Die Debatte um die Auflösung etablierter Wertschöpfungsketten reißt nicht ab. Nun lässt der neue US-Präsident Joe Biden die Importabhängigkeit bei essenziellen Gütern prüfen. Ziel ist die Sicherung der Versorgung aus eigener Kraft. Doch im Kern geht es darum, China aus dem Wettbewerb zu drängen.

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Der Konflikt um das Handelsungleichgewicht mit China hatte in den USA unter Donald Trump Fahrt aufgenommen und zur Verhängung von Strafzöllen geführt. Doch in der Anfangsphase der Pandemie wurde die Abhängigkeit von chinesischen Produkten nicht nur buchhalterisch sichtbar. Masken und Schutzausrüstungen waren Mangelware und legten die Nachteile langer Lieferketten in Krisenzeiten offen. Nach dem Wiederanfahren der Produktion ist nun der Mangel an Halbleitern u.a. für die Automobilindustrie Anlass für die Überprüfung der Produktionsketten von Computerchips, Pharmazeutika, Hochleistungsbatterien und seltenen Erden. Eine entsprechende Executive Order unterzeichnete Präsident Biden am 24. Februar.

Wie die aktuellen globalen Entwicklungen einzuordnen sind, beleuchteten jüngst zwei virtuelle Veranstaltungen.

Souveränität zurückgewinnen

In einer Diskussionsrunde auf der diesjährigen „Country Risk Conference“ des Kreditversicherers Coface (8. bis 10. Februar) stellte Moderator Thierry Arnaud, Managing Editor des französischen Wirtschaftsmagazins „BFM Business“, den Wunsch nach wirtschaftlicher Souveränität als Herausforderung für die Globalisierung in den Raum. Insbesondere China strebe nach größerer Autonomie vom Westen. Xavier Durand, CEO von Coface, beschrieb die vergangenen Jahre als Phase der Öffnung. Jetzt gehe es darum, ob wir uns auf einen gleichberechtigten Handel oder die Bildung zweier Blöcke zubewegen. Dann würden getrennte wirtschaftliche Ökosysteme entstehen, die die Kontrolle über die essenziellen Technologien anstreben.

Als weiteren Aspekt der internationalen Zusammenarbeit stellte Arnaud die Datensouveränität zur Diskussion. Zum einen würden die großen US-Konzerne persönliche Daten sammeln, zum anderen stünden die chinesischen Plattformen und Netzwerkanbieter in der Kritik. Bruno Berthon, Senior Adviser bei Accenture, sieht auch in diesem Bereich eine Blockbildung zwischen den USA, der EU und China. Doch die weltweit agierenden Plattformen lebten vom Austausch von lokalen und globalen Daten.

Kostenvorteile verlieren an Bedeutung

Auf der Veranstaltung wurde zudem der Kostenaspekt der Globalisierung in Frage gestellt. Isabelle Mejean, Wirtschaftsprofessorin an der Ecole Polytechnique, betonte zwar die Nutzung komparativer Kostenvorteile. Die Arbeitsteilung begünstige aber nicht einseitig kostengünstige Standorte, sondern erzeuge eine wechselseitige Abhängigkeit. Während die westlichen Länder bei der Versorgung mit wichtigen Gütern wie Masken und Schutzkleidung von Asien abhängig seien, benötigten die aufstrebenden Länder pharmazeutische Produkte aus Europa.

Corinne Vadcar, Senior Trade Analyst der Industrie- und Handelskammer Paris Ile des France, zitierte Jeffrey Immelt, den früheren CEO von General Motors, mit der Feststellung: „Bei der Globalisierung geht es um Kosten.“ – „Doch das hat sich geändert“, konstatierte Vadcar. Heute gehe es um Kundennähe. „Das klingt nach Rückverlagerung der Produktion. Man denkt an geografische Nähe. Doch darum geht es nicht“, betonte Vadcar. Wenn die angebotene Lösung nahe am Bedarf des Kunden sei, habe der Anbieter einen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten.

Heute würden auch Waren stärker unter Nutzungsaspekten und damit deren Nutzung als Dienstleistung gehandelt. „Die Hersteller kommerzialisieren die Art und Weise, wir ihr Produkt verwendet wird und wie gut diese Verwendung funktioniert. Diese Dienstleistungswirtschaft geht konsequent vom Kunden aus. Man muss seinen Kunden kennen und daher Daten über ihn sammeln. Das ist sehr mächtig“, betonte Vadcar und vermutete, dass dies auch die Ursache für den Schub der Dienstleistungswirtschaft sei.

