteilten Genehmigung mit der Antragsnummer X wird hiermit mit sofortiger Wirkung bis zum 09.01.2019 außer Kraft gesetzt (vorübergehende Aussetzung). Die Ausfuhr darf daher bis zu dem genannten Zeitpunkt nicht getätigt werden. Die sofortige Vollziehung dieses Bescheids wird gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet.“ Kann sich D dagegen wehren? Und vor allem: Kann D Entschädigung verlangen, insbesondere wenn die vorläufige Aussetzung länger dauert? Hinweis: Viele dieser vorläufigen Aussetzungen wurden mehrfach verlängert, die meisten derzeit bis zum 31. März 2020.
Thesen zur Rechtsgrundlage und zur Entschädigung
Am überzeugendsten ist als Rechtsgrundlage § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG. Dann müsste das BAFA „aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt sein, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen“ und ohne die vorläufige Aussetzung (als Minus zum Widerruf) müsste das „öffentliche Interesse gefährdet“ sein. Es geht konkret um die Verhütung einer „erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen der BR Deutschland“ (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 AWG).
Es ist aber mehr als fraglich, ob eine solche konkrete Gefahr für diese auswärtigen Interessen hier droht. Denn selbst wenn man der Auffassung folgt, dass dieses Gemeinwohlziel durch den Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP konkretisiert wird, ist nicht ersichtlich, wie hier ein Verstoß gegen dessen Kriterien 2 (interne Repression) oder 4 (Friede) begründet werden kann. Die Ermordung Khashoggis kann als „willkürliche Hinrichtung“ und somit als interne Repression (Kriterium 2) angesehen werden, aber die konkret zu exportierenden Rüstungsgüter stehen hiermit in keinem Zusammenhang. Auf Kriterium 4 könnte man evtl. die Beteiligung am Jemen-Krieg stützen; aber aus zwei Gründen dürfte das hier nicht gehen: Erstens war hier nachgewiesen worden, dass eine Nutzung für den Jemen-Krieg ausgeschlossen ist, und zweitens war die vorläufige Aussetzung allein auf die Ermordung Khashoggis gestützt.
Das BAFA muss die restriktive Rechtsprechung zur verfassungsmäßigen Bestimmtheit von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AWG berücksichtigen. Da hier aber wegen der Ermordung Khashoggis kein Abbruch diplomatischer Beziehungen oder kein Rückruf des Botschafters droht, dürfte es schwer sein, hier eine konkrete Gefährdung dieses Gemeinwohls nachzuweisen.
Noch höher wären die Anforderungen, wenn man die Rechtsgrundlage in § 6 AWG sieht. Denn dieser Einzeleingriff ist nur dann gerechtfertigt, wenn neben der konkreten Gefahr eine hohe Eilbedürftigkeit besteht, die so beschaffen ist, dass der Erlass einer Rechtsverordnung nicht abgewartet werden kann. Da es nicht um den Export von Massenvernichtungswaffen geht, dürfte die „erhebliche Gefahr“ hier schwer zu begründen sein. Wegen des Eingriffs in abgeschlossene Verträge stellen sich auch Fragen wegen der Verhältnismäßigkeit.
Hingegen können § 14 AWG und § 36 VwVfG keine Rechtsgrundlage für die vorläufige Aussetzung sein. Denn eine nachträgliche Befristung wäre nur zu-lässig, wenn sie entweder im Gesetz explizit zugelassen wird (das ist im AWG anders als etwa im GastG nicht der Fall) oder wenn die Voraussetzungen von § 49 VwVfG eingehalten werden.
Nach § 49 Abs. 6 VwVfG besteht ein Entschädigungsanspruch, wenn die Auswirkungen zwischen Widerruf und vorübergehender Aussetzung praktisch identisch sind, also vor allem dann, wenn dies zu einem Vertrauensschaden oder zu unzumutbaren Schäden führt, so dass ein Sonderopfer vorliegt. Je länger die vorübergehende Aussetzung andauert, umso wahrscheinlicher ist es, dass es zu unzumutbaren Schäden kommt.
Lösung des Ausgangsfalls
D sollte Widerspruch gegen die vorläufige Aussetzung der Ausfuhrgenehmigung einlegen. Wie gezeigt, bestehen gute Aussichten, dass die vorläufige Aussetzung als rechtswidrig angesehen wird; dann müsste sie aufgehoben werden. Wenn man weiter berücksichtigt, dass es hier um eine vorläufige Aussetzung von gut 16 Monaten geht, dürften die Chancen steigen, dass D hier einen Entschädigungsanspruch hat. Da Ausfuhrgenehmigungen nur für zwei Jahre erteilt werden, würde eine vorläufige Aussetzung von zwei Jahren faktisch einen Widerruf der Genehmigung darstellen, wenn dies nicht gleichzeitig von einer entsprechenden Verlängerung der Ausfuhrgenehmigung begleitet wird. Eine vorläufige Aussetzung von 16 Monaten kommt dem sehr nahe, zumal unklar ist, ob die Aussetzung nicht noch weiter verlängert wird. Eine fortgesetzte vorläufige Aussetzung, deren Ende nicht absehbar ist, kann gravierendere Auswirkungen als der Widerruf der Ausfuhrgenehmigung haben. Vgl. hierzu auch die Entscheidung des VG Frankfurt vom 3. Dezember 2019, das die vorläufige Aussetzung aufhob.
Resümee
Eine vorläufige Aussetzung von Ausfuhrgenehmigungen kann durchaus rechtmäßig sein. Der Mord an dem saudischen Journalisten Khashoggi dürfte aber kaum eine solche Aussetzung rechtfertigen, eine Beteiligung Saudi-Arabiens am Jemen-Krieg aber möglicherweise durchaus. Somit ist bei jeder Aussetzung im Einzelfall zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer rechtmäßigen vorläufigen Aussetzung vorliegen. Gerade der Gemeinwohlbelang „erhebliche Gefährdung der außenpolitischen Beziehungen der BR Deutschland“ bedarf hier einer sehr sorgfältigen Begründung: Ein pauschaler Verweis auf den GASP-Standpunkt 2008/944 reicht hierfür nicht aus; außerdem muss diese Analyse konkret auf die auszuführenden Rechtsgüter abstellen. Ein Entschädigungsanspruch besteht dann, wenn es um einen Vertrauensschaden oder um unzumutbare Schäden geht.
Für eine ausführliche Fassung vgl. unseren Beitrag in AW-Prax 2/2020. Aktuelle Hinweise zum EU-Exportrecht finden Sie HIER.
Hinweis: Die Kanzlei hat im April 2019 eine Ausfuhrgenehmigung für einen Rüstungsgüterexport nach Saudi-Arabien (unter Ausschluss einer Nutzung für Jemen) erreicht, und zwar ohne eine vorläufige Aussetzung.
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