Am 23. Juni 2023 hat die EU zusätzliche Sanktionen gegen Russland beschlossen (11. Sanktionspaket), v.a. um Umgehungen des Embargos zu verhindern. In Fortsetzung unserer sieben Beiträge (zuletzt: Ausgabe 8/2022, S. 20 ff., Ausgabe 1/2023, S.19 ff. und Ausgabe 2/2023, S. 13 ff.) werden die Auswirkungen dieses Sanktionspakets für Exporteure in der EU aufgezeigt.

Beitrag in der Gesamtausgabe (PDF)

Ausgangsfall 1: D in Deutschland ist Hersteller von IT-Technologie, die z.T. Dual-Use-Güter darstellt. Darunter sind auch Mikroprozessoren mit einer Taktfrequenz größer als 25 MHz. Nach dem Angriffskrieg Russlands und dem Russland-Embargo beschloss D, ihr Russland-Geschäft einzustellen. Um sich neue Märkte zu erschließen, will D Kasachstan beliefern. Gleichzeitig steigt der Export nach Kasachstan überproportional. Was hat D hier zu beachten?

Ausgangsfall 2: D in Deutschland handelt v.a. mit China. Für den Export in die Volksrepublik nutzt sie die neue russische Seidenstraße, die u.a. über Russland und Kasachstan führt. Sind China-Exporte in dieser Form künftig noch möglich?

In Abwandlung hierzu liefert D in Deutschland über den Seeweg an die Tordan Industry Ltd. in Hongkong, ohne russisches Territorium zu berühren. Ist D hierbei vom Sanktionspaket 11 betroffen – mit der Folge, dass sie das Russland-Embargo beachten muss?

Ausgangsfall 3: D in Deutschland beauftragt ihren Anwalt mit der Prüfung, ob sie zur Begleichung einer Rechnung übertragbare Wertpapiere abgeben kann, die von T in Tunesien begeben wurden. Eine nähere Prüfung des Anwalts ergibt, dass T zu mehr als 50% im Eigentum der Sberbank in Russland steht. Welche Pflichten treffen D oder den Anwalt?

Das Sanktionspaket 11 vom 23. Juni 2023

Bzgl. der Ukraine-VO 269/2014 gibt es durch die VO 2023/1215 eine neue Möglichkeit, auch solche Personen zu listen, die Verstöße gegen das Umgehungsverbot nach Ukraine-VO oder Russland-VO erleichtern oder diese Bestimmungen auf sonstige erhebliche Weise unterlaufen. Außerdem können im russischen IT-Sektor tätige Personen gelistet werden, wenn sie mit einer vom FSB (dem russischen Inlandsgeheimdienst) ausgestellten Genehmigung tätig sind oder wenn sie vom russischen Industrieministerium eine Genehmigung für Waffen/militärische Ausrüstung erhalten haben. Es gibt neue Möglichkeiten für die Freigabe von Geldern/wirtschaftlichen Ressourcen, u.a. wenn diese für den Kauf bzw. die Einfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen/Lebensmitteln oder für Lotsendienste für Schiffe benötigt werden. Genauso wie in der Russland-VO sollen Informationspflichten mit anderen EU-Mitgliedstaaten verstärkt werden, v.a. dann, wenn Verstöße oder Umgehungen festgestellt werden.

Mit der Durchführungs-VO 2023/1216 werden weitere 71 Personen und 33 Einrichtungen im Anhang I der Ukraine-VO gelistet. Zu den 33 Einrichtungen gehören u.a. zwei Banken: die CMR-Bank in Moskau und die MRB-Bank (International Settlement Bank) in Georgien. Es sind jetzt insgesamt gelistet: 1.572 Personen und 244 Einrichtungen!

Änderungen zur Russland-VO

Die wichtigsten Änderungen betreffen die Russland-VO 833/2014 durch die VO 2023/1214. Die acht wichtigsten Änderungen sind die folgenden:

1. Die Liste der militärischen Endverwender (Anhang IV) wird neu gefasst, weil sie um 87 Einträge erweitert wird; jetzt sind dort 593 Einrichtungen gelistet. Neu ist, dass dort neben russischen und (seit Paket 10) iranischen Unternehmen jetzt auch Firmen aus Armenien, Hongkong, Usbekistan, Syrien und den Vereinigten Arabischen Emiraten gelistet sind. Es wird davon ausgegangen, dass diese Organisationen in Drittländern an der Umgehung von Handelsbeschränkungen beteiligt waren (vgl. Präambel Nr. 19).

