Am 25. Oktober entschieden sich die polnischen Wähler für einen Regierungswechsel, der der nationalkonservativen PiS eine ­absolute Mehrheit der Parlamentssitze verschaffte. Warum haben die Polen trotz guter Wirtschaftsdaten ihre Regierung abgewählt? Müssen die EU-Partner eine Entwicklung wie in Ungarn fürchten? Kann die neue polnische Regierung ihre kostenträchtigen Wahlversprechen überhaupt einhalten? Ein Blick auf Polen nach der Wahl im Spannungsfeld von Wirtschafts-, Innen- und Außenpolitik.

Von Dr. Mario Jung, Regional Economist NER, Coface

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Die Parlamentswahlen brachten für Polen ein Novum seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems in Osteuropa. Die bis dato oppositionelle Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) kann erstmals eine Alleinregierung bilden, weil sie aus dem Urnengang zum Sejm (Unterhaus) als klare Siegerin hervorging. Damit haben viele Wählerinnen und Wähler der vormals regierenden Bürgerplattform (PO) unter Eva Kopacz den Rücken gekehrt, so dass sie gerade einmal nur noch weniger als jede vierte Stimme auf sich vereinen konnte. Der Regierungswechsel wird nicht nur auf dem Feld der Außen- und Europapolitik zu neuen Akzenten führen, sondern ferner zu einer Kursänderung in der Wirtschaftspolitik.

Die starke Position der Partei für Recht und Gerechtigkeit wird dadurch untermauert, dass sie schon vor einigen Monaten die Präsidentschaftswahlen gewinnen konnte. Weil die PiS zudem die Mehrheit im Senat (Oberhaus) innehat, hat die Doppelspitze aus Staatspräsident Andrzej Duda und Ministerpräsidentin Beata Szydlo große Spielräume, um Polen sozial- und wirtschaftspolitisch nach ihrem Gusto umzubauen. Spannend ist dabei, welche Rolle der mächtige Vorsitzende der Partei Recht und Gerechtigkeit und vormalige Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski auf dem politischen Parkett in unserem östlichen Nachbarland einnehmen wird.

Verteilungswünsche dominieren

Auf den ersten Blick verwunderlich ist es schon, warum die Regierung unter Führung der Bürgerplattform so eindeutig abgewählt worden ist. Denn wichtige wirtschaftliche Kennzahlen zeigen, dass sich die polnische Wirtschaft in den zurückliegenden Jahren ziemlich gut entwickelt hat. So hat sich erstens die Wirtschaftsleistung in den vergangenen acht Jahren, in denen die Bürgerplattform an der Macht war, um 20% ausgeweitet – und dies, obwohl die Weltwirtschaft in diesem Zeitraum einige schwerwiegende Krisen zu verkraften hatte. Zweitens konnte der Arbeitsmarkt in den vergangenen beiden Jahren prosperieren. Demnach hat sich die Arbeitslosenquote von 10,6% im ersten Halbjahr 2013 bis auf rund 7% in diesem Jahr zurückgebildet. Und die Aussichten für die Konjunktur bleiben positiv: Für dieses Jahr rechnen wir mit einem Wirtschaftswachstum von immerhin 3,5%. Im neuen Jahr dürfte das Wachstumstempo in etwa so hoch sein wie in diesem Jahr.

Werden weitergehende Indikatoren herangezogen, ist es auf den zweiten Blick allerdings weniger verwunderlich, warum die Bürgerplattform so viel Gegenwind in den Wahllokalen spüren musste. Nicht alle Polen haben von den guten Wachstumszahlen der vergangenen Jahre profitiert. Demnach bekommt ein Fünftel unter den Beschäftigten immer noch Löhne ausgezahlt, die unterhalb der Armutsschwelle liegen. Hinzu kommt, dass trotz des dynamischen wirtschaftlichen Aufschwungs die Zahl der Auswanderer stetig zunimmt: Innerhalb der vergangenen zehn Jahre hat sich die Zahl der Polen, die im Ausland leben, auf 2,3 Millionen verdoppelt. Schließlich hatte die Bürgerplattform auch mit hausgemachten Skandalen zu kämpfen, die sicherlich auch Wählerstimmen gekostet haben.

Darüber hinaus muss es aber auch weitere Gründe gegeben haben, warum die Wähler so massenhaft in Richtung Partei für Recht und Gerechtigkeit gewandert sind. Zentral ist dabei das wirtschaftspolitische Programm der PiS, das im Wahlkampf nicht nur die eigene Kernwählerschaft, sondern offensichtlich auch zahlreiche Wechselwähler überzeugt hat. Denn dieses Programm hält viele Angebote bereit, die gerade für diejenigen in der polnischen Bevölkerung attraktiv erscheinen, die vom Aufschwung unzureichend oder gar nicht profitiert haben. Um die Kaufkraft in der Breite zu stärken, sollen erstens die Mehrwertsteuersätze gesenkt werden. Zweitens will die neue Regierung eine zentrale Reform ihrer Vorgängerin, die eine Erhöhung des Renteneintrittsalters beschlossen hatte, zurückdrehen. Drittens sollen staatliche Transferzahlungen ausgeweitet werden, allen voran in Form eines flächendeckenden Kindergeldes. Schließlich sollen die Steuerzahler von einer Anhebung des Einkommenssteuerfreibetrags profitieren.

