Für viele deutsche Exporteure ist die Abgrenzung zwischen Rüstungs- und Dual-Use-Gütern schwierig. Reicht eine überwiegende Nutzung für Rüstungszwecke allein schon für die Klassifizierung als Rüstungsgut aus? Und reicht schon die Möglichkeit einer Nutzung als Rüstungsgut durch geringfügige Designanpassungen aus, um ein Gut, das gleichermaßen als Rüstungs- und Dual-Use-Gut gebraucht werden kann, als Rüstungsgut anzusehen?
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Ausgangsfall 1 (Kolbenfall)
D in Deutschland liefert Kolben an F in Frankreich. F produziert damit Kühler für Nachtsichtgeräte. Hierbei wird allein der Kühler K1 als Rüstungsgut angesehen, weil die so gekühlten Nachtsichtgeräte Rüstungsgüter sind. Hingegen wird der Kühler K2 als Dual-Use-Gut angesehen. Die Kolben können als wesentlicher Bestandteil des Kühlers angesehen werden, u.a. weil sie mindestens 10% ihres Wertes ausmachen. Mangels spezieller Konstruktion für militärische Zwecke ging D nicht davon aus, dass seine Kolben Rüstungsgüter sind. Seine Recherchen ergaben allerdings, dass der Kolben alpha 1, der unverändert auch für K2 genutzt wird, zu 75% für den militärischen Kühler K1 genutzt wurde. D wendet sich an das BAFA, ob sein Kolben alpha 1 Rüstungsgut sein kann, so dass er für die Verbringung an F eine Genehmigung benötigt. Wie wird das BAFA entscheiden?
Ausgangsfall 2 (Kugellagerfall)
D in Deutschland liefert Kugellager an I in Indien. I verlangte für diese Lieferungen einige Anpassungen bzgl. hoher Steifigkeit, hoher Drehzahl etc. Dafür griff D auf standardmäßig vorhandene Ausstattungsmerkmale für die Fertigung/Montage eines Kugellagers zurück; eine individuelle Konstruktion mittels Zeichnung fand nicht statt. I war anfangs nicht bereit, den genauen Verwendungszweck mitzuteilen; auch ein EUC mochte er nicht ausfüllen. Da I ein umfassendes Rüstungsprogramm hat, zu dem auch Raketen gehören, wird D zunehmend unsicher, ob bei einer Nutzung für Raketen nicht schon die Kugellager als Rüstungsgüter anzusehen sind. Daher reicht er eine Güteranfrage beim BAFA ein. Wie wird es entscheiden?
Beurteilungskriterien
Nach der Rechtsprechung weist ein Gut eine „besondere Konstruktion für militärische Zwecke“ auf, wenn das Gut „spezifische technische Kriterien hat, die eine Verwendung für Rüstungsgüter nahelegen“. Zusätzlich kann auf den typischen Verbraucherkreis abgestellt werden. Eine unveränderte Nutzung gleichermaßen für Rüstungs- und für Dual-Use-Güter würde tendenziell eher gegen eine Einstufung als Rüstungsgut sprechen. Grundsätzlich können v.a. die folgenden Kriterien für die Abgrenzung eines Rüstungsgutes von einem Dual-Use-Gut genutzt werden:
1: Design-Intent: Für welche Zwecke ist das Gut entwickelt worden?
2: Ersetzbarkeit/Austauschbarkeit: Geht es um Katalogprodukte oder um eigens für diesen Zweck konstruierte Güter?
3: Technische Anpassungen: Hat das Gut technische Anpassungen, so dass eine Verwendung für Rüstungsgüter naheliegt?
Lösung von Fall 1 (Kolbenfall)
Hier sprachen fast alle Kriterien gegen eine Einstufung als Rüstungsgut: Es fehlte ein militärisches Design-Intent. Das Gut war ersetzbar, weil es um ein typisches Katalogprodukt ging. Und das Gut hatte keine technischen Anpassungen für Rüstungszwecke. Dennoch schloss das BAFA hier zunächst nicht aus, dass dieser Kolben ein Rüstungsgut sein könne. Wegen der 75%-Nutzung für den militärischen Kühler K1 könne eine überwiegende Nutzung für Rüstungsgüter vorliegen. U.E. wäre diese vorläufige Einstufung nur dann unproblematisch, wenn zumindest eines der Kriterien 1, 2 oder 3 vorgelegen hätte, was aber hier nicht der Fall war.
„Die überwiegende Verwendung eines Gutes für Rüstungsgüter hat nur Indizwirkung für das Kriterium ‚besonders konstruiert für militärische Zwecke‘; entscheidend sind eher technische Anpassungen, Design-Intent und die Frage, ob Spezialanfertigung oder Katalogware vorliegt.“
Nachdem D entsprechende Argumente vorbrachte, führte die endgültige Entscheidung des BAFA vom Juli 2018 zu einer Revidierung des bisherigen Standpunktes. Sinngemäß wird erklärt, dass die Intention und Verwendung in militärischen Geräten lediglich indikativen Charakter in Bezug auf das Merkmal „besonders konstruiert für militärische Zwecke“ haben kann. Ein besonders für militärische Zwecke konstruiertes Gut müsse auch in seiner reinen Beschaffenheit von nicht militärisch genutzten Gütern abgrenzbar sein. Das sei vorliegend nicht zu erkennen, so dass hier die Einstufung als Rüstungsgut ausscheide.
