Art. 3g Abs. 1d dürfte zurzeit die umstrittenste Vorschrift in der Russland-Embargo-VO sein. Wie sollte sie ausgelegt werden, damit die Auslegung noch vernünftig ist und nicht zu unverhältnismäßigen Ergebnissen (wie der Zerstörung ganzer Warenlager oder des Verbots jeglichen Weiterverkaufs) führt?
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Ausgangsfall: D aus Deutschland stellt Raumheizöfen her. Raumheizöfen unterfallen der Zolltarifnummergruppe (ZTN-Gruppe) 7321, die auf Anhang XVII der EU-Russland-Embargos VO 833/2014 gelistet ist. Zur Herstellung der Raumheizöfen bezieht D von jeher Einzelteile von T aus der Türkei. Bei diesen Einzelteilen handelt es sich sowohl um Stahlbehälter mit einem Fassungsvermögen weniger als 300 l, die der ZTN-Gruppe 7310 unterfallen, als auch um verschiedene Einzelteile aus Stahl wie Schrauben, Muttern, Bolzen, die der Zolltarifnummer-gruppe 7318 unterfallen. Diese ZTN-Gruppen sind ebenfalls unter Anhang XVII EU-VO 833/2014 gelistet. T hat seinen Stahl wegen des günstigen Preises in der Vergangenheit häufig aus Russland bezogen. Der von T bezogene Stahl bzw. die für die Herstellung seiner Produkte erforderlichen Zwischenprodukte sind ebenfalls vollständig von Anhang XVII der EU-VO 833/2014 erfasst.
Fragen: Darf D auch in der Zukunft Einzelteile von T beziehen oder ist dies nunmehr durch das EU-Russland-Embargo untersagt? Und darf D künftig noch Heizungen mit russischem Stahl in der Europäischen Union oder einem Drittstaat verkaufen?
Abwandlung: Sowohl D als auch T haben im Laufe ihrer Geschäftstätigkeit Lagerbestände aufgebaut. Da sie Altbestände nicht konsequent abgebaut und teilweise primär neu produzierte Ware versendet haben, ist ein kleiner Teil der von ihnen gelagerten Produkte sogar älter als zehn Jahre. Darf D von T diese Lagerware kaufen?
Vorschrift von Art. 3g der Russland-VO
Wohl selten hat eine Vorschrift des Russland-Embargos eine solche Unruhe unter Händlern mit Eisen- und Stahlerzeugnissen ausgelöst, wie es Art. 3g tut. Diese Vorschrift verbietet es, in Anhang XVII gelistete Eisen- und Stahlerzeugnisse unmittelbar oder mittelbar in die EU einzuführen, wenn sie ihren Ursprung in Russland haben oder aus Russland ausgeführt wurden (Abs. 1a), solche gelisteten Eisen- und Stahlerzeugnisse, die sich in Russland befinden oder ihren Ursprung in Russland haben, unmittelbar oder mittelbar zu kaufen (Abs. 1b) und solche gelisteten Eisen- und Stahlerzeugnisse zu befördern, wenn sie ihren Ursprung in Russland haben oder aus Russland in ein anderes Land ausgeführt werden. Besonders umstritten ist die Auslegung von Abs. 1d aus Art. 3g, der wie folgt lautet:
„Es ist verboten, in Anhang XVII aufgeführte Eisen- und Stahlerzeugnisse ab dem 30. September 2023 unmittelbar oder mittelbar einzuführen oder zu kaufen, wenn sie in einem Drittland unter Verwendung von in Anhang XVII aufgeführten Eisen- und Stahlerzeugnissen mit Ursprung in Russland verarbeitet wurden; (….) für die Zwecke der Anwendung dieses Buchstabens müssen die Einführer zum Zeitpunkt der Einfuhr einen Nachweis über das Ursprungsland der Eisen- und Stahlvorprodukte, die für die Verarbeitung des Erzeugnisses in einem Drittland verwendet wurden, vorlegen.“
Bei der Auslegung dieser Vorschrift sind mehrere Punkte umstritten – diese sollen bald durch die EU-Kommission geklärt werden. Es ist klar, dass alle Hersteller von Eisen- und Stahlerzeugnissen nachweisen müssen, dass sie diese Ware nicht aus Russland einführen oder kaufen, und dafür entsprechende Bestätigungen von ihren Lieferanten anfordern müssen. Der nötige Nachweis über das Ursprungsland der Eisen- und Stahlvorprodukte kann u.a. durch ein sog. Mill Test Certificate angetreten werden. Der Ausgangsfall soll dazu dienen zu verdeutlichen, wie u.E. Art. 3g Abs. 1d ausgelegt werden müsste, der durch das 11. Sanktionspaket eingefügt worden ist.
