Während in Deutschland die Bauwirtschaft nach wie vor boomt, hat in der skandinavischen Bauwirtschaft das Forderungsrisiko zugenommen. Zudem sind durch die Entwicklung in den vergangenen Monaten Forderungsausfälle für Lieferanten und Dienstleister aus der skandinavischen Handelsbranche wahrscheinlicher geworden.

Deutsche Exporteure sollten das Forderungsausfallrisiko ihrer Abnehmer aus Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden prüfen. Eine interne Analyse, für die die Atradius-Risikoexperten kürzlich verschiedene Indikatoren wie das Zahlungsverhalten oder die Liquiditätssituation skandinavischer Unternehmen genauer untersucht haben, zeigt ein erhöhtes Zahlungsrisiko für die skandinavischen Länder.

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2018 zeigten die skandinavischen Volkswirtschaften trotz geringfügig rückläufigen Wachstums eine insgesamt solide Wirtschaftsentwicklung, wobei Schweden als einziges der vier Länder im vergangenen Jahr ein Wirtschaftswachstum von 2,5% verzeichnen konnte. Für 2019 erwartet Atradius für Schweden allerdings nur noch ein Wachstum von 1,6%. Auch für Finnland wird dieses Jahr mit einem Rückgang des Wachstums auf 1,4% gerechnet (2018: 1,7%). Für Dänemark gehen die Volkswirte in unserem aktuellen Economic Outlook von einer Steigerung des realen BIP um 1,6% aus, nach 1,5% im vergangenen Jahr. Auch für Norwegen ist ein Anstieg auf 1,9% (2018: 1,8%) prognostiziert.

Skandinavische Branchen im Fokus

Trotz relativ solider BIP-Zahlen sind die Länder zwischen Nord- und Ostsee für Exporteure aktuell kein „sicherer Hafen“, wie unsere interne Risikoanalyse zeigt. Insbesondere bei den Abnehmern aus den Branchen Bau und aus dem stationären Handel hat sich die Gefahr von Liquiditätsengpässen zuletzt in allen vier untersuchten Ländern Skandinaviens erhöht. Daneben sind die Unsicherheiten auch in weiteren Branchen der vier Volkswirtschaften gestiegen – etwa in der norwegischen Fischereiwirtschaft oder bei finnischen Holzverarbeitungsfirmen. Die Ursachen hierfür sind dabei ganz unterschiedlich.

Konkurse auf dem Vormarsch

Schon 2018 hatte sich die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in den skandinavischen Ländern erheblich erhöht. In Finnland nahmen die Firmenkonkurse um 17% gegenüber 2017 zu, in Schweden um 13%. In Norwegen waren 12% mehr lokale Firmen zahlungsunfähig im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. In Dänemark erhöhte sich die Zahl der Firmenkonkurse nochmals um 7%, nachdem bereits 2015 und 2016 die Insolvenzen gestiegen waren.

Insolvenzprognose 2019

Für Schweden rechnet Atradius für das laufende Jahr mit einem erneuten Anstieg der Insolvenzen um 3%, nachdem die Entwicklung schon 2018 negativ war. In Dänemark und Norwegen dürfte die Zahl der Insolvenzen stagnieren. In Finnland wird die Zahl mit –2% voraussichtlich leicht zurückgehen.

Schwächere Nachfrage nach neuen Immobilien setzt Preise in Norwegen und Schweden unter Druck

Während in Deutschland die Bauwirtschaft nach wie vor boomt, hat in der skandinavischen Bauwirtschaft das Forderungsrisiko zugenommen. Nach mehreren Jahren des Wachstums hat sich die Stimmung in den vergangenen zweieinhalb Jahren merklich abgekühlt. Insbesondere der private Wohnungsbaumarkt ist zunehmend gesättigt. Unternehmen, die in neue Apartments in Großstädten investiert haben, finden kaum noch Käufer für ihre Objekte. Besonders stark ist die Zahl der unverkauften Wohnungen zuletzt in Stockholm gestiegen: von rund 1.500 Einheiten 2016 auf mehr als 8.000 2018. Gleichzeitig sind die Preise für neuerrichtete Wohnungen in Schwedens Hauptstadt um 6% gefallen. Eine ähnliche Entwicklung ist im Raum Oslo zu beobachten.