2. Die Liste der strategischen Güter nach Anhang VII (mit einem Ausfuhrverbot nach Russland) wird neu gefasst, weil dieser Anhang um zahlreiche Einträge ergänzt wurde (Er ist jetzt 158 Seiten lang. Das entspricht 48% des Umfangs von VO 2023/1214.). Die Intention war u.a., ihn um Güter zu erweitern, die von Russland für den Angriffskrieg gegen die Ukraine verwendet werden, sowie um Güter, die zur Entwicklung oder Herstellung seiner militärischen Systeme beitragen (u.a. elektronische Bestandteile, Halbleitermaterialien, Ausrüstung für elektronisch integrierte Schaltungen, Ausgangsstoffe für energetische Materialien und chemische Waffen, vgl. Präambel Nr. 20).

3. Geistiges Eigentum: Bzgl. der gelisteten Embargogüter wird in mehreren Artikeln verboten, für diese gelisteten Güter – unmittelbar oder mittelbar – an Personen in Russland oder zur Verwendung in Russland Rechte des geistigen Eigentums oder Geschäftsgeheimnisse zu verkaufen oder Lizenzen dafür zu erteilen (vgl. Präambel Nr. 22).

4. Das Durchfuhrverbot durch Russland, das bislang nur für gelistete Dual-Use-Güter galt, wird auf weitere Embargogüter ausgeweitet, u.a. auf Güter nach den Anhängen VII, XI und XX. Gleichzeitig wird das Verbot für russische Unternehmen, in der EU Güter auf der Straße zu befördern (Art. 3l), dahingehend ausgeweitet, dass es auch für in Russland zugelassene Anhänger/Sattel-anhänger gilt, auch wenn die Lkw in anderen Ländern zugelassen sind.

5. Erschwerung Hafenzugang: Es gibt ein neues Verbot, einem Schiff, das Umladungen zwischen Schiffen vornimmt, Zugang zu Häfen in der EU zu gewähren, wenn Behörden Grund zu der Annahme haben, dass das Schiff entweder gegen die Art. 3m/3n (gegen das Verbot der Einfuhr russischer Erdölerzeugnisse) verstoßen hat oder dass das Schiff sein automatisches Schiffs-identifizierungssystem deaktiviert hat – nach einem Verstoß gegen dieses Einfuhrverbot (Art. 3eb und 3ec, vgl. Präambel Nr. 31–34).

6. Informationspflichten an andere Mitgliedstaaten: Der betroffene Mitgliedstaat unterrichtet die anderen EU-Länder und die Kommission über jede nach bestimmten Artikeln abgelehnte Genehmigung innerhalb von zwei Wochen, und bevor ein Mitgliedsstaat dennoch eine Genehmigung nach diesen Artikeln erteilt, muss er Konsultationen mit dem ablehnenden EU-Mitglied aufnehmen (neuer Art. 6a). Diese Informationspflichten betreffen auch Umgehungsgeschäfte: Die Behörden müssen Informationen mit anderen Behörden und EU-Mitgliedern und der Kommission austauschen, v.a. wenn sie Embargoverstöße oder Umgehungsgeschäfte feststellen (neu gefasster Art. 12a Abs. 3).

7. Neue Informationspflicht für jedermann (Art. 6b): Alle Personen in der EU sind verpflichtet, Informationen, die die Umsetzung der Russland-VO erleichtern, binnen zwei Wochen nach Erhalt an die zuständigen Behörden des betroffenen EU-Mitglieds zu übermitteln und mit diesen Behörden zusammenarbeiten; anschließend sollen diese Informationen an die Kommission ggf. anonymisiert übermittelt werden.

8. Neue Rechtsgrundlage für Umgehungsverbote (Art. 12f): Es gibt ein neues Verbot, die im neuen Anhang XXXIII genannten Güter an Personen in den in diesem Anhang genannten Drittländern zu verkaufen und zu liefern; hierfür sind auch technische Hilfe, Finanzhilfen und die Übertragung geistiger Eigentumsrechte verboten. Der zurzeit noch leere Anhang XXXIII wird künftig Drittländer nennen, die nach übereinstimmender Auffassung der EU-Mitglieder an Umgehungslieferungen beteiligt sind (vgl. zu diesem Verfahren Präambel Nr. 8–18); Ausnahmen und Genehmigungsmöglichkeiten für Russland werden dann auch für diese Umgehungsdrittländer gelten.

