In Schweden bald Realität, in Deutschland weiter undenkbar: das Ende des Bargelds. Für die einen wäre das praktisch, für andere ein Albtraum. Könnten auch die Deutschen die Lust am Baren verlieren?

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„Kontanter är kung“ gilt in Schweden schon lange nicht mehr. Auch in China ist Cash nicht mehr King. Selbst auf dem Wochenmarkt wird per Handy digital bezahlt. Und in Großbritannien, keinesfalls Hochburg des bargeldlosen Zahlens, bitten Straßenmusiker schon einmal um eine bargeldlose Spende. In Deutschland gilt hingegen weiterhin: nur Bares ist Wahres. Nur in Zypern halten noch mehr Menschen Barzahlungen für „sehr wichtig“, fand die Europäische Zentralbank (EZB) heraus. Im Einzelhandel werden weiterhin neun von zehn Transaktionen bar bezahlt. Und daran dürfte sich so rasch nichts ändern.

Doch Scheine und Münzen sind bedroht, und das weckt Ängste bei vielen Deutschen. So wurde das Sanktionsdurchsetzungsgesetz II, das zum Jahresanfang in Kraft trat, von manchem als erster Schritt zur Abschaffung des Bargelds gewertet. Es verbietet allerdings lediglich die Barzahlung beim Kauf von Immobilien, Grundstücken, Häusern und Wohnungen. Die Ambitionen von Bundesinnenministerin Nancy Faeser gehen aber weiter: Sie hält eine Bargeldobergrenze für fünfstellige Euro-Beträge für wünschenswert.

Auf dem Rückzug

Tatsächlich haben mehrere europäische Staaten schon vor Jahren sehr rigide Bargeldobergrenzen eingeführt. In Griechenland gibt es seit 2016 ein Limit von 500 EUR für Privatgeschäfte. In Frankreich liegt es seit 2015 bei 1.000 EUR. Staaten dürfen allerdings nicht einfach Bargeld-obergrenzen einziehen. Es gilt Art. 128 im EU-Vertrag: Die von der EZB und den nationalen Notenbanken ausgegebenen Banknoten sind das einzige gesetzliche Zahlungsmittel im Euro-Raum. Zwar sind Beschränkungen seit 1998 möglich, allerdings nach Empfehlung der EU-Kommission nur in Ausnahmefällen und nach Konsultation mit der EZB.

Sorge vor digitalem Geld

Eine grundsätzliche Abschaffung des Bargelds von Staats wegen ist für Deutschland nicht so rasch zu erwarten. Doch während der Corona-Zeit hat auch hierzulande die digitale Bezahlung zugenommen. Was, wenn wie in Schweden oder China Digitalgeld immer beliebter wird und daher Händler und Gastronomen aus Kosten- oder Komfortgründen die Möglichkeit, mit Bargeld zu zahlen, zurückfahren? Der Einzelhandelsverband hat errechnet, dass bargeldlose Zahlungen durchschnittlich nur 27 statt 45 Sekunden benötigen. Außerdem gibt es weniger Abrechnungsfehler, Geld kann nicht einfach gestohlen werden, und die Kosten für Verarbeitung und Aufbewahrung entfallen weitgehend. „Digitale Zahlvorgänge sind kaum mit Aufwand für den Kunden verbunden“, sagt Jan Lisaus, Payment-Experte der Deutschen Bank. Allein das Handling von Bargeld kostet laut einer Bundesbank-Studie etwa 7,5 Mrd EUR pro Jahr.

Doch die deutsche Bevölkerung begegnet dem Digitalgeld weiterhin mit Skepsis und Ablehnung. Das hat vor allem drei Gründe:

  • Wenigen Deutschen behagt, dass ihre Geldströme in einer digitalen Welt vollständig transparent für Bank und Staat wären.
  • Ältere Menschen, Migranten oder Obdachlose hätten es schwerer, Zugang zum Zahlungsverkehr zu erhalten. Für Bargeld ist kein Bankkonto notwendig, die Bezahlung ist unkompliziert.
  • Bargeld verspricht permanente Verfügbarkeit und ist unabhängig von einem Stromnetz. Bei einem Blackout, wie er 2022 angesichts möglicher Energieversorgungsengpässe befürchtet wurde, würden digitale Kassen und Bezahlsysteme nicht mehr funktionieren.

