Das Akkreditiv, ein wichtiges Zahlungs- und Absicherungsinstrument im internationalen Warenverkehr, läuft immer wieder Gefahr, durch eine schlechte Handhabung der Dokumente, durch Missbrauch oder Politisierung z.B. in Verbindung mit Sanktionen in seiner Funktion geschwächt zu werden. Wir berichten über die wichtigsten Ergebnisse einer Seminarveranstaltung, die sich mit den neuesten Entwicklungen im Akkreditivgeschäft befasst hat.
Von Sylvia Röhrig, Redakteurin ExportManager, F.A.Z.-Institut
Das Akkreditiv erfüllt insbesondere auch in turbulenten Krisenzeiten eine wichtige Funktion als Zahlungs- und Sicherungsinstrument im internationalen Handel. Doch stellte die International Chamber of Commerce (ICC) im Juni 2010 bei der Vorlage ihres Berichtes „Rethinking Trade Finance 2010 – ICC Global Trade Finance Survey“ fest, dass im Krisenjahr 2009 eine besonders intensive Prüfung der Dokumente zu einer steigenden Zahl von Dokumentenablehnungen und Beanstandungen geführt hat.
Die von der ICC befragten 161 Banken in 75 Ländern gaben an, dass es zunehmend zu unberechtigten bzw. unfundierten Beanstandungen von Dokumenten gekommen sei. Dieser Trend gibt der ICC Anlass zur Sorge, dass im Akkreditiv-geschäft insbesondere in Krisenzeiten die Neigung zum Missbrauch steigt. So ließen sich Banken z.B. durch ihre Auftraggeber instrumentalisieren oder befreiten sich aus ihrer Zahlungsverpflichtung durch die Ablehnung von Dokumenten. Hierdurch drohe die Funktionsfähigkeit des Akkreditivs im internationalen Handel beschädigt zu werden. Oft werden aber auch im Dokumentengeschäft Formalia und Regeln aus Unwissen oder wegen abweichender Auslegungen nicht eingehalten. Eine genaue Kenntnis der ICC-Richtlinien (ERA 600), der International Standard Banking Practice (ISBP 681) sowie der Streitentscheidungen der ICC (ICC Opinions, DOCDEX-Entscheidungen) ist somit für Importeure, Exporteure und Bankvertreter besonders wichtig, um die Fallstricke des Akkreditivs zu kennen und die richtigen Entscheidungen bei Vertragsabschluss sowie bei der Dokumentenerstellung und -prüfung zu treffen.
Die BHF-BANK hat es sich zusammen mit der ICC Deutschland zur Aufgabe gemacht, jährlich eine Seminarveranstaltung zu den neuesten Entwicklungen und Entscheidungen im Akkreditivgeschäft anzubieten, um möglichst viele Praktiker aus Industrie und Banken auf den neuesten Stand zu bringen.
Auch in diesem Jahr kamen am 26. Oktober ca. 80 Industrie- und Bankenvertreter im Tagungssaal der BHF-BANK in Frankfurt am Main zusammen. Sie beschäftigten sich mit zwei Themen, die derzeit zu viel Verunsicherung führen: dem Umgang mit dem „An-Bord-Vermerk“ im Konnossement sowie mit Sanktionsklauseln in Akkreditiven. Darüber hinaus wurden einige Spezialprobleme der Dokumentenprüfung anhand von Fallstudien erläutert. Dabei konnten die Seminarteilnehmer von den langjährigen Erfahrungen der Referentin, Frau Edith Babuscio, Leiterin des Dokumentengeschäfts der BHF-BANK, profitieren. Herr Hanfried Poensgen, Mitglied der Geschäftsleitung ICC Deutschland, nutzte die Gelegenheit, um die im Oktober 2010 veröffentlichten und ab dem 1. Januar 2011 geltenden Incoterms®2010 vorzustellen. Im Folgenden fassen wir die Problemstellungen und Empfehlungen zum „An-Bord-Vermerk“ im Konnossement und zu den Sanktionsklauseln in Akkreditiven zusammen.
Beim Eingang eines Akkreditivs muss der Exporteur genau prüfen, ob er die erforderlichen Bedingungen erfüllen und ordnungsgemäße Dokumente bei der Bank vorlegen kann. Eines dieser Dokumente ist das Seekonnossement, das Angaben zu Verlade- und Löschungshafen, Frachtführer, Schiffsnamen etc. enthält. Mit dem Inkrafttreten der ERA 600 im Juli 2007 sind Diskussionen darüber entstanden, wann ein An-Bord-Vermerk in einem Transportdokument erforderlich ist und welchen Inhalt dieser Vermerk haben soll. Anlass für diese Diskussionen war der gegenüber den ERA 500 geänderte Wortlaut der Artikel 20 und 21 ERA 600.
