Am 25. Februar 2023 hat die EU zusätzliche Sanktionen gegen Russland beschlossen (zehntes Sanktionspaket) – zum Jahrestag des völkerrechtswidrigen Angriffs Russlands auf die Ukraine. In Fortsetzung unserer sechs Beiträge (zuletzt Ausgabe 6/2022, S. 20 ff., Ausgabe 8/2022 S. 20 ff., und Ausgabe 1/2023, S.19 ff.) werden die Auswirkungen dieses Embargos für Exporteure in der EU aufgezeigt.

Beitrag in der Gesamtausgabe (PDF)

Das Einfuhrverbot für Rohöl und Erdölerzeugnisse mit Ursprung oder Herkunft Russland war bereits mit der Verordnung (EU) 2022/879 vom 3. Juni 2022 im Rahmen des sechsten Sanktionspakets und die Preisobergrenze mit der Verordnung (EU) 2022/1904 vom 6. Oktober 2022 im Rahmen des achten Sanktionspakets in die Russland-Embargo-Verordnung (EU) Nr. 833/2014 (VO 833/2014) eingefügt worden.

Ausgangsfall 1: D in Deutschland, der auf die Herstellung von elektromagnetischen Kupplungen und Bremsen der Zolltarifnummer (ZTN) 8505 20 spezialisiert ist, hat eine langjährige Geschäftsbeziehung mit dem Kunden R in Russland. D möchte diese Geschäftstätigkeit fortsetzen; zuletzt war ein Vertrag über die Güter der ZTN 8505 20 am 15. Februar 2023 mit R geschlossen worden. Welche Auswirkungen hat Sanktionspaket 10?

Ausgangsfall 2: Bank B in Deutschland und Rechtsanwalt R in Deutschland führen ein Konto bzw. Anderkonto, auf dem Gelder des National Wealth Fund Russlands bzw. der Zentralbank Russlands liegen. Seit Kriegsbeginn sind keine Transaktionen durchgeführt worden. Was müssen B und R nach dem zehnten Sanktionspaket unternehmen?

Ausgangsfall 3: Importeur D aus Deutschland hat Paraffin mit der ZTN 2712 mit Ursprung Russland über den Seeweg in ein Zolllager am Hamburger Hafen importiert. Die Güter sind zum 20. Februar 2023 zwar gestellt, aber noch nicht in den freien Warenverkehr der EU überlassen worden. Mit Wirkung zum 26. Feb-ruar 2023 wird der Import der Güter aus Russland in die EU verboten. Muss D die Güter zurück nach Russland exportieren? Abwandlung: Wie verhält es sich, wenn es hier um synthetischen Kautschuk geht?

Das Sanktionspaket 10 im Überblick

Bzgl. der Ukraine-VO 269/2014 gibt es durch die VO 2023/426 eine erhebliche Verschärfung der Informationspflichten für EU-Banken, EU-Unternehmen und EU-Bürger über das Vermögen der sanktionierten Personen/Unternehmen (neu gefasster Art. 8 Ukraine-VO): Sie müssen binnen zwei Wochen alle sachdienlichen Angaben über dieses Vermögen an die „zuständige Stelle“ melden. Hierbei werden Vorgaben für diese Meldungen gemacht; so müssen sie u.a. enthalten: Angaben zur Identifizierung der Personen, die solche eingefrorenen Gelder besitzen, Angaben zum Geldwert und zur Art der Gelder. Diese Meldungen sind auch erforderlich, wenn es binnen 14 Tagen vor Aufnahme in die Sanktionsliste durch diese Person zu einem Geldtransfer gekommen ist. Der betroffene Mitgliedstaat übermittelt dann binnen 14 Tagen diese Angaben an die Kommission weiter.

Bzgl. der Ukraine-VO gibt es weitere Listungen durch DVO 2023/429: Es werden weitere 87 Personen und 34 Einrichtungen gelistet, sodass jetzt insgesamt 1.499 Personen und 208 Einrichtungen aufgeführt sind. Zu den neu gelisteten Einrichtungen gehören u.a. drei Großbanken (Alfa Bank JSC, PJS Rosbank, Tinkoff Bank JSC), der National Wealth Fund, die Russian National Reinsurance Company und Firmen wie die LLC Commercial Vehicles GAZ Group oder die LLC United Machine-Building Group. Bei den 87 Personen handelt es sich um Duma-Abgeordnete, Beamte in Führungspositionen, Militärangehörige, Söldner, Vertreter des russischen und iranischen Rüstungssektors, Propagandisten, Schifffahrtsgesellschaften und Verantwortliche für die Entführung von Kindern nach Russland.

