Zum 1. Mai 2016 tritt der Unionszollkodex (UZK) in Kraft. Anhand eines aktuellen, anonymisierten Falls soll erläutert werden, welche Auswirkungen dies haben kann, z.B. beim Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung: Was ist, wenn in geringem Umfang Zoll­formalitäten nicht eingehalten werden? Müssen dann hohe Abgaben nach Art. 203 ZK wegen Entziehens aus der zollamtlichen Überwachung entrichtet werden, oder gibt es hierfür Entschuldigungsgründe? Diese Rechtslage wird mit der ab 1. Mai 2016 verglichen.

Von PD Dr. Harald Hohmann, Rechtsanwalt, Hohmann Rechtsanwälte, und Serkan Deniz, angestellter Anwalt, Hohmann Rechtsanwälte

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Ausgangsfall

Die Firma D in Deutschland erbringt ­Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten an Hubschraubern im Wege der aktiven Veredelung. Für diese Reparatur brauchen bei der Einfuhr in die EU keine Abgaben entrichtet zu werden, bei der Wiederausfuhr i.d.R. auch nicht, sondern lediglich bei der Einfuhr in ein Drittland für den erlangten Mehrwert (den Wert der Instandsetzung). In der Bewilligung von D war vorgesehen, dass D jede ­Ausfuhrsendung vor Warenabgang bei der zuständigen Ausfuhrzollstelle anzumelden hat. Im Rahmen einer Prüfung wird festgestellt, dass D in einigen Fällen diese Nachricht tatsächlich erst eine oder zwei Stunden nach Abgang der Hubschrauber übermittelt und somit die Anmeldungen der Güter für die Überführung ins Ausfuhrverfahren verspätet abgegeben hat. Die Ausfuhrzollstelle sah darin ein Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung und verlangte von D nach Art. 203 ZK Abgaben (2,7% Zoll und 19% Einfuhrumsatzsteuer = EUSt). Da hierfür in etwa der Wert der betroffenen Hubschrauber (100 Mio EUR) zugrunde gelegt wurde, ging es um Abgaben von 21,7 Mio EUR (2,7 Mio EUR Zoll und 19 Mio EUR EUSt). Wie kann sich D wehren?

Abwandlung: Was würde sich ändern, wenn sich dieser Fall nach dem 1. Mai 2016 ereignete?

Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung nach aktueller ­Rechtslage

Nach aktueller Rechtslage ist säuberlich danach zu differenzieren, ob es um einen Fall der Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung (nach Art. 203 ZK) geht oder um eine Verfehlung (einen minder schweren Fall der Entziehung) nach Art. 204 ZK, für den Entschuldigungsgründe zur Verfügung stehen (Art. 859 ZK-DVO). Diese Unterscheidung ist insofern gravierend, als für den Fall nach Art. 203 ZK (die Entziehung) praktisch keine Minderung des Abgabenbetrages in Betracht kommt, sofern hier nicht ausnahmsweise Billigkeitsgesichtspunkte geltend gemacht werden können. Sofern hingegen eine Verfehlung nach Art. 204 ZK vorliegt, ist von vorneherein klar, dass der Betrag bis auf 0 EUR reduziert werden kann bzw. muss, falls ein Entschuldigungsgrund nach Art. 859 ZK-DVO eingreift.
Nach der weiten Auslegung des EuGH ist eine Entziehung grundsätzlich bereits dann zu bejahen, wenn die zuständige Zollstelle „auch nur zeitweise“ am Zugang zu diesen unter Überwachung stehenden Gütern und damit an entsprechenden Prüfungen gehindert wird. Stellenweise gibt es Ansätze in der Rechtsprechung, diesen starren Ansatz aus Verhältnismäßigkeitsgründen dann aufzuweichen (zugunsten der Verfehlung nach Art. 204 ZK), wenn eine Kontrolle grundsätzlich möglich gewesen wäre oder wenn ein von Art. 859 ZK-DVO erfasster Fall vorlag etc. In der Praxis war bisher der Entschuldigungsgrund nach Art. 859 Nr. 6 ZK-DVO von besonderer Bedeutung: das fahrlässige Nichteinhalten der Zollförmlichkeiten, sofern dies leicht fahrlässig sowie ohne Entziehungsabsicht geschieht und D Maßnahmen ergreift, um „die Situation der Waren zu bereinigen“.

Lösung des Ausgangsfalls (aktuelles Recht)

D sollte Einspruch einlegen. Sofern sie die sofortige Zahlung der 21,7 Mio EUR in das Risiko mangelnder Solvenz bringen könnte, sollte D zusätzlich Aussetzung der Vollziehung beantragen. Dies sollte sie wie folgt begründen: Es liegt allein eine Verfehlung nach Art. 204 ZK – anstelle der Entziehung nach Art. 203 ZK – vor, weil es nur um einen geringfügigen Entziehungsfall geht: Zum Ersten geht es nur um eine geringfügige Verzögerung der Abgangsmeldungen von ein bis zwei Stunden. Zum Zweiten dürfte hier ein Fall des Art. 859 Nr. 6 ZK-DVO vorliegen, wie sich u.a. aus zwei Absätzen der Dienstvorschrift VSF Z 0901 entnehmen lässt.

