Polens Geschäftsklima für ausländische Investoren droht sich trotz starker Wirtschaftsleistung zu verschlechtern. Seit der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise 2008–2009 genießt die polnische Wirtschaft dank solider Fundamentaldaten den Ruf eines „sicheren Hafens“. Der Finanzsektor weist bis heute eine bemerkenswerte Stabilität auf. Doch die von der neuen Regierung geplanten Reformen haben diese Reputation nun ein Stück weit getrübt.

Von Christoph Witte, Direktor Deutschland, Credimundi, Member of the Credendo Group

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Robuste Konjunktur

Beim Ausbruch der globalen Krise Ende 2008 befand sich Polen in einer Phase starken Wachstums infolge des EU-Beitritts im Jahr 2004. Es war das einzige EU-Land, das 2009 eine Rezession verhindern konnte. Die solide Politik wurde gestärkt von einem großen Binnenmarkt, der die Abhängigkeit vom übrigen Europa reduzierte, von der gesunden Finanzlage der Unternehmen und privaten Haushalte sowie von einem starken Bankensystem.

Nach einem gedämpften Wachstum 2012 und 2013 erholte sich die Wirtschaftsaktivität 2014 und 2015 mit einem realen BIP-Wachstum von 3,3% bzw. 3,6% erheblich. Grund hierfür war ein deutlicher Anstieg der Binnennachfrage dank verbesserter Arbeitsmarktbedingungen und Investitionen. Im Jahr 2016 bleibt das BIP-Wachstum laut IWF mit 3,6% stabil. Die starke Binnennachfrage dürfte auch weiterhin den Hauptantrieb liefern. Sie wird von der kürzlich beschlossenen Erhöhung der Sozialausgaben zusätzlich gefördert. Ab dem kommenden Jahr dürften öffentliche Investitionen ebenfalls zunehmen, da Projekte, die mit EU-Geldern aus dem neuen Finanzierungszyklus 2014–2020 kofinanziert werden, in die Ausführungsphase eintreten.

Solider Finanzsektor

Die Kreditvergabe an Unternehmen nimmt stabil zu, da sich die Kreditnachfrage, u.a. dank des Übertragungseffekts der lockeren Geldpolitik auf die Zinsen, im Aufwärtstrend befindet. Auch der Entschuldungsprozess, den der überwiegend in ausländischem Besitz befindliche Bankensektor durchläuft, beeinträchtigt diese Entwicklung nicht. Die Banken mit ausländischen Muttergesellschaften haben in den vergangenen Jahren tatsächlich ihre Verbindlichkeiten im Land reduziert, was zu einer Konsolidierung des heimischen Finanzsektors geführt hat. Der Bankensektor weist insgesamt weiterhin eine gute Kapitalausstattung und Liquidität auf, und die Zahl notleidender Kredite geht zurück. Die Lockerung der Geldpolitik seit Herbst 2012, die die Zinsen im vergangenen Dezember auf ein Rekordtief von 1,5% gedrückt hat, konnte den Rückgang der Inflationsrate nicht aufhalten; sie ist seit Mitte 2014 negativ.

Bis April 2015 war der Złoty gegenüber dem Euro stabil. Im weiteren Verlauf von 2015 verlor der Złoty nahezu 10% seines Wertes, was auf die Unsicherheit im Vorfeld der Parlamentswahlen im Oktober sowie auf die ersten angekündigten Reformen zurückzuführen war. Eine weitere Abwertung geht auf die unerwartete Entscheidung von S&P im vergangenen Januar zurück, Polens Kreditwürdigkeit herabzustufen. In der Folge fiel der Złoty auf den tiefsten Wert seit vier Jahren; inzwischen hat er sich jedoch wieder erholt. Im Vergleich zu anderen mitteleuropäischen Schwellenmärkten hat Polen die im vergangenen Jahr erfolgten Kapitalabzüge aus Schwellenländern dennoch gut überstanden. Da Polen große Finanzpolster und keine Anfälligkeit für externe Einflüsse aufweist (angemessene Währungsreserven und geringes Leistungsbilanzdefizit), ist es vor dem Risiko schneller Liquiditätsabflüsse geschützt.

Politische Fragezeichen

Die vollständige Ausrichtung der Exekutive auf die konservative Linie des Präsidenten nach den Parlamentswahlen

im Oktober 2015 hat populistischen, ­nationalistischen und Euro-skeptischen Ansichten starken Aufwind gegeben. Die neue Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) setzt zur Steigerung von Investitionen und Pro-Kopf-BIP auf ehrgeizige und lobenswerte Sozial- und Wirtschaftsreformen. Das großzügige Sozialsystem sowie die Einhaltung der von der EU auferlegten fiskalischen Zwänge (für das Haushaltsdefizit 2016 werden 2,8% des BIP prognostiziert) sollen jedoch mittels bereits implementierter Steuererhöhungen finanziert werden, die sich gegen Banken und Einzelhandelsunternehmen in ausländischem Besitz richten.

Der Bankensektor könnte von der politischen Wende noch härter getroffen werden: Dem ungarischen Vorbild folgend, prüfen Polens Politiker eine Umwandlung der auf Schweizer Franken lautenden ­Privatkredite in Złoty – auf Kosten der Banken.

Eine weitere Bedrohung, die von der neuen Regierung ausgeht, ist die Ver­letzung von „Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit“. So hat sie kurz nach dem Amtsantritt sowohl zur Arbeitsweise des Verfassungsgerichts als auch zum Besetzungsverfahren für Führungspositionen in öffentlich-recht­lichen Medien weitreichende Änderungen durchgeführt, die Fragen bezüglich der Unabhängigkeit der Presse aufgeworfen haben.

Polen ist das erste Mitgliedsland der EU, dessen Rechtsstaatlichkeit von der Europäischen Union und der Venedig-Kommission offiziell geprüft wird. Wird ein Verstoß gegen EU-Grundwerte festgestellt, könnte das Land sein Stimmrecht verlieren. Zudem gibt es keine Garantie für politische Stabilität, da das PiS-Bündnis zwei weitere politische Gruppen umschließt, was Führungskonflikte zur Folge haben könnte, zumal eine der beiden Parteien deutlich wirtschaftsliberaler als die PiS eingestellt ist. Diese Faktoren tragen zu einer großen Unsicherheit bei, die sich auch auf die Direktinvestitionen auswirken dürfte.

Noch werden die Aussichten von der Credendo Group als günstig bewertet. So wird das Geschäftsrisiko in Kategorie A eingestuft, das kurzfristige politische Risiko bzw. die Beurteilung der Liquidität in Kategorie 1 von 7 und das mittel- bis langfristige politische Risiko bzw. die Beurteilung der Zahlungsfähigkeit in Kategorie 2 von 7. Allerdings wird das politische Risiko unter negative Beobachtung gestellt.

Weitere Länderberichte und aktuelle Risikobewertungen von Credimundi finden Sie unter www.credimundi.de.

Kontakt: c.witte@credendogroup.com

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