Lösung Ausgangsfall: D darf seit dem 30. September 2023 nicht mehr die o.g. Stahlbehälter und die o.g. Schrauben etc. von T beziehen: Denn sie sind in Anhang XVII gelistet und wurden im Drittland Türkei unter Verwendung von in Anhang XVII gelisteten Eisen- und Stahlvorprodukten mit Ursprung Russland verarbeitet. D ist Einführer und Käufer, und daher sind ihm seit dem 30. September 2023 eine solche Einfuhr und der damit zusammenhängende Kauf verboten. Letztlich soll ein Umgehungsgeschäft verhindert werden: Wenn die EU-Einfuhr solcher gelisteten Eisen- und Stahlerzeugnisse aus Russland verboten ist, darf deren Weiterverarbeitung auch nicht in Drittländern (statt in der EU) stattfinden, um diese Produkte dann anschließend wieder in die EU einzuführen
Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob D Heizungen mit russischem Stahl in der EU oder einem Drittland verkaufen darf. U.E. ist ein Kauf innerhalb der EU nicht erfasst.
Verkauf in der EU: Dann dürften diese Heizungen innerhalb der EU auch gekauft und verkauft werden. Wenn man dies anders sähe, würde es zu dem kaum nachvollziehbaren Ergebnis führen, dass zwar ein Verkauf innerhalb der EU zulässig, aber ein Kauf verboten wäre. Das erscheint kaum sachgerecht.
Verkauf in Drittland: Demnach dürfte diese Heizung zwar grundsätzlich nicht in einem Drittland gekauft werden. Aber da Personen in Drittländern i.d.R. nicht dem EU-Russland-Embargo unterfallen, kann ein solcher Kauf durch sie rechtlich nicht belangt werden, sodass er im Ergebnis rechtlich erlaubt ist.
Demnach wäre der Weiterhandel von Art. 3g Abs. 1d nicht erfasst.
Lösung Abwandlung: Sehr schwierig ist die Frage zu beantworten, ob D von T auch keine entsprechende russische Lagerware kaufen darf. Nach dem Wortlaut ist auch solche Lagerware erfasst mit dem Ergebnis, dass diese kaum noch verwendet werden kann und möglicherweise vernichtet werden müsste. Um absurde Ergebnisse für Altwaren zu vermeiden, sollte u.E. aus dem zeitlichen Kontext, dass diese Regelung mit dem 11. Sanktionspaket vom 24. Juni 2023 eingefügt wurde, geschlossen werden, dass Produkte, die vor dem 24. Juni 2023 hergestellt wurden, nicht unter diese Vorschrift fallen.
Das Ergebnis wäre demnach: D darf von T keine Lagerware kaufen, die nach dem 24. Juni 2023 hergestellt worden ist und russischen Stahl enthält. Hingegen folgt aus den obigen Ausführungen, dass ein Weiterverkauf des D bzgl. seiner Lagerware u.E. unproblematisch ist.
Resümee
Diese Ausführungen sind allein Auslegungen durch uns, die u.E. aber durch Verhältnismäßigkeit und teleologische Reduktion des Wortlauts nach ihrem Sinn und Zweck geboten sind. Wir wollen nochmals darauf aufmerksam machen, dass derzeit umstritten ist, ob und inwieweit Altwaren erfasst sind und ob ein Kauf innerhalb der EU auch erfasst ist (bitte vergleichen Sie hierzu die FAQ der EU-Kommission und demnächst die der Bundesregierung).
Sollte ein Kauf innerhalb der EU auch erfasst sein, würde das dazu führen, dass jeglicher Weiterverkauf in der EU auch verboten werden könnte. Wir meinen aber, dass mit dem „Kauf“ lediglich der mit der Einfuhr unmittelbar zusammenhängende Kauf gemeint ist. Weiter würde ein unbegrenztes Erfassen von Altwaren zu absurden Ergebnissen und zu Vernichtungen ganzer Warenlager führen können. Wir glauben nicht, dass die EU diese Auslegung favorisieren wird. Von daher ist eine sinnvolle zeitliche Präzisierung erforderlich, dass u.E. nur nach dem 24. Juni 2023 hergestellte Ware, die russischen Stahl enthält, von dieser Vorschrift erfasst ist.
Wegen aktueller Hinweise zum Russland-Embargo vgl. HIER
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