Weitere neun Änderungen (im Telegrammstil):

1. Anhang XV (Liste der Sender mit Sendeverbot) wird um weitere fünf Sender erweitert.
2. Anhang XVII (Liste der Eisen- und Stahlerzeugnisse mit Einfuhrverbot) wird neu gefasst und erheblich gekürzt. Gleichzeitig werden einige der bisherigen Ausnahmen (Art. 3g Abs. 2 und Abs. 3) gestrichen.
3. Anhang XVIII (Luxusgüter mit Ausfuhrverbot) wird neu gefasst und erheblich ausgeweitet. Zugleich werden die Verbote für Luxusgüter ausgeweitet auf technische Hilfe, Finanzhilfen und die Übertragung geistigen Eigentums
(Art. 3h Abs. 2).
4. Anhang XXI (Güter, die Russland erhebliche Einnahmen bringen können, mit Einfuhrverbot) wird neu gefasst und dabei ausgeweitet.
5. Anhang XXIII (Güter zur Stärkung der industriellen Kapazität Russlands mit Ausfuhrverbot) wird neu gefasst (jetzt gibt es in der Regel nur noch vierstellige Zolltarifnummern) und dabei ausgeweitet. Zu Anhang XXIII gibt es geänderte Altvertragsregelungen im Art. 3k.
6. Neuer Anhang XXXV (Liste der Feuerwaffen und anderer Waffen nach
Art. 2aa) wurde veröffentlicht.
7. Verbot der Einfuhr von Kohle fällt nun unter Art. 3i und Anhang XXI; daher werden Art. 3j und Anhang XXII gegenstandslos.
8. Präzisierung zu Art. 5f: Das Verbot der Begebung von Wertpapieren nach Russland gilt auch, wenn diese auf eine andere Währung als die eines EU-Mitgliedstaats lauten.
9. Übergangsregelungen: Für Güter nach Anhang II und für Dienstleistungen nach Art. 5n gelten Übergangsregelungen bis März 2024, wenn dies für den Abzug von Investitionen erforderlich ist.

Lösung Ausgangsfall 1

Die Mikroprozessoren mit dieser hohen Taktfrequenz sind von Position X.A.I.001 im Russland-Anhang VII gelistet. Daher sind ihr Verkauf und ihre Lieferung nach Russland verboten. Erfasst ist auch die mittelbare Lieferung über den kasachischen Kunden K nach Russland.

Da Kasachstan im Zweifel ein Russland-Umgehungsland ist, muss D sehr hohe Sicherungsmaßnahmen treffen, um Weiterlieferung/Weiterverkauf nach Russland zu verhindern; sollte es doch dazu kommen und D hätte fahrlässig gehandelt, hätte D einen mittelbaren Embargoverstoß begangen. Hier ist eine hohe Risikominimierung gefragt: schriftliche Dokumentation zu einzelnen Risikopunkten; strikter Absicherungsvertrag, durch den jegliche Weiterlieferung in Verbindung mit der Vereinbarung einer hohen Vertragsstrafe verboten ist; Anwaltsvermerk sowie evtl. sonstige Anfrage oder Nullbescheid-Antrag beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA).

Sollte es nicht gelingen, solche Umgehungslieferungen über Kasachstan nach Russland zu verhindern, ist davon auszugehen, dass demnächst im neuen Anhang XXXIII Kasachstan und evtl. auch dieses Gut erwähnt werden (vgl. Art. 12f). Dann könnte künftig diese Lieferung durch Anhang XXXIII verboten sein.

Lösung Ausgangsfall 2

Hier geht es um eine Durchfuhr durch Russland. D muss erst prüfen, ob es um ein Gut geht, das ein gelistetes Dual-Use-Gut ist oder das unter den Russland-Anhängen VII, XI oder XX gelistet ist. Falls ja, wäre die Durchfuhr verboten (vgl. Art. 2a Abs. 1a und Art. 3c Abs. 1a). In diesem Fall würde D mit dem China-Export in dieser Form einen Russland-Embargoverstoß begehen.

