Indien trägt in diesem Jahr allein 15% zum globalen Wachstum bei. Das bevölkerungsreiche Land hat den Inlandsverbrauch stimuliert, das Einkommensniveau der Menschen verbessert und damit ein selbsttragendes Wachstum der heimischen Industrie ermöglicht.

Wenn Unternehmen nach Exportmärkten suchen, deren Wachstum seit Jahren kontinuierlich bei oder über 7% liegt, dann richtet sich der Blick sehr schnell auf den indischen Subkontinent. Schon seit 2016 glänzt er als die am schnellsten wachsende Region der Welt. Natürlich spielt Indien dabei allein schon wegen seiner schieren Größe eine dominierende Rolle, aber auch das deutlich kleinere Bangladesch lässt aufhorchen.

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Die deutschen Exporte nach Indien stiegen 2018 um 17%. Gefragt sind vor allem deutsche Investitionsgüter. Allein der Maschinenbau deckt ein Drittel der Gesamtexporte nach Indien ab. Aber auch die Elektrotechnik und Chemie sowie Metallwaren freuen sich über eine rege Nachfrage. Dieser Erfolg ist umso bemerkenswerter, als die vor fünf Jahren ins Leben gerufene Initiative „Make in India“ eigentlich das Gegenteil bewirken will: Die Importe sollen reduziert und mehr Waren vor Ort in Indien gefertigt werden. Musterbeispiel ist der Automotivesektor: Mit Tata Motors ist Indien inzwischen der fünftgrößte Automobilhersteller der Welt. Durch die Stärkung der eigenen Produktionskapazitäten will Narendra Modi, seit Mai 2014 amtierender Premierminister Indiens, das Handelsbilanzdefizit reduzieren und pro Monat eine Million neue Jobs schaffen. Das wäre auch bitter nötig, denn die Schaffung neuer Arbeitsplätze gehört zu den bisher nicht eingelösten Versprechen Modis, was ihn bei den jetzt anstehenden Parlamentswahlen viele Stimmen kosten könnte.

Wahlen zum Unterhaus des indischen Parlaments laufen an

Über 850 Millionen Wahlberechtigte sollen zwischen dem 11. April und dem 19. Mai 2019 an insgesamt sieben Tagen zu den Urnen gehen, um die Zusammensetzung der Lok Sabha, des Unterhauses des indischen Parlaments, zu bestimmen. Die Auszählung ist für den 23. Mai 2019 geplant. Mit großen Versprechen hatte Modi mit seiner hindu-nationalistischen Partei BJP die Wahlen vor fünf Jahren gewonnen. Auch startete er mit viel Elan in seine Regierungszeit und konnte einige Veränderungen in die Wege leiten. Dazu gehören kostenlose Bankkonten für die Ärmsten der Armen und Versicherungen für Landwirte. Doch die von ihm angestoßenen Reformen und Investitionen führten nicht zu einer massiven Zunahme von Arbeitsplätzen. Diese wäre in Anbetracht der höchsten Arbeitslosigkeit seit 43 Jahren und des nicht existenten sozialen Netzes dringend nötig. Jedes Jahr drängen 2 Millionen Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt, während auf der anderen Seite mit der auch in Indien zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung viele Arbeitsplätze verlorengehen.

Bürokratieabbau durch „Digital India“

Dabei war es Modi selbst, der im Juli 2015 die Kampagne „Digital India“ ins Leben gerufen hat. Umgerechnet rund 20 Mrd USD sollten in entsprechende Projekte investiert werden, u.a. in die Anbindung der gesamten Bevölkerung an das Hochgeschwindigkeitsinternet und das E-Government zum Abbau von Bürokratie sowie zur Modernisierung der Verwaltung. So verwundert es nicht, dass die Digitalisierung im Alltag allgegenwärtig ist. App-basierte Taxiunternehmen wie Uber und Ola erzielen ein rasantes Wachstum. Essen lassen sich mittlerweile viele Inder über Apps wie Swiggy liefern, der Wert des Start-ups wird auf 1,3 Mrd USD geschätzt. Immer mehr Inder kaufen im Internet ein – die Zahl der Onlinekäufer im Jahr 2018 schätzt der Fachverband ASSOCHAM auf circa 120 Millionen.

Ein Standortvorteil bei der Digitalisierung Indiens sind die vergleichsweise niedrigen Kosten von IT-Fachkräften. Die Qualität der Ausbildung differiert jedoch stark. Während die Indian Institutes of Technology (IIT) und die Indian Institutes of Management (IIM) weltweit einen ausgezeichneten Ruf genießen, bleiben die meisten Universitäten weit hinter dieser Ausbildungsqualität zurück.

