Das Nordirland-Protokoll ist Teil des Austrittsabkommens zwischen der Europäischen Union und Großbritannien von 2020. Nun soll dieses Protokoll durch das Windsor Framework modifiziert und erweitert werden. Ende März haben sowohl das britische Unterhaus als auch der Europäische Rat dem Kompromiss zugestimmt.

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Das Austrittsabkommen hatte als Hauptziel, eine harte Zollgrenze zwischen Nordirland und der Republik Irland zu verhindern. Doch dies geschah auf Kosten von Handelshemmnissen zwischen Großbritannien und Nordirland – und damit in einer Region, die Teil desselben Landes ist, nämlich des Vereinigten Königreichs. Das Nordirland-Protokoll sorgte für eine Zollgrenze zwischen Großbritannien und Nordirland. Dies verschärfte die Bürokratie für britische Unternehmen.

Neue Warenverkehrsgesetze zwischen Nordirland und Großbritannien

Die EU und das Vereinigte Königreich haben sich nun auf neue Warenverkehrsgesetze zwischen Nordirland und Großbritannien geeinigt. Das Windsor Framework soll das „Northern Ireland Protocol“ verbessern (aber nicht ersetzen). Auf den ersten Blick sind alte Probleme aus der Welt geschafft: Der Lebensmittelhandel wird vereinfacht, und es gibt viele weitere Vorteile, um die Beziehungen zwischen Nordirland und Großbritannien zu verbessern. Es dreht sich u.a. um die Mehrwertsteuer, den Europäischen Gerichtshof und Zollgrenzen. Das Abkommen setzt stark auf sog. Green Lanes und Red Lanes: Waren, die von Großbritannien nach Nordirland (und nicht in die EU) verschickt werden, können die „Green Lane“ nutzen. Der Zugang zu diesen Vereinfachungen ist durch Vertrauenswürdigkeit und Produktklassifizierung bestimmt:

• Vertrauen: Green Lanes sind nur vertrauenswürdigen Unternehmen vorbehalten. Finanziell gesunde Wirtschaftsteilnehmer müssen sich bei den zuständigen britischen Behörden registrieren lassen. Sie müssen auch ihre Sendungen mit dem Ziel „Nordirland“ auflisten und überwachen.
• Produkt: Einige wenige Rohstoffe (keine Risikoprodukte) können von den Green-Lane-Vereinfachungen profitieren. Die Ware muss für den Einzelhandel, das Baugewerbe, die Gesundheit oder die Tierernährung bestimmt sein bzw. sie darf nur einen geringen Umsatz im verarbeitenden Gewerbe verursachen. Außerdem müssen alle Güter ausschließlich für Nordirland bestimmt sein.
• Von den Änderungen profitieren Paketdienstleister und Onlinehändler: B2B-Sendungen können das „Verified Trader Program“ nutzen.
• Zugelassene Spediteure können eine erleichterte Zollabfertigung für B2C-Sendungen von Großbritannien nach Nordirland nutzen.
• Nordirische Ausfuhren in das Vereinigte Königreich benötigen keine Ausfuhranmeldungen mehr, um zwischen Waren, die in die EU verbracht werden könnten, und Waren mit Bestimmungsort Nordirland (sog. Produkte, die nicht Gefahr laufen, in den EU-Binnenmarkt zu gelangen) zu unterscheiden.

Trusted Trader Scheme mit stark vereinfachter Zollanmeldung

Nur wenn Unternehmen Waren im Rahmen des „Trusted Trader Scheme“ bewegen und die Zusicherung haben, dass die Waren nicht in die EU verbracht werden, erhalten sie eine stark vereinfachte, optimierte Zollanmeldung. Diese hat nur 21 Datenelemente (anstelle von 80), die für die EU-Zollabfertigung benötigt werden. Darüber hinaus betreffen die meisten erforderlichen Informationen die eigentliche Ware (Beschreibung, Gewicht und Wert) sowie Versanddetails. All dies findet sich auch auf den Handelspapieren, sodass diese Informationen kein zweites Mal eingegeben werden müssen. Es ist sogar in der Diskussion, die Zollerklärung für Händler aus Großbritannien ganz abzuschaffen. Lieferungen nach Irland oder in andere EU-Staaten unterliegen jedoch den vollständigen EU-Zollvorschriften – unter Anwendung des Unionszollkodex, der Red Line. Hier müssen die traditionellen Zollanmeldungen abgegeben und Zollgebühren entrichtet werden.

Für den Paketversand von Großbritannien nach Nordirland wurden Lösungen gefunden. Vertrauenswürdige Händler können Waren mit Paketen effizienter versenden oder empfangen. Sobald das Windsor Framework tatsächlich in Kraft tritt, würde es Vereinfachungen für Pakete zwischen Unternehmen und Verbrauchern geben, die von zugelassenen Spediteuren geliefert werden (z.B. wenn ein Verbraucher ein Produkt online bestellt). Privatpersonen haben dann keine Auflagen mehr, z.B. eine Großmutter, die ihrem Enkel ein Geburtstagsgeschenk schickt.