Lösung Abwandlung

Die Tordan Industry Ltd. in Hongkong ist auf dem Russland-Anhang IV gelistet; sie zählt damit zu den möglichen militärischen Endverwendern und Umgehungslieferanten, die den militärischen Komplex in Russland unterstützen. Zumindest dann, wenn es um gelistete Dual-Use-Güter oder um Güter nach Russland-Anhang VII gehen sollte und von einer mittelbaren Russland-Lieferung (Weiterlieferung von Hongkong nach Russland) auszugehen ist, ist die Lieferung verboten und eine Ausnahmegenehmigung des BAFA ist ausgeschlossen (vgl. Art. 2 Abs. 7 und Art. 2a Abs. 7). Unklar ist, was zu tun ist, wenn D nicht von einer Weiterlieferung dieses Hongkong-Unternehmens nach Russland ausgeht; möglicherweise spricht aber die Listung auf Anhang IV für eine Beweislastumkehr, sodass die Weiterlieferung vom EU-Gesetzgeber zugrunde gelegt wird.

Lösung Ausgangsfall 3

Da die Sberbank auf Russland-Anhang III gelistet ist und mehr als 50% der Anteile an T hält, dürfte der Verkauf dieser Wertpapiere im Zweifel gegen Art. 5 Abs. 1b verstoßen. D sollte diesen Verkauf unterlassen, um einen Embargoverstoß zu vermeiden.

Gleichzeitig dürfte hier die neue Informationspflicht für jedermann nach Art. 6b ausgelöst werden. Hier fragt sich: Besteht eine solche Informationspflicht auch dann, wenn sich der Betroffene dabei selbst belasten würde?

Unseres Erachtens muss eine Ausnahme dann bestehen, wenn die Informationspflicht automatisch zu einer eigenen Belastung des Betroffenen führen würde. Der Wortlaut von Art. 6b ist hierzu nicht sehr klar (er schützt lediglich die Vertraulichkeit der Kommunikation Anwalt–Mandant und die Vertraulichkeit von Informationen im Besitz von Justizbehörden), und auch die Rechtsprechung des EuGH ist hierzu auslegungsfähig. Denkbar ist, dass D hier die zuständigen Behörden allein darüber informiert, dass das tunesische Unternehmen T sich zu über 50% im Eigentum der unter Anhang III gelisteten Sberbank befindet, sodass gegenwärtig solche Wertpapiere nicht verkauft werden dürfen.

Resümee

Angesichts der zahlreichen Umgehungslieferungen (vor allem aus „stan“-Ländern wie Pakistan, Afghanistan, Kasachstan, Kirgistan oder Usbekistan) nach Russland war es wichtig, den Habeck-Plan gegen Sanktionsumgehungen (vgl. unseren Beitrag in Ausgabe 2/2023, S. 15) mit dem 11. Sanktionspaket auch tatsächlich umzusetzen. Das musste über kurz oder lang dazu führen, dass das Russland-Embargo extraterritoriale Regelungen erhalten wird. (Beim Exportkontrolltag im Mai dieses Jahres in Berlin waren sich die meisten Teilnehmer noch einig, dass das Russland-Embargo keine extraterritorialen Regelungen enthält).

Wenn aber der Handel mit einem dieser Umgehungsländer – nach einer Beendigung des Russland-Handels – sprunghaft steigt, dann müssen die EU-Exporteure prüfen, ob es hier zu Weiterlieferungen nach Russland kommen kann, um einen mittelbaren Embargoverstoß dieser Exporteure zu vermeiden; zumindest dann, wenn es um für Russland verbotene Güter geht, müssen für den Handel mit Kasachstan & Co. effektive Absicherungsinstrumente gegen eine Weiterlieferung nach Russland (notfalls – als letztes Mittel – auch ein Antrag auf einen BAFA-Nullbescheid) ergriffen werden.

Die getroffenen Regelungen gegen Umgehungsgeschäfte sind einerseits überzeugend, dürften andererseits aber für mittelständische Exporteure nicht einfach zu implementieren sein. Denn welches dieser Unternehmen wird davon ausgehen, dass es beim Handel mit China (vgl. Fall 2) oder bei der Involvierung einer auf Russland-Anhang IV genannten Einrichtung aus dem Iran, Armenien, Hongkong, Usbekistan, Syrien oder den VAE das Russland-Embargo beachten muss? Dennoch dürfte dieser extraterritoriale Ansatz im Ergebnis unvermeidlich sein, um Russland-Umgehungsgeschäfte zu verhindern. Er führt im Zweifel zu einem hohen Beratungsaufwand: Bei möglichen Umgehungsgeschäften sollten Exporteure einen Exportanwalt einschalten, um einen mittelbaren Embargoverstoß zu vermeiden.

Wegen aktueller Hinweise zum EU-Exportrecht vgl. HIER und zum Russland-Embargo vgl. HIER

info@hohmann-rechtsanwaelte.com

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