Landesweit einheitliche Mehrwertsteuer als Erfolgsfaktor

Unbestritten ein Erfolg Modis war die Einführung einer landesweit einheitlichen Mehrwertsteuer. Was dies allein für die Logistik bedeutete, zeigt folgendes Beispiel: Früher planten Unternehmen ihre Transportwege so, dass sie möglichst wenige Steuergrenzen innerhalb Indiens überqueren mussten, um so bürokratischen Aufwand und Geld zu sparen. Heute können sie dank einheitlicher Besteuerung die schnellsten Routen wählen – wobei „Schnelligkeit“ relativ ist, denn gerade der Transportsektor braucht dringend eine Modernisierung. Güterzüge fahren beispielsweise mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 25 km pro Stunde über das mehr als 9.000 km lange Streckennetz. Die Durchschnittsgeschwindigkeit deutscher Güterzüge liegt dagegen bei 80 km/h.

Unbeschadet aller Herausforderungen bleibt aber festzuhalten: Indien trägt in diesem Jahr allein 15% zum globalen Wachstum bei. Das bevölkerungsreiche Land hat den Inlandsverbrauch stimuliert, das Einkommensniveau der Menschen verbessert und damit ein selbsttragendes Wachstum der heimischen Industrie ermöglicht.

Bangladesch: klein, stabil und wachstumsstark

Bangladesch ist die Nähstube der Welt. Textilien sind und bleiben der Motor des Wirtschaftswachstums. Das liegt vor allem am riesigen Arbeitskräfteangebot und den dadurch niedrigen Arbeitskosten. Damit kann kein anderes Land konkurrieren, selbst Vietnam und Pakistan sind teurer. Im Fiskaljahr 2017/18 (1. Juli bis 31. Juni) stammten 83,5% der Deviseneinnahmen fast zu gleichen Teilen aus gestrickter und gewebter Bekleidung. Rechnet man andere Textilartikel hinzu, kommt die Branche auf 89,6% aller Exporterlöse.

Anreize zur Diversifizierung

Um diese Abhängigkeit zu reduzieren, versucht Bangladesch zu diversifizieren. Im Mittelpunkt stehen dabei die Bereiche Nahrungsergänzungsmittel und Automotive. Zu den weiteren erfolgversprechenden Wachstumsindustrien zählt die Pharmaindustrie, die den Inlandsmarkt mit Generika versorgt und auf niedriger Basis zunehmend Produkte exportiert. Auch der Leder- und Schuhindustrie bescheinigen Fachkreise gutes Wachstumspotential. Im Servicebereich beginnt die junge IT-Branche, Exportmärkte zu erobern.

Die Regierung fördert die Diversifizierung der Industrie und unterstützt vor allem exportorientierte Branchen gezielt. Der Anteil der Subventionen einschließlich Barzuschüssen beläuft sich im Fiskaljahr 2018/19 auf 20% für pharmazeutische Inhaltsstoffe sowie Agrar- und Lebensmittel. Lederwaren, Schuhe, Möbel, leichte Maschinenbauprodukte und Batterien können mit 15% rechnen.

Stabilisierung der Stromversorgung

Die bei den Wahlen Ende des vergangenen Jahres erneut bestätigte Regierung von Hasina Wajed, der ältesten Tochter des Staatsgründers Mujibur Rahman, befindet sich jetzt in ihrer dritten Amtszeit – so viel Kontinuität und Stabilität gab es noch nie in diesem Land. 2013 ging beispielsweise ein Drittel aller Arbeitstage durch Streiks verloren, doch diese Zeiten sind vorbei. Die Regierung legt den Schwerpunkt auf den Aufbau der Infrastruktur. Sie ermutigt die Privatwirtschaft, sich verstärkt zum Beispiel bei der Finanzierung und dem Betrieb von Kraftwerken zu engagieren. Aus gutem Grund, denn seit Jahren bremst eine instabile Stromversorgung die Wirtschaft aus.

Mittel- und Oberschicht kaufen markenbewusst

Die privaten Konsumausgaben stiegen 2017/18 um real 11% nach 7,4% im Vorjahr. Das Konsumklima, durch hohes Wirtschaftswachstum und steigende Einkommen begünstigt, bleibt freundlich. Die aufstrebende Mittel- und Oberschicht leisten sich zunehmend importierte Waren, von deutschen Schreibgeräten bis zu Premiumfahrzeugen. Ins Auge fallen auch die modernen Einzelhandelsgeschäfte im Zentrum der Hauptstadt Dhaka.

Profiteur der Handelsauseinandersetzungen

Alles spricht dafür, dass das starke Wirtschaftswachstum Bangladeschs anhält. Nachdem das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Anfang Juli 2017 begonnenen Fiskaljahr 2017/18 um real 7,9% gestiegen ist, erwartet die Regierung für 2018/19 ein Plus von 8,1%. Selbst die Handelsauseinandersetzungen zwischen China und den USA wirken sich eher positiv auf Bangladesch aus: Aufträge, die dem weltweit größten Bekleidungsexporteur China verlorengehen, kommen nun teilweise Bangladesch als zweitgrößtem Konkurrenten zugute.

alexander.mondorf@commerzbank.com

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