Woanders geht es auch digital

Nur: Diese Risiken und Schwierigkeiten gelten für Schweden oder China nicht minder. Grundsätzlich sind in diesen Ländern digitale Technologien weiter verbreitet, ist die Ablehnung geringer. Offenbar ist auch die Sorge vor einem ungewollten Einblick des Staats geringer (oder der Einblick ist sowieso umfassend, wie in China). Derzeit erlauben digitale Bezahlsysteme keine Anonymität wie Barzahlungen.

Es gibt jedoch Ansätze, dass Zahlungen en détail nur lokal auf dem mobilen Endgerät aufgezeichnet werden. Mit einer Blindsignatur, einer Art digitaler Signatur, die vor dem Signieren verschlüsselt wird, sollen Transaktionen nicht zurückverfolgbar sein und ohne Angabe von Zeit oder Beträgen bleiben. Wie sicher diese Verfahren sind und ob sie angesichts des Interesses von Staat und Banken, Geldwäsche zu unterbinden, überhaupt zulässig wären, ist noch strittig.

Zaster, Zinsen, Zentralbanken

Bis zur Zinswende 2022 waren Negativzinsen ein wichtiges Instrument für die Zentralbank, um Konsum und Investitionen anzukurbeln. Doch mit Bargeld können Negativzinsen einfach unterlaufen werden, indem Sparvermögen abgehoben und bar verwahrt wird. Ohne Bargeld würde das Vermögen auf dem Konto schrumpfen – der Anreiz, das Geld auszugeben, würde dadurch steigen. Doch nicht alle Ökonomen lassen das als Argument gegen Bargeld gelten: Will die Zentralbank nicht allein Sparen unattraktiv machen, sondern vor allem Investitionen fördern, könnte sie auch Instrumente wie den Aufkauf von Anleihen und die Ausgabe von Unternehmenskrediten dazu nutzen.

Aber: Ohne Bargeld würde eine Finanzkrise viel stärker ausfallen. In einer Finanzkrise misstraut die Bevölkerung dem Banksystem und hebt vermehrt Bargeld ab. Die beruhigende Wirkung der Bargeldauszahlung („Mein Geld ist noch da!“) entfiele, gäbe es nur Digitalgeld.

Für ältere oder mittellose Menschen wird es in einer digitalen Bezahlwelt schwieriger, wenn die Akzeptanz der Scheine und Münzen sinkt. In Schweden nutzen fast nur noch ältere Menschen Bargeld. Es gibt jedoch Initiativen, die die digitale Finanzbildung fördern. Auch helfen mobile Bankdienstleistungen oder Einkaufslieferservices, dass diese Menschen nicht ausgeschlossen werden. In anderen Ländern, wo nur wenige Menschen ein Bankkonto besitzen, haben mobile Bezahlsysteme per SIM-Karte wie M-Pesa in Kenia die Inklusion sogar erhöht.

Hohe Bargeldvorräte minimieren Risiken bei Blackout

Und auch vor einem Blackout müssten sich die Deutschen mit Blick auf die Bezahlung nicht unbedingt fürchten. Abgesehen von der Schwierigkeit, dass die meisten Kassensysteme elektrisch sind, hat die Bundesbank im vergangenen Winter ihre Bargeldvorräte deutlich hochgefahren. Im Notfall könnten dann Bankschalter mit Bargeld beliefert werden. Zugleich gelten Mobilfunknetze aber auch als kritische Infrastruktur; digitale Guthaben sind durch dezentrale Cloud-Serverstrukturen zumindest vor regionalen Stromausfällen geschützt. Ob es in Deutschland überhaupt zu einem anhaltenden, ungeplanten Stromausfall kommen wird, wird zumindest als wenig realistisch eingeschätzt.

Ohne Frage: Ein Ende des Bargelds wäre eine Umstellung, die gewisse Risiken birgt. Doch es hat sich in anderen Ländern gezeigt, dass diese Risiken wahrscheinlich nicht so groß sind wie oft befürchtet. Dennoch wird es lange dauern, bis das Bargeld hierzulande seine Dominanz verliert.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Bank. Den dazugehörigen Link finden Sie HIER

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