Lösung von Fall 2 (Kugellagerfall)
Auch hier sprachen praktisch alle Kriterien gegen eine Einstufung als Rüstungsgut, weil ein militärisches Design-Intent und technische Anpassungen fehlten und es nur um Standardanpassungen ging. Hier ging das BAFA zunächst davon aus, dass doch Rüstungsgüter vorliegen könnten. Die ursprüngliche Begründung hatte mit dem Wortlaut von Ausfuhrlistenposition 0004 zu tun, welche „Raketen und besonders hierfür konstruierte Bestandteile“ erfasst. In diesem Wortlaut fehlt der Zusatz „besonders konstruiert für militärische Zwecke“ (richtig müsste der Wortlaut u.E. wie folgt sein: „Raketen und für militärische Zwecke besonders konstruierte Bestandteile“). Daher wurde erwogen, ob auch irgendwelche Anpassungen für eine Nutzung als Rüstungsgüter ausreichen könnten, wie etwa Anpassungen bzgl. Design, Abmessungen etc., wenn zu vermuten ist, dass diese Anpassungen für militärische Zwecke vorgenommen werden. U.E. ist eine solche Auffassung nur dann gut begründet, wenn es um technische Anpassungen geht, die eine Verwendung für Rüstungsgüter nahelegen. Außerdem sollte u.E. deutlicher zwischen „Konstruktion“ und „Konfiguration“ unterschieden werden. Die Konstruktion basiert auf kundenspezifischen Anforderungen, welche mit Änderungskonstruktionen auf der Basis einer Zeichnung verbunden sind. Die Konfiguration ist hingegen eine anforderungsorientierte Zusammenstellung von bei D standardmäßig vorhandenen Ausstattungsmerkmalen für Fertigung/Montage eines Kugellagers. Nach dieser Auffassung lag hier nur eine Konfiguration des Kugellagers vor, so dass eine Einstufung als Rüstungsgut hier ausschied. Im Ergebnis hat sich auch das BAFA im Dezember 2017 dieser Auffassung angeschlossen mit (sinngemäß) folgender Begründung: Gegen eine „besondere Konstruktion für militärische Zwecke“ spricht, wenn nur Standardkatalogversionen genutzt werden, keine militärische Spezifikation und keine gesonderte Entwicklung vorliegen.
Neue EU-Leitlinie vom März 2018
Zunächst hatte eine Arbeitsgruppe der sog. LoI-Staaten (der sechs größten Rüstungsproduzentenländer Europas: Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien, Spanien und Schweden, die sich mit einem Letter of Intent zusammengeschlossen haben) ihre Arbeiten für eine Kodifizierung des Begriffes „besonders konstruiert für militärische Zwecke“ abgeschlossen. Darauf hat die EU am 14. März 2018 einen vorläufigen Vorschlag für diese Definition veröffentlicht, um hierzu Stellungnahmen zu erhalten. Die Definition sieht folgende zwei Ausnahmen vor:
- geringwertige Allerweltsgüter, die kein besonderes Design aufweisen und die nur für einen einzigen Zweck gebraucht werden können (Ausnahme 2),
- Güter mit einem zivilen Design (Intent), die nur zufällig militärische Anforderungen erfüllen, soweit sie nicht explizit auf Rüstungsgüterlisten gelistet sind (Ausnahme 3).
Dieser Ausnahmenkatalog ist allerdings weniger umfassend geraten als die US-Definition für „specially designed“ in den EAR (vgl. dazu unseren Beitrag in Export-Manager 10/2016): Denn diese nimmt vor allem folgende zwei Fälle von einer Erfassung als Rüstungsgut aus:
- B4: Das Gut wurde entwickelt in Kenntnis, dass es sowohl in/mit gelisteten Gütern als auch mit nichtgelisteten Gütern verwendet werden soll.
- B5: Das Gut wurde entwickelt für eine Vielzahl von Zwecken, ohne dass Kenntnis bestand, dass es für eine bestimmte Ware bzw. ein bestimmtes Rüstungsgut gebraucht werden soll.
Resümee
Beide o.g. BAFA-Entscheidungen sind wichtige Klarstellungen zur Abgrenzung zwischen Rüstungs- und Dual-Use-Gütern. Die überwiegende Verwendung eines Gutes für militärische Güter hat lediglich eine Indizwirkung in Bezug auf das Merkmal „besonders konstruiert für militärische Zwecke“. Diese Einschätzung ist dann zu vergleichen mit technischen Anpassungen, Design-Intent und der Frage, ob es hier um Katalogwaren geht.
Auch irgendwelche Anpassungen des Designs eines Gutes für Rüstungszwecke können lediglich einen ersten Hinweis für dessen Einstufung geben. Entscheidend ist vor allem die Frage, ob es sich bei diesen Anpassungen um eine Konstruktion oder eine Konfiguration mit Standardversionen handelt. In letzterem Fall scheidet die Einstufung als Rüstungsgut im Zweifel aus, zumindest dann, wenn auch keine technischen Anpassungen vorliegen.
Der EU-Entwurf geht u.E. nicht weit genug bei den Ausnahmen von der Einstufung als Rüstungsgut: Es sollte eindeutig geregelt werden, dass ein Gut, das unverändert sowohl für Rüstungsgüter- als auch für Dual-Use-Zwecke eingesetzt werden kann, grundsätzlich kein Rüstungsgut ist, so wie es die US-Definition deutlich sagt.
Wegen aktueller Hinweise zum EU-Exportrecht vgl. auch HIER.
info@hohmann-rechtsanwaelte.de