Durch die DVO 2023/430 werden unter der Menschenrechts-VO 2020/1998 acht führende Mitglieder der Wagner-Gruppe – alles Russen – gelistet, welche schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen in verschiedenen Ländern (Ukraine, Libyen, Zentralafrikanische Republik, Mali und Sudan) begangen haben. Zusätzlich wurden sieben Einrichtungen (aus Russland, Sudan, Zentralafrikanische Republik) hier gelistet, die alle für die Wagner-Gruppe tätig sind.

Bzgl. der Russland-VO 833/2014 gibt es wichtige Änderungen durch die VO 2023/427 – die acht wichtigsten Änderungen sind die folgenden:

1. Die Liste der militärischen Endverwender (Anhang IV) wird wieder neu gefasst, weil sie um 96 Einträge (z.T. auch iranische Einrichtungen) erweitert wird; jetzt sind dort 506 Einrichtungen gelistet.
2. Die Liste der strategischen Güter nach Anhang VII (mit einem Ausfuhrverbot nach Russland) wird wieder neu gefasst, weil dieser Anhang um zahlreiche Einträge ergänzt wurde (er ist jetzt 150 Seiten lang, die Länge entspricht 56% der gesamten VO 2023/427). Die Intention war u.a., Seltenerd-Metalle und ihre Verbindungen, elektronische integrierte Schaltungen und Wärmebildkameras aufzunehmen (Nr. 5 der Präambel).
3. In Anhang XXI (Güter, die Russland erhebliche Einnahmen bringen könnten) wird ein neuer Teil C eingefügt (u.a. Bitumen, Asphalt, Carbon und synthetischer Kautschuk), was zu neuen Einfuhrverboten in die EU führt.
4. Anhang XXIII (Güter zur Stärkung der industriellen Kapazität Russlands mit einem Ausfuhrverbot) wird wieder neu gefasst: Völlig neu ist Teil C (hier geht es u.a. um Dampfmaschinen, Kolbenverbrennungsmotoren, bestimmte Pumpen, Kräne, Werkzeug-, Bohr- oder Fräsmaschinen, Kugel- oder Wälzlager sowie Stromerzeugungsaggregate, Industrieöfen, LED-Lampen); neu gefasst ist auch Teil A, während Teil B unverändert bleibt. Diese neuen Listungen sind 63 Seiten lang (entspricht 23,5% der Länge von VO 2023/427).
5. Das Luftfahrtembargo wird wie folgt ausgeweitet: Anhang XI (Güter der Luft- und Raumfahrt mit einem Ausfuhrverbot) wird neu gefasst. Neu ist v.a. Teil D, der insb. bestimmte Turbostrahltriebwerke betrifft.
6. Um Umgehungen des Russland-Embargos zu vermeiden, gilt ein Durchfuhrverbot Russlands bzgl. Dual-Use- und Rüstungsgütern (Art. 2 Abs. 1a). Und um Umgehungen der Luftraumsperrungen für russische Flugzeuge in der EU zu vermeiden, müssen Privat- bzw. Charter-Flüge zwischen Russland und der EU mindestens 48 Stunden vor dem Flug angemeldet werden (Art. 3d
Abs. 5).
7. Russische Personen/in Russland lebende Personen/Gesellschaften dürfen keine Leitungsposten in kritischen EU-Infrastrukturen erhalten und keine Speicherkapazitäten für Flüssigerdgas (neuer Art. 5o und 5p).
8. Die oben genannte Ausweitung der Informationspflichten für das Vermögen sanktionierter Personen (entsprechend Art. 8 Ukraine-VO) gilt auch bzgl. des Vermögens der Zentralbank Russlands und von Einrichtungen, die in deren Namen handeln. Darüber hinaus sind diese Informationen alle drei Monate zu aktualisieren (Art. 5a
Abs. 4a).

