Nach dem relativ friedlichen Ablauf der allgemeinen Wahlen im März 2013 steht die neue Regierung vor großen Herausforderungen: der weitverbreiteten Armut, den regionalen Disparitäten, der schlechten Sicherheitslage, dem anhaltend hohen Maß an ­Korruption, der mangelhaften Infrastruktur sowie der notwendigen Entwicklung des Energiesektors. Günstige Witterungsbedin­gungen unterstützen im laufenden Jahr die landwirtschaftliche Produktion und die Elektrizitätserzeugung durch Wasserkraft.

Von Christoph Witte, Direktor Deutschland, Delcredere N.V.

Kenia hat im März 2013 allgemeine Wahlen abgehalten. Es waren die ersten Wahlen seit Dezember 2007. Damals hatten die umstrittenen Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen gewalttätige Auseinandersetzungen mit über 1.000 Toten und der Vertreibung von Hunderttausenden von Menschen verursacht.

Obwohl auch nun wieder von gewalttätigen politischen Auseinandersetzungen in einigen Teilen des Landes berichtet wurde, haben sich die Ereignisse von 2007/2008 nicht wiederholt. Folglich waren die Kenianer sehr erleichtert über den relativ friedlichen Ablauf der jüngsten Wahlen. Es wurde über einen neuen Staatspräsidenten sowie über die Zusammensetzung der Nationalversammlung, des Senats, der regionalen Parlamente und über die Gouverneure abgestimmt. Die allgemeinen Wahlen wurden zum ersten Mal im Rahmen der neuen Verfassung von 2010 abgehalten.

Der Chef der Jubilee-Koalition, Uhuru Kenyatta, ist als Sieger aus den Präsidentschaftswahlen hervorgegangen. Er ist der Sohn des ersten Staatspräsidenten Kenias und einer der reichsten Männer des Landes. Es gelang ihm überraschend, bereits im ersten Wahlgang eine knappe Mehrheit von etwas mehr als 50% der Stimmen zu gewinnen, im Gegensatz zu 43% für den aus dem Amt scheidenden Premierminister Raila Odinga. Obwohl Odinga zunächst die Wahlergebnisse juristisch anfocht, akzeptierte er am Ende die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs. Der neue Präsident und seine Regierung werden die Dezentralisierung weiter vorantreiben und den 47 Counties mehr Befugnisse zuweisen, so wie es die Verfassung von 2010 vorsieht. Die neue Führung wird einen bedeutenden Einfluss auf den Dezentralisierungsprozess der Institutionen sowie den Aufbau und die zukünftige Arbeitsweise der neuen Verwaltungen haben.

Präsident Kenyatta amtierte als Minister für Handel und Finanzen in der früheren Regierung der Großen Koalition und unterhält enge Beziehungen zur Geschäftswelt Kenias. Mit dem Führungswechsel in Kenia sind somit kurzfristig keine radikalen Veränderungen des Geschäftsumfelds zu erwarten.

Kenia ist die bedeutendste Wirtschaft in Ostafrika. Die Wertschöpfung ist etwas höher als im Nachbarland Äthiopien, und das Land erfüllt die Funktion eines Transport- und Logistikdrehkreuzes für die gesamte Region. Die industrielle Basis ist schwach entwickelt (nur etwa 11% des BIP). Die Agrar- und Dienstleistungssektoren sind von großer Bedeutung. Die Landwirtschaft trägt nahezu 30% zum BIP (und 14% zu den Leistungsbilanzerlösen) bei. Dadurch ist die Wirtschaft Kenias stark abhängig von den Witterungsverhältnissen und leidet unter wiederkehrenden Trockenperioden wie zuletzt 2011/2012, als eine schwere Dürre Ostafrika heimsuchte. Im laufenden Jahr wird das Wirtschaftswachstum voraussichtlich 5,9% betragen und damit über dem Wachstum von jeweils 4,5% der vergangenen zwei Jahre liegen. In diesen Jahren litt die Wirtschaft nicht nur unter schlechten Wetterbedingungen, sondern auch unter einer starken Abwertung der Währung, zweistelligen Inflationsraten und einer darauffolgenden aggressiven geldpolitischen Straffung.

Das höhere Wachstum im laufenden Haushaltsjahr (bis 30. Juni) wird durch die landwirtschaftliche Produktion und die Elektrizitätserzeugung durch Wasserkraft (Leistung: +27% gegenüber dem Vorjahr) angetrieben. Beide Sektoren profitieren von den besseren Witterungsbedingungen. Sie kompensieren den Einbruch der Tourismuseinnahmen um 10%, der aufgrund der Verunsicherung in Verbindung mit den jüngsten Wahlen, den gewachsenen Sicherheitsbedenken und der schwachen Wirtschaftsentwicklung in Europa zustande kam. Die Zahl der europäischen Touristen – ihr Anteil beträgt 44% – sank um ca. 10% im vergangenen Jahr.