Im tatsächlich beratenen Fall machte D mit Erfolg diesen Entschuldigungsgrund geltend, wozu D u.a. auf Folgendes hinwies: D hatte zumindest den Leiter des betroffenen Flughafens, der eng mit dem Zoll kooperierte, rechtzeitig informiert, so dass die zuständige Zollstelle grundsätzlich rechtzeitig die Möglichkeit der Kenntnis vom Abgang gehabt hätte. Zusätzlich hatte D unverzüglich diese Meldungen nachgeholt und damit „die Situation bereinigt“, wobei eine solche Nachholung nach der ZK-DVO grundsätzlich möglich ist. Angesichts einer sehr komplexen Pflichtenlage konnte für diesen Verstoß grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen werden, und Anhaltspunkte für eine Entziehungsabsicht lagen ebenfalls nicht vor. Die zuständige Zollstelle korrigierte daher im beratenen Fall den Abgabenbescheid auf 0 EUR!

Entziehen aus zollamtlicher Überwachung nach künftigem Recht

Eine vergleichbare Differenzierung zwischen Entziehung (ohne Entschuldigungsgründe) einer- und Verfehlung (mit Entschuldigungsgründen) andererseits wird es künftig nicht mehr geben. Nach den Art. 79 und 134 UZK kann nach wie vor auch eine vorübergehende Entziehung ausreichen, um eine solche Abgabenschuld zu begründen. In jedem Fall muss dann weiter geprüft werden, ob Entschuldigungsgründe nach Art. 124 Abs. 1h UZK und Art. 103 Delegierte ­UZK-VO (VO 2015/2446) bestehen.

Hierbei fällt aber auf, dass diese Gründe von ihrer Anzahl her weniger sind (fünf statt wie bisher zehn) und überwiegend andere Situationen betreffen. Nur einer der fünf dort genannten Gründe ist identisch mit der aktuellen Rechtslage (Überziehung um einen genehmigungsfähigen Zeitraum). Drei weitere betreffen folgende Situationen: anschließende An-meldung zum zollrechtlich freien Verkehr (zur Vermeidung einer Verdopplung der Abgaben), Wiederherstellung des Überwachungsstatus, fehlerhafte Angaben ohne Auswirkungen auf das Zollverfahren. Als Fünftes wird eine Art freiwillige Selbstanzeige normiert: rechtzeitige Unterrichtung der zuständigen Zollstelle über diese Entziehung, bevor diese Zollschuld mitgeteilt oder eine entsprechende Kontrolle angekündigt wird.

Lösung des Abwandlungsfalles

D könnte auch hier seinen Einspruch mit Verhältnismäßigkeit begründen und auf die obengenannten Punkte hierfür hinweisen. Allerdings wäre künftig eine Entschuldigung vor allem dann leicht zu begründen, wenn Überziehung – bei rechtzeitigem Antrag – noch genehmigungsfähig gewesen wäre. Wegen des Abgangs der Hubschrauber aus dem ­EU-Gebiet scheiden die drei weiteren genannten neuen Entschuldigungsgründe (z.B. Wiederherstellung des Überwachungsstatus) aus, und eine gleich­artige Vorschrift zu Art. 859 Nr. 6 ZK-DVO fehlt im neuen Recht.

D würde dann am besten den fünften neuen Entschuldigungsgrund bemühen: Er sollte die zuständige Zollstelle über diesen Verstoß unterrichten, bevor diese hierzu ermittelt oder eine solche Zollschuld mitteilt (im Ausgangsfall dürfte es dafür zu spät sein, weil dies bereits bei einer Prüfung aufgedeckt wurde). Dann wäre sichergestellt, dass D mit Sicherheit einen Entschuldigungsgrund geltend machen kann. Allein das Berufen auf Verhältnismäßigkeit wird in Zukunft u.U. nicht mehr ausreichen, um einen solchen Entschuldigungsgrund zu erreichen.

Resümee

Das Beispiel des Entziehens aus der zollamtlichen Überwachung zeigt, dass es beim neuen UZK um mehr als nur „alten Wein in neuen Schläuchen“ geht. Stellenweise finden erhebliche Erschwerungen statt (z.B. Streichung des besonders praxisrelevanten Entschuldigungsgrundes Art. 859 Nr. 6 ZK-DVO), die allerdings z.T. wieder von Erleichterungen (z.B. Aufhebung der mühsamen Differenzierung zwischen Entziehung nach Art. 203 ZK einer- und Verfehlung nach Art. 204 ZK andererseits) begleitet werden.
Die künftige Praxis wird zeigen, ob dies unterm Strich zu einer höheren Belastung oder eher zu einer Entlastung der Wirtschaft führen wird. Genauso klar ist auch, dass das Inkrafttreten des UZK zum Mai 2016 nicht zu einem „Schreckensszenario“ werden sollte. Selbst bei den besonderen Verfahren bleibt vieles beim Alten (vgl. den Beitrag der Kollegen Krause und Niestedt in dieser Ausgabe). Handlungsbedarf dürfte vor allem beim Zolllagerverfahren, bei Freizonen (Kontrolltyp II), vorübergehender Verwendung und Umwandlungsverfahren bestehen; bei der aktiven Veredelung bzw. passiven Veredelung wohl nur dann, wenn bisher das Zollrückvergütungsverfahren (aktive Veredelung) bzw. die Differenzverzollung (passive Veredelung) genutzt wurde. Die Unternehmen sollten den Stichtag 1. Mai 2016 zum Anlass nehmen, ihre Zollprozesse zu überprüfen und zu optimieren – hierfür ist jetzt der ideale Zeitpunkt.

Kontakt: info@hohmann-rechtsanwaelte.com

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