Dienstleistungen treiben die Globalisierung

Die Globalisierung der Waren führte in den vergangenen Jahren zu einer anhaltenden Verringerung der relativen Güterpreise, erläuterte Mejean. Dagegen könnten für Dienstleistungen höhere Preise durchgesetzt werden, denn sie könnten individuell auf die Nutzer ausgerichtet werden und über die Nutzungsdauer verteilt werden. Die dahinter stehenden (digitalen) Geschäftsmodelle seien in reichen Ländern entwickelt worden und erforderten gut ausgebildete Arbeitskräfte. Nach Ansicht Mejeans haben Dienstleistungen daher ein hohes Potenzial für Wertschöpfung und globales Wachstum. Und anders als im Warenhandel seien auch die Handelshemmnisse geringer.

Der Zwang zur Distanzierung während der Pandemie hat für Vadcar einen prägenden Einfluss auf die Globalisierung. Das Decoupling der Wertschöpfungsketten sei im internationalen Warenhandel genauso spürbar wie in den physischen Dienstleistungen vor Ort. Digitale Dienstleistungen hätten dagegen einen Aufschwung erlebt, da sie über weite Entfernungen ohne physische Nähe genutzt werden könnten.

Agilität im Umgang mit Krisen

Berthon verwies darauf, dass die Eignung der jeweiligen Wertschöpfungsketten für eine globale Ausrichtung geprüft werden müsse. Wichtig sei die Anpassungsfähigkeit an unvorhergesehene Ereignisse. Auf den Anschlag auf das World Trade Center 2001 habe man sich nicht vorbereiten können, zitierte Berthon den damaligen New Yorker Bürgermeister. Das Gleiche gelte für die aktuelle Pandemie. Eine Möglichkeit sei, das System durch eine Reihe von Maßnahmen agiler zu machen.

Durand berichtete von den Erfahrungen seines Unternehmens nach dem Ausbruch der Pandemie. Innerhalb eines Tages seien alle Mitarbeiter weltweit in die Telearbeit gegangen. Die Krise habe einen Innovationsschub ausgelöst, der vorher nicht möglich schien. Feste Arbeitsplätze lösten sich ab, die Datennutzung werde intensiver. „Das ist die Globalisierung der Dienstleistungen“, konstatierte Durand.

Deutschland muss technologisch aufholen

Auf die Suche nach Deutschlands digitaler Zukunft zwischen den USA und China machte sich am 24. Februar eine Diskussionsrunde in der Reihe „Managing the new Normal“ des „Handelsblatt“. Prof. Dr. Svenja Falk, Managing Director von Accenture Research, blickte mit Begeisterung auf eine Reise nach China im Dezember 2019 zurück. Dort habe man erfolgreiche Unternehmen besucht, die mit digitaler Denkweise einfache Lösungen skalieren könnten.

Frank Riemensperger, der Vorsitzende der Geschäftsführung von Accenture Deutschland, bemängelte das langsame Wachstum deutscher Unternehmen und die Schwäche der deutschen Banken. Während für die Finanzierung von Start-ups ausreichend Kapital zur Verfügung stehe, mangele es an der Finanzierung der nächsten Wachstumsphase über die erste Umsatzmilliarde hinweg. Notwendig seien starke Leistungsversprechen mit Narrativen, die den Menschen gefallen.

Im Umgang mit China gehe es vor allem um technologische Souveränität, erläuterte Riemensperger. Es sei eine große geopolitische Herausforderung für Europa, die Standards selbst zu bestimmen, statt sich den Standards Chinas anzupassen. Trotzdem müsse man eine Art der Zusammenarbeit finden, mit der beide Seiten leben könnten. China habe sich in der Pandemie als robuster Handelspartner erwiesen und werde seinen Wachstumskurs fortsetzen.

Prof. Dr. Kristin Shi-Kupfer vom Lehrstuhl für Gegenwartsbezogene Chinaforschung der Universität Trier empfahl einen selbstbewussten Umgang mit China. Das Land sei erfolgreich in der Umsetzung strategischer Initiativen, experimentierfreudig und umsetzungsstark. Doch die industrielle Basis sei weiterhin abhängig von westlicher Technologie und das Land setze stärker auf Autonomie. Daher sei die Zusammenarbeit mit den USA vorzuziehen.

g.schilling@exportmanageronline.de

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