Schutz des EU-Binnenmarkts

Untermauert wird dieses System durch „Checks and Balances“, die es der EU ermöglichen, den eigenen Binnenmarkt zu schützen, wie z.B.:

• EU-Echtzeitzugriff auf IT-Systeme und Datenbanken des britischen Zolls zur Durchführung von Risikobewertungen
• vollständige Autorisierung und Überwachung von Trusted-Trader- und Authorized-Carrier-Systemen
• verbesserte Marktüberwachung und Durchsetzung
• Aussetzung oder Beendigung von Programmen unter bestimmten Umständen
Die Umsetzung dieser Zollbestimmungen soll schrittweise erfolgen. Die voraussichtlichen Starttermine für die neuen Maßnahmen sind:
• Das „Trusted Trader Program“ startet im September 2023. Die EU-Behörden müssen Zugang zu britischen IT-Systemen und Datenbanken haben und die Unternehmen müssen von den britischen Behörden für das „Trusted Trader Program“ zugelassen werden.
• Der B2C-Versand wird ab September 2024 für autorisierte Spediteure eingeführt.
• Handelsprodukte müssen ab dem 1. Juli 2025 das „Not for EU“-Label tragen. Bis dahin reduziert der britische Zoll die Kontrolldichte schrittweise von 10% auf 5%.

Einfachere Lebensmittelexporte

Die Einfuhrbestimmungen für Lebensmittel sind im Allgemeinen ziemlich kompliziert. Nach dem neuen Kompromiss sollen jedoch in Nordirland verbleibende Waren den britischen Gesundheits- und Verbraucherschutzstandards und damit deutlich weniger Beschränkungen unterliegen. Ziel ist es, sicherzustellen, dass in den Supermarktregalen in Nordirland die gleichen Lebensmittel erhältlich sind wie im restlichen Vereinigten Königreich.

Eine der wichtigsten Vereinfachungen für den Lebensmitteleinzelhandel besteht darin, dass künftig für Mischladungen pro Lkw nur noch ein allgemeines tierärztliches Gesundheitszeugnis erforderlich ist. Dies soll den Verwaltungsaufwand und die Bürokratie vereinfachen. Die EU bietet auch an, die Identitätskontrollen an der Grenze auf 5% zu reduzieren, wobei die physischen Kontrollen einem risikobasierten Ansatz folgen.

Gesundheitszeugnisse sind bspw. nicht mehr für jede Sendung erforderlich. Auf einem Bulk-Lieferformular können britische Lieferanten angeben, dass alle Artikel für Nordirland bestimmt sind. Einzelhändler müssen ihre Produkte mit „Nicht für die EU“ kennzeichnen. Nach den neuen Vorschlägen darf Nordirland etwa auch gekühltes Fleisch und Rohwürste aus dem Vereinigten Königreich importieren. Dies ist eine Ausnahme, da die EU den Import von gekühltem Fleisch aus dem Ausland verbietet. Waren, die für die EU bestimmt sind oder in den EU-Binnenmarkt gelangen könnten, unterliegen jedoch weiterhin umfassenden Kontrollen; es gelten zudem die vollständigen EU-Pflanzenschutz- und Zollvorschriften.

Duales Regulierungssystem in der Medizin

Ein weiterer Streit zwischen der EU und Großbritannien entzündete sich in der Medizin. Auf dem EU-Binnenmarkt waren britische Waren stärkeren Beschränkungen ausgesetzt. Aufgrund eines dualen Regulierungssystems soll es Nordirland aber nach dem Windsor-Rahmenwerk gestattet werden, im Vereinigten Königreich zugelassene Medikamente zu verkaufen.

Zusammengefasst sind die Vorteile:

• Alle Arzneimittel (Generika und neuartige) werden nun dauerhaft gleichzeitig unter den gleichen Bedingungen im gesamten Vereinigten Königreich erhältlich sein.
• Generika dürfen weiterhin an Einwohner Nordirlands verkauft werden.
• Für neuartige Arzneimittel gelten jetzt die britischen Vorschriften für die Zulassung und das Inverkehrbringen.
• Verschreibungspflichtige Arzneimittel müssen keine EU-Sicherheitsmerkmale tragen.

Die EU besteht auf einer Reihe von Maßnahmen zum Schutz des EU-Binnenmarkts, z.B. der „Nur-UK“-Kennzeichnung auf allen Arzneimitteln in Kombination mit der Überwachung und Durchsetzung und der möglichen Aussetzung der neuen Vorschriften im Falle eines Missbrauchs.

