Vietnams Wirtschaft hat sich langsam von einer schweren Krise erholt. Gute Wirtschaftsindikatoren dokumentieren die Rückkehr zu makroökonomischer Stabilität. Dennoch reagiert die stark exportorientierte Wirtschaft sensibel auf die Weltkonjunktur und die Entwicklung in China. Schleppende Strukturreformen belasten zusätzlich. Credimundi stuft das politische Risiko Vietnams als niedrig ein (2 auf einer Skala von 1 bis 7). Das Geschäftsrisiko wird als hoch bewertet (C auf einer Skala von A bis C).

Von Christoph Witte, Direktor Deutschland, Credimundi, Member of the Credendo Group

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Das makroökonomisches Missmanagement und eine Reihe von Korruptionsskandalen haben die Regierung von Nguyen Tan Dung geschwächt – die politische Stabilität und Kontinuität Vietnams ist bislang aber nicht gefährdet. Denn trotz eines jährlichen Vertrauensvotums der Nationalversammlung, dem sich Spitzenpolitiker seit dem Jahr 2013 stellen müssen, gibt es bislang keine Sanktionen für das aktuelle Kabinett. Die Regierung steht jedoch vor großen Herausforderungen: Die Differenzen zwischen dem konservativen und dem reformorientierten Flügel innerhalb der Kommunistischen Partei (KPV) nehmen zu. Zudem sieht sich die politische Elite einem wachsenden Druck ausgesetzt, Strukturreformen anzugehen sowie die Wirtschaftspolitik und die Regierungsführung zu verbessern – da unter anderem Premierminister Dung in der Vertrauensabstimmung ein schlechtes Ergebnis erhielt.

Im Konflikt um die Paracel-Inseln im Südchinesischen Meer haben die Spannungen zwischen Vietnam und China vorerst zwar nachgelassen, die zunehmende Militärmacht Chinas sowie die verstärkte sicherheitspolitische und militärische Zusammenarbeit Vietnams mit den USA machen neue Zusammenstöße im südchinesischen Meer jedoch wahrscheinlich.

Schleppende Banken- und ­Strukturreformen belasten

Ein Fokus der kommunistischen Regierung Vietnams liegt auf den Reformen für den Bankensektor und für die Staats­unternehmen. Um die Wirtschaft langfristig auf einen nachhaltigen Weg zu bringen, müssten die Reformprozesse aber schneller voranschreiten. Denn nicht nur die schwächere Nachfrage der Industrieländer belastet die vietnamesische Wirtschaft, sondern auch die anhaltende Kreditknappheit, die eine wesentliche Ursache für das unterdurchschnittliche Wirtschaftswachstum Vietnams darstellt.

Die Zahl notleidender Kredite nimmt weiter zu, und die Bereinigung der Bilanzen vieler Banken durch den Staat überwindet nicht die strukturellen Probleme des Landes. Außerdem sind weitere Neuregelungen und Restrukturierungen der Banken erforderlich, um zu vermeiden, dass die Kreditrisiken in neue Höhen steigen. Die umfangreiche Teilprivatisierung von Staatsbetrieben stellt eine weitere schwierige Aufgabe für die geschwächte Regierung dar. Denn die Ineffizienz und die schlechte Finanzlage der Staatsbetriebe sind u.a. Ursache für die Bankenkrise.

Den nur zögerlich anlaufenden Reformprozessen stehen allerdings eine begrenzte Inflation, ein stabiler Dong und ein diversifizierter Exportsektor gegenüber – Faktoren, die sich positiv auf die Wirtschaft des Landes auswirken. Vor allem in der verarbeitenden Industrie gilt Vietnam als attraktiver und wettbewerbsfähiger Standort für ausländische Direktinvestitionen, der sich durch eine dynamische und konsumorientierte junge Bevölkerung auszeichnet.

Erholung, aber unterdurchschnittliches Wachstum

Vietnams Wirtschaftswachstum hat sich seit den Zahlungsbilanzschwierigkeiten 2008–2011 und der Bankenkrise 2011–2012 langsam erholt. Das Land ist zu makro­ökonomischer Stabilität zurückgekehrt. Doch angesichts der schwächeren Weltkonjunktur bewegt sich das Wachstum mit Werten von 5,5% bis 6% auf einem niedrigeren Niveau als im Zeitraum 2000–2007, als das BIP jährlich um 7,6% zulegte.

Zwar trüben externe Risiken und eine verhaltene Inlandsfrage – gebremst durch ein knappes Kreditangebot – den Ausblick, doch die Exporte verzeichnen dank hoher Diversifikation (einschließlich vieler Rohstoffe und Agrargüter) ein kräftiges Wachstum und tragen so wesentlich dazu bei, das BIP-Wachstum auf hohem Niveau zu halten.