Bei diesen „sozialen Wohltaten“ stellt sich zwangsläufig die Finanzierungsfrage. Die neue Regierung hat auch hierfür konkrete Vorstellungen. Zum einen will sie den für nicht wenige Polen unpopulären Bankensektor mit zusätzlichen Abgaben belasten, zum anderen den Einzelhandel. ­

Brisant ist in diesem Kontext, dass die beiden genannten Sektoren durch einen hohen Anteil ausländischer Unternehmen geprägt sind. Daher werden internationale Investoren mit Argusaugen beobachten, inwiefern die Vorhaben aus dem Wahlkampf von der Partei für Recht und Gerechtigkeit in die wirtschaftspolitische Praxis umgesetzt werden. Ein heißes Eisen bleibt auch das Thema Hypotheken: Denn nicht wenige Polen haben ihren Kauf von Wohneigentum mit Fremdwährungskrediten finanziert.

Nach unserer Einschätzung werden diese Maßnahmen zur Gegenfinanzierung der Wahlversprechen – sofern sie überhaupt in Gänze umgesetzt werden – nicht ausreichen. Aus diesem Grund haben schon Parteivertreter anklingen lassen, dass sie sich durchaus einen Nachtragshaushalt vorstellen können, sprich höhere Ausgaben. Was die Regierung aber tunlichst vermeiden dürfte, ist eine so starke Ausweitung des Defizits, dass sie wieder die Maastricht-Stabilitätshürde von 3% reißen würde. Denn Polen wird aller Voraussicht nach im zu Ende gehenden Jahr 2015 mit einem Fehlbetrag von 2,8% in der Staatskasse erstmals wieder seit 2007 unter der kritischen Marke von 3% landen. Daher halten wir es auch durchaus für wahrscheinlich, dass die kostspieligen Wahlversprechen zum Teil abgespeckt werden.

Spannungsfeld der Erwartungen

Konjunktur- und Marktbeobachter verfolgen ganz genau die Vorhaben der neuen nationalkonservativen Regierung. Dabei wird vielfach die Frage gestellt, ob Polen dem weiter südlich gelegenen Beispiel Ungarn folgen wird mit einer EU-skeptischen und stärker nationalistisch gefärbten Politik. Befürchtungen in diese Richtung rufen dabei auch die Erfahrungen aus der ersten Regierungsepisode der PiS hervor, als die Zwillingsbrüder Kaczynski die Doppelspitze in Polen bildeten und viele Unternehmen sowie auch europäische Partnerländer verstörten.

Doch eines unterscheidet die politischen Verhältnisse in Polen von denen in Ungarn: In Warschau verfügt die PiS nicht über die für eine Verfassungsänderung notwendige Mehrheit wie sie die Fidesz lange Zeit in Budapest hatte. Dies sollte auch das Risiko eindämmen, dass in Polen „ungarische“ Verhältnisse einziehen. Einen Vorgeschmack auf das Misstrauen internationaler Investoren im Hinblick auf den bevorstehenden Regierungswechsel gaben dennoch die Reaktionen am Devisenmarkt: Je mehr sich ein Wahlerfolg der PiS in Umfragen abzeichnete, desto stärker ließ der Wert des Zloty Federn.

Die neue Regierung muss sich in der anstehenden Legislaturperiode als verlässlicher Partner für die europäischen Länder zunächst einmal beweisen, ebenso für internationale Investoren. Dann dürften Letztgenannte auch ihre Investitionen in die größte osteuropäische Volkswirtschaft stärker ausweiten. Das Vertrauen in der Mehrheit der Bevölkerung hat die PiS im Laufe des Wahlkampfes gewonnen, was gleichzeitig aber auch eine Gefahr ist: Die Wahlversprechen waren so großzügig, dass bei einer nicht umfassenden Umsetzung dieser Punkte die Enttäuschung innerhalb der polnischen Bevölkerung und der innenpolitische Druck auf die PiS groß werden könnten.

In diesem von Innen- und Außenfaktoren bestimmten Spannungsfeld wird sich die Wirtschaftspolitik der PiS bewegen: Dabei sind einige Abstriche von ihrem Wahlprogramm zu erwarten, um internationalen Kapitalgebern nicht zu stark auf die Füße zu treten. Das würde schließlich die grundsätzlich guten Wachstumsaussichten für die polnische Volkswirtschaft stützen.

Kontakt: mario.jung@coface.com

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