Mehr als nur Handelsfragen

Das Nordirland-Protokoll hat zu Problemen geführt, die über Handel und Zoll hinausgehen. Die Frage ist, ob sich durch das Windsor Framework – abgesehen vom Warenhandel – diesbezüglich etwas ändern könnte. Die als „Fair Playing Field“ bezeichneten Gespräche über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich konzentrierten sich auf Subventionen. Die EU wollte Großbritannien durch Subventionen einen unfairen Vorteil verbieten. Gem. Art. 10 des Protokolls gelten die EU-Beschränkungen für staatliche Beihilfen, die den Handel zwischen Nordirland und der EU beeinträchtigen. Das Vereinigte Königreich befürchtete jedoch, dass das EU-Recht zu weit gefasst würde, da die Terminologie möglicherweise Fälle umfasste, die andere Teile des Vereinigten Königreichs – England, Schottland und Wales – betrafen.

In der Regel unterliegt Nordirland der britischen Umsatzsteuer. Art. 8 des Nordirland-Abkommens enthält eine kritische Ausnahme: Auf Waren findet europäisches Mehrwertsteuerrecht Anwendung. Im Gegensatz zu den anderen Regionen Großbritanniens bleibt Nordirland Mitglied des EU-Binnenmarkts. Auch das EU-Mehrwertsteuerrecht gilt (nur für Waren). Infolgedessen werden Waren für Mehrwertsteuerzwecke unterschiedlich behandelt – je nachdem, ob in Birmingham oder Belfast Waren verkauft werden. Wenn das Vereinigte Königreich einen Null-Mehrwertsteuersatz für bestimmte Waren ankündigt, gilt dies möglicherweise nicht automatisch in Belfast. Die Menschen in Nordirland sollen auf diese Weise nicht von niedrigeren Zöllen profitieren.

Was ist die „Stormont-Bremse“?

Gemäß den neuen Vorschlägen besteht die Möglichkeit, die britischen Mehrwertsteuersätze für unbewegliche Güter unter die EU-MwSt.-Mindestsätze zu setzen, ohne dass das Risiko besteht, dass diese Güter in den EU-Binnenmarkt gelangen (z.B. eine Wärmepumpe für ein Haus). Das britische KMU-Mehrwertsteuerbefreiungssystem könnte sowohl für Waren als auch für Dienstleistungen gelten, wenn das Vereinigte Königreich den EU-Schwellenwert für die KMU-Größe einhält. Großbritannien könnte alle alkoholischen Getränke nach ihrem Alkoholgehalt besteuern und ermäßigte Steuersätze für alkoholische Getränke festlegen, die zum sofortigen Verzehr in Gaststätten serviert werden, solange die angewandten Sätze nicht unter den EU-Mindeststeuersätzen liegen. Es gibt auch einen verstärkten Koordinierungsmechanismus, um künftig Mehrwertsteuer- und Verbrauchsteuerfragen zu erörtern.

Die „Stormont-Bremse“ soll zum Einsatz kommen, wenn durch das Protokoll umgesetzte europäische Regeln den nord­irischen Alltag erheblich und nachhaltig beeinträchtigen. Benannt ist diese Regel nach dem Sitz des nordirischen Regionalparlaments Stormont House. 30 Stormont-Abgeordnete von zwei Parteien können dieses Verfahren einleiten. Wenn die Bremse betätigt wird und die Bedingungen erfüllt sind, werden die Regeln des Nordirland-Protokolls ausgesetzt. Ein Ausschuss trifft die endgültige Entscheidung. Aufgrund der Unterschiede zwischen Nordirland und der Republik Irland kann die EU jedoch Abhilfemaßnahmen ergreifen, wenn die Vorschriften dauerhaft missachtet werden. Weitere Einzelheiten sollen in Art. 13 Abs. 3a des geänderten Nordirland-Protokolls enthalten sein.

Der EuGH als einziger und letzter Schiedsrichter

Da Nordirland Mitglied des EU-Binnenmarkts ist, ist der Europäische Gerichtshof der einzige und letzte Schiedsrichter des EU-Rechts. Daran wird sich nichts ändern. Die EU und das Vereinigte Königreich haben sich verpflichtet, alle Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung des Protokolls innerhalb der gemeinsamen Strukturen des Austrittsabkommens zu erörtern. Dazu gehören der Gemeinsame Ausschuss, der Fachausschuss für das Protokoll und die Gemeinsame Beratende Arbeitsgruppe. Durch den Dialog wollen die Beteiligten jeden Versuch unternehmen, um zu beiderseitig zufriedenstellenden Lösungen für Angelegenheiten zu kommen, die sich bei der Umsetzung des Protokolls ergeben können. Der Gemeinsame Ausschuss wird Änderungen vornehmen.

Art. 6 Abs. 1 lit. 164 (5) erlaubt ihm, die Vereinbarung bis 2024 zu ändern, um Fehler, Auslassungen oder unvorhergesehene Probleme zu korrigieren. Einige Änderungen werden eher durch gegenseitiges Verständnis als durch Gesetzestexte vorgenommen. Die Zustimmung des britischen Parlaments ist nicht erforderlich. Für das komplette Windsor Framework hat Premierminister Rishi Sunak eine (erfolgreiche) Abstimmung initiiert. Der Europäische Rat und das Parlament müssen zahlreiche Gesetzesänderungen für den europäischen Rohstoffhandel verabschieden. Daher können die Änderungen noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

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