Infolge von sogenannten Umsatzsteuerkarussellen haben sich seit Anfang 2016 die Zahlungsrisiken in der europäischen Informations- und Kommunikationstechnikbranche (IKT) erheblich erhöht. Die Risikoanalysten des Kreditversicherers Atradius erwarten, dass von dem Betrugsmuster auch künftig Gefahren für Elektronikhändler ausgehen. Von 2015 auf 2016 nahmen bei Atradius die durch IKT-Unternehmen in Mittel- und Osteuropa verursachten Schadenszahlungen um mehr als das Vierfache zu.

Von Michael Karrenberg, Regional Director Risk ­Services Germany, Central, North, East Europe & Russia/CIS, Atradius

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Im vergangenen Jahr gingen Steuerbehörden und Staatsanwaltschaften in Mittel- und Osteuropa vermehrt gegen Händler von Unterhaltungselektronik bei Verdacht auf sogenannte Umsatzsteuerkarusselle vor. Das führte bei den betroffenen Unternehmen schnell zur Handlungs- und schließlich zur Zahlungs­unfähigkeit. Die zuletzt größten Fälle verzeichnete Atradius in Rumänien, Polen und der Tschechischen Republik. Daneben waren auch Firmen in Deutschland betroffen.

Striktes Vorgehen bereits im Verdachtsfall

Zu den häufig bereits im Verdachtsfall eingeleiteten Schritten der Ermittler gehören der Stopp von Umsatzsteuerrückzahlungen, Pfändungen, das Einfrieren von Konten oder die Untersuchungshaft von Mitarbeitern. Dadurch ist die finanzielle Basis einer Firma oftmals massiv angegriffen – selbst wenn am Ende ein Freispruch erfolgt. Besonders heimtückisch für viele Unternehmen: Wird die Betrugsmasche professionell durchgeführt, ist es für sie oft kaum zu erkennen, dass sie in ein solches Karussell involviert sind. So kann innerhalb kürzester Zeit auch die Existenz von unwissentlich beteiligten Unternehmen bedroht sein.

Steuerbetrüger nutzen Besonderheit im EU-Recht aus

Der Betrug mittels Umsatzsteuerkarussell wird durch eine Besonderheit im EU-Recht ermöglicht: Demnach muss bei innergemeinschaftlichen, grenzüberschreitenden Lieferungen innerhalb der Europäischen Union nicht wie sonst üblich der Verkäufer die Umsatzsteuer abführen, sondern der Erwerber beim Weiterverkauf der Ware innerhalb des eigenen Landes.

Betrüger nutzen diese Regelung vermehrt zur Steuerhinterziehung aus, insbesondere in Osteuropa. Dabei beziehen sie Waren aus dem EU-Ausland zum Nettopreis ohne Umsatzsteueraufschlag. Die erworbenen Waren verkaufen die Geschäftemacher im Inland weiter. Bei den Weiterverkäufen weisen sie ihren ursprünglichen Nettoeinkaufspreis als Bruttoeinkaufspreis, also inklusive Umsatzsteuer, aus. Auf den neuen, gefälschten Nettoeinkaufspreis geben sie einen geringen Preisaufschlag und veräußern die Waren zuzüglich Umsatzsteuer. Später lassen sie sich dann vom Finanzamt die Umsatzsteuer erstatten, die sie beim Kauf aufgrund der Steuerrechtsbesonderheit jedoch gar nicht bezahlt haben. So erzielen sie insgesamt einen Gewinn. Zur Vertuschung dient neben Scheinrechnungen häufig auch ein komplexes Firmengeflecht, in dem die Waren schnell und mehrfach den Eigentümer wechseln – stets mit Ausweis der Umsatzsteuer auf den Rechnungen, so dass es nach außen den Anschein eines normalen Handelsgeschäftes hat. Je schneller sich das Karussell dreht und je mehr Waren umgeschlagen werden, desto lukrativer. Aus Sicht der Betrüger tritt der ideale Fall ein, wenn die Waren irgendwann wieder im EU-Ausland landen und der Kreislauf erneut beginnen kann.

IKT-Branche anfällig für die ­Betrugsmasche

Die IKT-Branche bietet aufgrund der Art ihrer Produkte viele Möglichkeiten für diesen Steuerbetrug. So ist der logistische Aufwand zum An- und Verkauf von Mobiltelefonen, Bildschirmen, Festplatten, Tablets im Vergleich zu anderen Branchen relativ gering – auch beim Transport hoher Stückzahlen. Gleichzeitig sind die Innovationszyklen kurz, so dass die jeweiligen Modelle schnell weiterverkauft werden.

Worauf Elektronikhändler achten sollten

Einige Auffälligkeiten können auf ein Steuerkarussell hindeuten:

  • Einkäufer sollten nach unserer Erfahrung vorsichtig sein bei Angeboten, die deutlich unter dem üblichen Marktwert liegen, gerade wenn die Waren vom Verkäufer als einmalige Gelegenheit oder Sonderposten deklariert werden.
  • Beim Weiterverkauf sollte man vorsichtig sein, wenn der Firmensitz des Käufers und der Lieferort in unterschiedlichen Ländern liegen, wobei der Lieferort oft ein Lager eines externen Logistikanbieters ist. Die Ware wird dort gegen Vorkasse oder Direktzahlung freigegeben und vom Käufer abgeholt – unter anderem, weil sich der Abnehmer so einer Prüfung durch die Kreditversicherung des Lieferanten entzieht, da in diesem Fall keine zu versichernde Forderung entsteht.
  • Skeptisch sein sollte man auch bei Geschäftskontakten, die nicht persönlich bekannt sind und als Vermittler für regelmäßig wechselnde Lieferanten oder Kunden auftreten.

Nichtsdestotrotz bleibt eine Verwicklung für die Unternehmer von außen oft schwierig zu erkennen.

IKT-Branche steht vielfältigen Herausforderungen gegenüber

Neben den erhöhten Risiken durch Umsatzsteuerbetrug sieht sich die Branche weltweit erhöhtem Preisdruck und sinkenden Margen ausgesetzt. Besonders in gesättigten Märkten stehen die Unternehmen einer geringen Produktdifferenzierung sowie wachsendem Wettbewerbs- und Veränderungsdruck durch die schnelle Weiterentwicklung von digitalen Produkten und Services gegenüber. Atradius bewertet das Ausfallrisiko für einen Lieferantenkredit bei allen Abnehmern im IKT-Bereich individuell auf Basis von Finanzkennzahlen und weiteren Daten.

Aktuell erhöhte Ausfallrisiken sehen wir als Kreditversicherer insgesamt bei Einzelhändlern, die keinen Onlinemarktplatz haben. Auch für Hardwaregroßhändler ergibt sich ein höheres Risiko, wenn ihre Logistik und ihre Services Schwächen aufweisen. Durch die relativ geringen Markteintrittsbarrieren können Aufträge dann schnell an andere Marktteilnehmer gehen. Auch Großeinkäufe von Modellen, deren Technik plötzlich überholt ist, können zum Risiko werden, wenn der Händler die Produkte nicht verkauft bekommt. Aufgrund des geringen Eigenkapitals droht dann schnell die Insolvenz. Derzeit positiv bewerten wir die Situation bei Anbietern von Steuerungselementen, Medizintechnik sowie Anbietern von Soft- und Hardware für die Automobilindustrie. Hier besteht aus unserer Sicht aktuell nur ein geringes Forderungsausfallrisiko.

michael.karrenberg@atradius.com

 

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