Infolge der schwächeren Nachfrage sind die Wohnungsbauaktivitäten in Schweden und Norwegen in den vergangenen 18 Monaten spürbar zurückgegangen. Darüber hinaus hat sich auch die Nachfrage nach neugebauten Gewerbeimmobilien in beiden Ländern seit 2018 abgeschwächt. Das alles verringert die Liquidität der Baufirmen entlang der Wertschöpfungskette und erhöht das Zahlungsrisiko für deren Lieferanten und Dienstleister. So entfällt mehr als jede vierte Firmeninsolvenz in Norwegen auf ein Bauunternehmen.

Onlinegeschäft: Internetriesen hängen kleine Händler zunehmend ab

Zudem sind durch die Entwicklung in den vergangenen Monaten Forderungsausfälle für Lieferanten und Dienstleister aus der skandinavischen Handelsbranche wahrscheinlicher geworden. In allen vier Ländern fehlt es vielen kleineren und mittleren Handelsunternehmen an einer stringenten Strategie für das Onlinegeschäft. Stattdessen versuchen sie mit Einzelmaßnahmen, sich dem wachsenden Druck durch die großen Onlineanbieter entgegenzustemmen. Diese wiederum gewinnen mit Hilfe ihrer großen Datenmengen und ihrer ausgereiften Systeme zunehmend Marktanteile. Gleichzeitig trübt sich die private Konsumstimmung ein. Dafür wird mehr gespart. So haben sich beispielsweise in Finnland die Nettoersparnisse der Haushalte erstmals nach zwei Jahren wieder erhöht. Die größten Unsicherheiten im skandinavischen Handel sieht Atradius derzeit bei stationären Modehändlern, Einzelhandelsgeschäften, Händlern von Möbeln und weiteren Haushaltsgegenständen.

Fischbranche: Lachssterben erhöht Liquiditätsrisiko in Norwegen

Nach Rohöl und Gas ist Fisch das drittwichtigste Exportgut der norwegischen Wirtschaft. 2018 verzeichnete die Branche noch ein Rekordjahr. In diesem Jahr aber droht das Geschäft einzubrechen. Im Mai 2019 breitete sich eine für Fische giftige Alge in den Gewässern Nordnorwegens aus. In der Folge starben mehrere Millionen Zuchtlachse. Der Lachs ist der mit Abstand wichtigste Exportfisch für die norwegische Fischereiwirtschaft. Durch das ausbleibende Geschäft droht vielen Menschen in der Region zumindest vorübergehend der Verlust ihres Arbeitsplatzes. Das Forderungsrisiko bei den Firmen in der Fischereiwirtschaft ist daher erheblich angestiegen.

Forderungsausfälle in finnischer Forstwirtschaft werden wahrscheinlicher

In der finnischen Forstwirtschaft wird für das aktuelle Jahr mit einem Rückgang des Produktions- und Exportwachstums gerechnet. Ursachen dafür sind u.a. das Abkühlen der Weltwirtschaft und die nachlassende Nachfrage aus dem Ausland. Gleichzeitig bleiben die Unsicherheiten in wichtigen Exportdestinationen der Branche bestehen, unter anderem durch den drohenden Austritt Großbritanniens aus der EU oder den hohen Verschuldungsgrad von Abnehmern aus China oder Italien. Atradius sieht vor diesem Hintergrund steigende Risiken für Forderungsausfälle bei Geschäften mit Firmen aus der finnischen Holzindustrie.

Exportierende Unternehmen, die aktuell Geschäfte mit Abnehmern aus Skandinavien eingehen, sollten diese negativen Trends berücksichtigen und die Bonität ihrer Abnehmer in dieser Region besonders im Auge haben. Die Gefahr, einen Forderungsausfall zu erleiden, ist in Skandinavien derzeit deutlich höher als noch vor der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009.

andreas.tesch@atradius.com

www.atradius.com

 

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