Das Drafting Team der ERA 600 versuchte im Oktober 2007 in der von der ICC in Paris veröffentlichten Publikation Nr. 680 „Commentary on UCP 600“ klarzustellen, dass der in den ERA 600 geänderte Wortlaut der Artikel 20 und 21 zu keiner Veränderung der Anforderungen an einen An-Bord-Vermerk führe. Dennoch konnte die Verunsicherung nicht ausgeräumt werden, und es gingen viele Anfragen bei der ICC Banking Commission ein. Mit Vorlage der „Recommendations of the Banking Commission in respect of the Requirements for an On board Notation (Document No. 470/1128 rev final – 22.04.2010)“ durch die ICC wurde den Akkreditivbegünstigten (Exporteuren) eine Hilfestellung gegeben, den Frachtführern und Logistikunternehmen die Anforderungen an einen An-Bord-Vermerk zu verdeutlichen. Auch Banken können nun auf dieser Grundlage leichter über die Konformität der Dokumentenvorlage entscheiden.
Seit mehr als zwei Jahren werden vermehrt sogenannte Sanktionsklauseln in Dokumenten-Akkreditive aufgenommen. Obwohl die Mehrzahl dieser Akkreditive aus dem asiatischen Raum kommt, sind diese Sanktionsklauseln nicht auf Asien beschränkt, sondern werden auch in Akkreditive eingesetzt, die von Banken in europäischen Ländern eröffnet werden.
Die ICC hat auch zu diesem Thema mit den „Recommendations of the Banking Commission in respect of Sanction Clauses (Document No. 470/1129 rev. – 04.03.2010)” Stellung bezogen.
Die rechtliche Lage stellt sich aber in jedem Land anders dar. Banken und Firmen in Deutschland müssen das deutsche Recht (einschließlich der EU-Verordnungen) befolgen und insbesondere auch das Außenwirtschaftsrecht (§ 4a AWV Boykotterklärungsverbot) beachten, das die Beteiligung eines Gebietsansässigen an einem Boykott gegen einen anderen Staat verbietet.
Die Sanktionsklauseln stellen eine wachsende Rechtsunsicherheit für den Begünstigten (Exporteur) und die avisierende Bank dar, und sie beschädigen das unwiderrufliche Akkreditiv in seiner Bedeutung. Derzeit entscheiden die Banken individuell, wie sie mit Sanktionsklauseln umgehen. Einige Banken ignorieren die Klauseln komplett und wickeln das Akkreditiv in gewohnter Weise ab.
Andere Banken avisieren das Akkreditiv, lehnen aber die Hinzufügung ihrer Bestätigung ab und zahlen auch unter unbestätigten Akkreditiven erst, nachdem sie das Geld von der eröffnenden Bank erhalten haben. Die Banken befürchten, keinen Rembours von der eröffnenden Bank zu erhalten, weil diese einen Verstoß gegen die genannten Sanktionen geltend machen könnte. Meist wird dem Wunsch nach einer Streichung der Sanktionsklausel durch die eröffnende Bank nicht entsprochen, weil diese von ihrem Mutterhaus zur strikten Anwendung der Sanktionsklausel aufgefordert wird. Einige Banken verweigern die Bestätigung und Abwicklung von Akkreditiven mit Sanktionsklauseln, weil sie darin einen Verstoß gegen das Boykotterklärungsverbot sehen, der als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeldern geahndet werden kann.
Fazit: Es empfiehlt sich eine rechtzeitige Prüfung der Konsequenzen, die sich aus einem Verstoß gegen § 4a AWV im Akkreditivgeschäft für die Bank ergeben können. Dabei ist insbesondere auch der Runderlass des BMWI (Nr. 31/92 vom 20.04.2010) zur Auslegung von § 4a AWV zu beachten. Hierin wird konkret ausgeführt, welche Boykotterklärungen unzulässig sind bzw. welche Formulierungen zulässig sein können. Letzteres können z.B. positive Ursprungserklärungen sein.
Insgesamt ist für Banken der Umgang mit Sanktionsklauseln in den Akkreditiven sehr schwierig, und die Auslegung des BMWI zum § 4a AWV bleibt teilweise schwer verständlich.
Textkasten: International Chamber of Commerce (ICC)
Die ICC (www.icc-deutschland.de) verfolgt das Ziel, eine effiziente Abwicklung internationaler Geschäfte zu fördern. Dafür hat sie international anerkannte einheitliche Vertragsregeln und Richtlinien geschaffen. Wichtige Publikationen hierzu sind:
- Incoterms 2010 ICC-Publikation Nr. 715, ISBN: 978-3-929621-71-6, Erscheinungsjahr 2010
- ICC Einheitliche Richtlinien und Gebräuche für Dokumenten-Akkreditive ERA 600 ICC-Publikation Nr. 600 E, ISBN: 978-3-929621-60-0, Erscheinungsjahr 2007
- Uniform Rules for Collections/Einheitliche Richtlinien für Inkassi ICC-Publikation Nr. 522, ISBN: 978-3-929621-03-7, Erscheinungsjahr 1996
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