Kleinere Änderungen sind v.a. die folgenden:

• Die Liste der Partnerländer (Anhang VIII), an deren diplomatische Botschaften in Russland einige sanktionierte Güter geschickt werden dürfen, wird um drei Länder erweitert: Kanada, Australien und Neuseeland.
• Es gibt Änderungen im Wortlaut von Art. 5aa (Verbot aller Transaktionen mit staatseigenen Betrieben nach Anhang XIX), wodurch einige Ausnahmen präzisiert werden.
• Anhang XV (Sender mit Sendeverbot) wird um zwei Einrichtungen erweitert: RT Arabic und Sputnik Arabic.
• In Art. 12b Abs. 2a wird eine vorübergehende Ausnahme vom Dienstleistungsverbot nach Art. 5n eingeführt, um einen zügigen Ausstieg aus dem russischen Markt zu erleichtern.
• Mit dem neuen Art. 12e wird die Überlassung von Gütern durch die Zollbehörden der Mitgliedstaaten erlaubt, wenn sich die Güter physisch in der Union befinden und bereits gestellt waren zum Zeitpunkt, an dem das neue EU-Einfuhrverbot in Kraft tritt.

Lösung Ausgangsfall 1

Die elektromagnetischen Kupplungen und Bremsen (ZTN 8502 20) sind seit dem 26. Februar 2023 gelistet, und zwar vom neu gefassten Teil A des Anhangs XXIII, was zu einem Ausfuhrverbot führen würde. Da für den neu gefassten Teil A dieses Anhangs keine neue Altvertragsklausel geschaffen wurde, ist die nach Art. 3k Abs. 3 (Erfüllung bis 10. Juli 2022 für Verträge vor dem 9. April 2022) bereits abgelaufen. Nur wenn es hier um ein Gut ginge, das vom neuen Teil C des Anhangs XXIII gelistet wäre, könnte noch bis zum 27. März 2023 erfüllt werden bzgl. Verträgen, die vor dem 26. Februar 2023 geschlossen wurden (ein solcher Altvertrag läge hier vor).

Lösung Ausgangsfall 2

Es geht hier um die neuen Informationspflichten nach Art. 5a Abs. 4a Russland-VO und Art. 8 Ukraine-VO. Für die Gelder der Zentralbank Russland und des National Wealth Funds (nachfolgend NWF) ist die erstgenannte Vorschrift anwendbar, für den NWF auch die zweitgenannte Vorschrift, weil der NWF jetzt in der Ukraine-VO gelistet ist.
B und R müssen Folgendes melden: Identifikation ihrer Personen, den Betrag der betroffenen Vermögenswerte und die Art der Vermögenswerte sowie, ob es hierbei zu einem außergewöhnlichen und unvorhergesehenen Verlust oder Schaden gekommen ist. Anders als Art. 8 Ukraine-VO sieht Art. 5a Abs. 4a vor, dass diese Meldungen alle drei Monate auf den neuesten Stand gebracht werden müssen. Es ist gegenwärtig davon auszugehen, dass die „zuständigen Behörden“ in Deutschland die folgenden sind: die Bundesbank, wenn es um Gelder und Finanzhilfen geht, und das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, wenn es um Güter, wirtschaftliche Ressourcen, technische Hilfen, Vermittlungsdienste, Dienstleistungen und Investitionen geht. Künftig könnte auch die geplante Task Force der Bundesregierung hierfür zuständig sein.

Lösung Ausgangsfall 3

Paraffin wird vom neuen Teil C von Anhang XXI erfasst, sodass hier ab dem 26. Februar 2023 ein EU-Einfuhrverbot bestehen würde. Es gibt aber eine neue Altvertragsklausel (Art. 3i Abs. 3d), nach der eine Erfüllung bis zum 27. Mai 2023 (bei Verträgen vor dem 26. Februar 2023) möglich ist. Zusätzlich ist Art. 12e zu berücksichtigen: Da die Güter sich im Gebiet der Union befinden und zum 20. Februar 2023 zwar gestellt wurden, aber noch nicht für den freien Warenverkehr in der EU überlassen wurden, greift hier der neue Art. 12e ein: Die Güter brauchen jetzt nicht wegen des ab 26. Februar 2023 geltenden EU-Einfuhrverbots nach Russland zurückbefördert zu werden, sondern sie können nunmehr für den freien Warenverkehr überlassen werden. Anders wäre die Rechtslage nur dann, wenn die Zollbehörden hinreichende Gründe dafür hätten, dass hier eine Umgehung des Russland-Embargos droht.