Der Dienstleistungssektor erwirtschaftet mehr als die Hälfte der Wertschöpfung des Landes. Insbesondere die Bereiche Transport, Tourismus und Telekommunikation tragen maßgeblich zum langfristigen Wachstum des Landes bei. Kenia ist führend hinsichtlich des mobilen Zahlungsverkehrs. Das Land hat ein weitverbreitetes Zahlungs- und Geldtransfersystem über Mobiltelefonie (M-Pesa) hervorgebracht. Durch die Revolutionierung des Zahlungsverkehrs über Mobilfunk sind grundlegende Finanzdienstleistungen im ganzen Land für Handynutzer besser zugänglich geworden. Dies stellt einen treibenden Faktor für die Wirtschaft dar.

Die Wachstumsaussichten sind positiv: In den nächsten Jahren wird ein Wirtschaftswachstum von über 6% jährlich erwartet. Während das durchschnittliche Wirtschaftswachstum Kenias im vergangenen Jahrzehnt 1 Prozentpunkt unter dem Durchschnitt der afrikanischen Länder südlich der Sahara lag, erwartet der IWF, dass Kenias Wirtschaft in den nächsten Jahren stärker als die seiner afrikanischen Nachbarn wachsen wird.

Die Konjunktur wird voraussichtlich von der abnehmenden politischen Unsicherheit nach den Wahlen 2013 profitieren. Sie dürfte zudem durch mögliche Erfolge beim Ausbau der Infrastruktur, die weitere Entwicklung im Dienstleistungssektor (Finanzen, Telekommunikation, Handelsdrehkreuz), den Ausbau des regionalen Handels sowie die Erschließung von Ölquellen und Kohlevorkommen getragen werden. Die Entdeckung von bedeutenden kommerziell nutzbaren Ölreserven im Jahr 2012 in der Region Turkana im Norden Kenias verbessert die Aussichten auf Wachstum und eine geringere Energieabhängigkeit. Doch befindet sich die Erschließung der Ölquellen immer noch in einem frühen Stadium, und bis zur Aufnahme der Produktion dürfte es mindestens weitere sechs Jahre dauern. Unterdessen werden Umweltbelange und die Entwicklung rechtlicher Rahmenbedingungen die weitere Entwicklung des Ölsektors beeinflussen.

Im Haushaltsjahr 2011/2012 erreichte der Fehlbetrag der Leistungsbilanz 9,2% des BIP. Die Warenimporte Kenias überstiegen schon immer deutlich die Güterexporte. So beläuft sich das Handelsbilanzdefizit auf über 20% des BIP. Ein Großteil dieses strukturellen Defizits ist auf die hohen Energieimporte Kenias zurückzuführen. Auf Erdöl entfällt mehr als ein Viertel der Importausgaben. Diese ungünstige Lage könnte sich langfristig dank der jüngsten Ölfunde verbessern. Da die Ölindustrie hochspezialisierte Maschinen und Anlagen braucht, sind die Importe von Kapitalgütern gestiegen. Derzeit entfällt ein weiteres Viertel der Importausgaben auf diese Kapitalimporte, die zum Teil durch ausländische Direktinvestitionen finanziert werden. Rechnet man die Kapitalgüterimporte (die derzeit notwendig sind und sich langfristig rentieren sollten) aus der Leistungsbilanz heraus, weist diese im laufenden Haushaltsjahr einen Überschuss in Höhe von 1,2% des BIP auf.

Eine wichtige Einnahmequelle sind die privaten Überweisungen von im Ausland arbeitenden Kenianern (der Großteil der Zahlungen wird von Kenianern aus Nordamerika überwiesen). Sie machen fast ein Viertel der Leistungsbilanzeinnahmen aus. Auch Dienstleistungsexporte sind traditionell eine Stärke Kenias. Insbesondere Tourismus und Transportdienstleistungen sorgen für ein weiteres Viertel der Leistungsbilanzeinnahmen. Im Verlauf der vergangenen Jahre wurden die Leistungsbilanzdefizite durch einen bedeutenden und wachsenden Zustrom an ausländischen Direktinvestitionen sowie durch zinsbegünstigte mittel- bis langfristige Kredite von staatlichen Gläubigern finanziert. Doch auch die kurzfristigen Kredite von privaten Geldgebern haben zugenommen. Kenia plant im Verlauf dieses Jahres erstmals, Staatsanleihen in Höhe von 1 Mrd USD auf dem internationalen Kapitalmarkt zu begeben.

Die ausführliche Länderstudie Kenia steht unter www.ducroiredelcredere.de zum kostenlosen Download bereit.

Kontakt: c.witte[at]delcredere.eu

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