Doch mit einer Exportquote von 75% des BIP reagiert Vietnams Wirtschaft und insbesondere das verarbeitende Gewerbe sensibel auf die schwächere Nachfrage der Industrieländer, insbesondere der EU. Verbesserte Konjunkturprognosen für die USA könnten die Nachfrage nach vietnamesischen Waren stärken, da der amerikanische Markt rund 17% der Exporte abnimmt. Der Tourismus (5% der gesamten Exporte) hatte sich positiv entwickelt, bis die Spannungen im Südchinesischen Meer die Zahlen der chinesischen Touristen einbrechen ließen (diese machen 20% aller Gäste aus). Es bleibt abzuwarten, wie sich die Spannungen des vergangenen Jahres nicht nur auf zukünftige Tourismuseinnahmen, sondern auch auf Direktinvestitionen auswirken. Chinas Anteil an den Direktinvestitionen beläuft sich auf 10% (viele davon im Zusammenhang mit einer Verlagerung der Textilindustrie).

Verbesserte Fundamentaldaten

Vietnams Leistungsbilanz weist seit 2012 ein Plus auf. Mit anziehender Inlandsnachfrage dürfte dieser Überschuss im Verlauf der nächsten Jahre jedoch langsam abnehmen und sich in ein Defizit verwandeln. Vom Rückgang des Ölpreises ist dagegen insgesamt ein positiver Effekt für die vietnamesische Wirtschaft und die Leistungsbilanz zu erwarten, da das Land ein Nettoimporteur von Erdöl ist.

Die Zahlungsbilanz Vietnams ist dank hoher Direktinvestitionen und wachsender Mittelzuflüsse robust. Das Vertrauen der südkoreanischen und japanischen Konzerne in die vietnamesische Wirtschaft ist zurückgekehrt. Sie nutzen die Wettbewerbsvorteile und investieren in die verarbeitende Industrie, insbesondere in die Produktion von Elektronik und Computerkomponenten. Zudem werden ausländische Unternehmen von der „Equitization“ genannten Privatisierungswelle (beschränkt auf den Verkauf von Minderheitsbeteiligungen) in Sektoren wie Bekleidung, Infrastruktur und Transport angezogen.

Angesichts des hohen Leistungsbilanzüberschusses und geringer Portfolioinvestitionen dürften mögliche Kapitalabflüsse in Verbindung mit der erwarteten Straffung der Geldpolitik in den USA in der zweiten Jahreshälfte 2015 die makroökonomische Stabilität kaum gefährden. Die geringere Inlandsnachfrage, die geldpolitische Straffung, die beschränkte Kreditvergabe sowie niedrigere Preise für importierte Rohstoffe haben für einen Rückgang der Inflationsrate auf den tiefsten Stand des Jahrzehnts gesorgt (Jahresdurchschnitt 2014: 3,7%). Auch in den kommenden Jahren dürfte die Inflation im Durchschnitt bei 5% liegen. Dies trägt zur Stabilisierung des Dong bei, nachdem der Druck auf die Währung im Zeitraum von Mitte 2008 bis 2011 zu mehreren Abwertungen führte.

Währungsreserven in Rekordhöhe

Die externe Liquidität, bislang häufig die größte finanzielle Sorge Vietnams, hat sich durch den Aufbau historisch hoher Währungsreserven deutlich verbessert. In den ersten zehn Monaten des Jahres 2014 nahmen diese um 40% gegenüber dem Jahresende 2013 zu, aufgrund von hohen Exporten und Überweisungen von im Ausland arbeitenden Vietnamesen sowie einem ohne Zentralbankeingriffe stabilen Dong. Mit einer Importdeckung leicht unterhalb der Dreimonatsmarke schneidet Vietnam im regionalen Vergleich immer noch schlecht ab. Der höhere Währungsbestand erleichtert jedoch die Schuldendienstzahlungen, die mit rund 3% der Exporterlöse relativ niedrig sind.

Die Auslandsverschuldung Vietnams beruht überwiegend auf Krediten zu Vorzugskonditionen und wird mit einer Quote in Höhe von 38% des BIP als tragfähig bewertet, auch wenn der Anteil der günstigen Darlehen mit dem Status Vietnams als Land mit mittlerem Einkommen allmählich sinkt.

Staatsverschuldung steigt

Die öffentliche Haushaltslage hat sich durch die expansive Wirtschaftspolitik zur Steigerung des Wirtschaftswachstums nach 2008 erheblich verschlechtert. Angesichts fehlender Haushaltskonsolidierung, höherer öffentlicher Investitionsausgaben und deutlich geringerer struktureller Steuereinnahmen verharrt das Defizit auf Rekordniveau und wird für die Jahre 2012 bis 2015 auf über 6% des BIP geschätzt, bevor es bis zum Jahr 2019 langsam auf etwa 4% des BIP sinken dürfte. Daher bietet der erheblich gesunkene Ölpreis eine ideale Chance, die hohen Kraftstoffsubventionen (2012: 2,5% des BIP) zu kürzen.

Die Staatsverschuldung steigt stetig. 2014 lag sie bei geschätzt 54,8% des BIP. 2017 könnte sie Prognosen zufolge 60% erreichen, ein Höchstwert im regionalen Vergleich. Darüber hinaus wird der öffentliche Haushalt durch Eventualverbindlichkeiten schwacher Staatsbetriebe und staatlicher Geschäftsbanken belastet, die sich auf rund 10% des BIP belaufen dürften.

Die ausführliche Länderstudie Vietnam steht zum kostenlosen Download unter www.credimundi.de bereit.

Kontakt: c.witte[at]credendogroup.com

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