Lösung Abwandlung:Synthetischer Kautschuk ist ebenfalls im neuen Teil C von Anhang XXI gelistet. Allerdings sind Güter unter den ZTN 2803 und 4002 bis zum 30. Juni 2024 im Rahmen eines Einfuhrkontingents vom EU-Importverbot ausgenommen (Art. 3i Abs. 3da). Für synthetischen Kautschuk, der unter die ZTN 4002 fällt, steht ein Kontingent von maximal 562.973 t zur Verfügung. D müsste prüfen, ob er dieses Einfuhrkontingent wahrnehmen kann.

Plan gegen Sanktionsumgehungen

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat festgestellt, dass deutliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Russland-Sanktionen durch Lieferungen vor allem in folgende Länder umgangen werden könnten: Türkei, China und Indien, aber auch russische Nachbarstaaten wie etwa Armenien, Kasachstan und Kirgisien. Denn die deutschen Exporte in diese sechs potenziellen Umgehungsländer seien im Jahr 2022 stark gestiegen sowie die Lieferungen aus diesen Ländern nach Russland, sodass vermutet wird, dass diese von den Kunden in diesen sechs Ländern nach Russland weitergeleitet worden seien.

Minister Habeck plant nun, dass Exporte in solche Drittstaaten, zumindest wenn sie Russland-sanktionierte Güter betreffen, nur noch bei Abgabe von transparenten Endverbleibserklärungen im Rahmen der Ausfuhranmeldung zulässig sind, in denen der Käufer schriftlich erklärt, wofür diese Güter verwendet werden sollen.

Diese Exporteure sollten dann – so der Plan – über eine Zollerklärung bestätigen, dass die Güter im genannten Endverbleibsland bleiben. Vorsätzliche Falschangaben sollten europaweit als Straftaten geahndet werden können; außerdem sollten Unternehmen, die solche sanktionierten Waren nach Russland weiterleiten, künftig keine Ware mehr in solche potenziellen Umgehungsländer liefern dürfen. Die EU-Staaten schlagen hierfür den Aufbau einer gemeinsamen Analyseplattform vor, um verdächtige Handelsströme untersuchen und kritische Fälle herausfinden zu können. Überlegt wird auch, gegenüber „nicht kooperativen“ Ländern Druckmittel anzuwenden – wie etwa die Aufhebung von Zollerleichterungen, um diese dadurch zur Zusammenarbeit bei den Russland-Sanktionen zu bewegen.

Resümee

Das zehnte Sanktionspaket ist wieder eine wichtige Ergänzung des bisherigen Russland-Embargos. Die Ausweitung der sanktionierten Güter – weiter in Richtung eines Fast-Total-Embargos – war die richtige Antwort zum Jahrestag des russischen Kriegs gegen die Ukraine.

Auch sind weitere Maßnahmen unausweichlich, um die Umgehung der Russland-Sanktionen zu vermeiden. Hierzu dürften der Habeck-Plan eine wichtige Initiative sein sowie die Überlegungen auf EU-Ebene. Die EU-Unternehmen können daran mitarbeiten, dass es nicht zu solchen Embargo-Umgehungen kommt. Sie sollten – v.a. dann, wenn es um Russland-Sanktionsgüter geht – bei Verkäufen oder Lieferungen in eventuelle Umgehungsländer auf einem strikten Absicherungsvertrag bestehen, durch den Weiterlieferungen der Sanktionsware nach Russland (zur Vermeidung von Schadensersatz etc.) strikt verboten sind. Entsprechendes sollte auch bei Einkäufen geschehen, wenn Sanktionsware eingekauft wird; denn das Russland-Embargo verbietet jede direkte und indirekte Lieferung bzw. den Verkauf nach Russland oder jede direkte oder indirekte EU-Einfuhr bzw. den Einkauf aus Russland.

Schon bisher waren Umgehungslieferungen (indirekte Russland-Lieferungen) unter dem Russland-Embargo verboten. Der Habeck-Plan betrifft genau solche illegalen Weiterlieferungen. Die Beratungspraxis zeigt, dass sich nicht alle Unternehmen über das Verbot indirekter Russland-Lieferungen im Klaren sind.

Daher dürften solche Absicherungsverträge nun umso mehr zwingend erforderlich sein; und auch für Händler sollten entsprechende Absicherungsmaßnahmen ergriffen werden, damit es durch sie nicht zu Embargo-Umgehungen kommt.

Wegen aktueller Hinweise zum EU-Exportrecht vgl. HIER und zum Russland-Embargo vgl. HIER

info@hohmann-rechtsanwaelte.com

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