Am 8. September 2023 wurde der Nordhang des Hohen Atlas von einem Erdbeben der Stärke 6,8 auf der Richterskala erschüttert – etwa 75 km südwestlich von Marrakesch, der wichtigsten Touristenstadt Marokkos. Dank auswärtiger Kredithilfen und berechtigter Hoffnung auf rückkehrende Touristen könnte es in dem nordafrikanischen Land schon in diesem Jahr wieder aufwärtsgehen.

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Das Erdbeben ereignete sich in einer Region mit wenig Industrie und begrenzter Infrastruktur, die hauptsächlich von der Landwirtschaft zur Eigenversorgung der ansässigen Bevölkerung lebt und relativ autark ist. Die wirtschaftlichen Auswirkungen für die marokkanische Wirtschaft insgesamt hängen daher in erster Linie von der Reaktion der ausländischen Touristen auf dieses Ereignis ab. Der Tourismus hatte zumindest in der ersten Jahreshälfte 2023 Rekordergebnisse verzeichnet. In diesem Zeitraum konnte Marokko 6,5 Millionen Besucherinnen und Besucher begrüßen, was einem Anstieg von 92% gegenüber 2022 und 21% gegenüber dem gleichen Zeitraum vor der Corona-Pandemie (2019) entspricht.

Nach dem Erdbeben kam es zwar zu einigen Stornierungen, aber die mittel- und langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen dürften sich in Grenzen halten. Flughäfen blieben geöffnet und auch die Stadt Marrakesch blieb mit Ausnahme der Altstadt (Medina) und des jüdischen Viertels (Mellah) relativ unversehrt. Geplante Reisen in die vom Erdbeben betroffene Bergregion können durch Reisen in andere Regionen Marokkos ersetzt werden, was die kurzfristigen Auswirkungen auf den Fremdenverkehr ebenfalls abmildert. Die Tourismusindustrie sollte daher auch 2024 in der Lage sein, das Wirtschaftswachstum spürbar zu stützen.

Investitionen in erneuerbare Energien

Die Wirtschaft Marokkos ist neben dem Tourismus auch erheblich von der Agrarwirtschaft und damit von klimatischen Bedingungen abhängig. Nach einer schlechten Getreideernte 2022, die das Wirtschaftswachstum erheblich schmälerte, und einem guten Jahr 2023 wird für 2024 eine Normalisierung erwartet. Die Wiederaufbaubemühungen nach dem Erdbeben werden die Wirtschaft in diesem Jahr ebenso stützen wie die Expansion Marokkos am weltweiten Phosphatmarkt – denn der nordafrikanische Staat ist im Besitz von 70% der weltweiten Reserven.

Im Juni 2023 hat die Regierung angekündigt, die Investitionen in erneuerbare Energien im Zeitraum zwischen 2023 und 2027 im Vergleich zu den Jahren 2009 bis 2022 zu verdreifachen, um das nationale Stromnetz auszubauen (über neue Lizenzvergaben, die Produktion von grünem Wasserstoff und weitere Windkraftprojekte) und die Wasserressourcen des Landes mittels Entsalzungsanlagen zu sichern. Das Verarbeitende Gewerbe sollte sich 2024 strukturell weiterentwickeln und das Wachstum durch höhere Exportumsätze in der Automobil-, Luftfahrt- und Textilbranche unterstützen. Der Konsum wird durch den Tourismus sowie die Überweisungen von im Ausland arbeitenden Marokkanerinnen und Marokkanern in die Heimat gefördert, im Gegenzug jedoch durch die noch immer sehr hohen Lebensmittelpreise gebremst. Im Zuge des Wiederaufbaus des Landes setzte die Bank Al-Maghrib die für 2023 vorgesehene Straffung der Geldpolitik aus und beließ den Leitzins zuletzt bei 3%.

Internationale Hilfen nehmen Druck vom Haushalt

Das für 2023 angestrebte Haushaltsziel, das öffentliche Defizit bis 2026 auf Vor-Pandemie-Niveau (rund 3% des Bruttoinlandsprodukts) zu senken, wurde durch das Erdbeben infrage gestellt. Die 2023 und 2024 eingeführten Steuerreformen werden dazu beitragen, die negativen Auswirkungen des Erdbebens auf die Staatskassen abzumildern. So wird die Körperschaftsteuer schrittweise von 35% im Jahr 2023 auf 20% abgesenkt, um für Investoren aus dem In- und Ausland attraktiver zu werden und schlussendlich höhere Steuerumsätze zu generieren. Im laufenden Jahr werden Subventionen für Lebensmittel und Energie durch gezielte Familienbeihilfen ersetzt, um eine bessere Kontrolle der öffentlichen Ausgaben zu gewährleisten. Diese Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung werden jedoch nicht ausreichen, um eine Ausweitung des Haushaltsdefizits im Vergleich zu 2022 gänzlich verhindern zu können.

Die Regierung hat einen Wiederaufbauplan angekündigt, der mit 11,7 Mrd USD bzw. 8,5% des BIP veranschlagt ist und sich über fünf Jahre erstreckt. Er wird durch eine Erhöhung der Haushaltsausgaben und einen Beitrag von 2 Mrd MAD (ca. 200 Mio USD) aus dem Fonds Hassan II für wirtschaftliche und soziale Entwicklung finanziert. Darüber hinaus wird die internationale Hilfe in Form von Solidaritätsfonds, Darlehen und multilateralen Spenden den Haushaltsdruck verringern. Marokko kann zur Finanzierung seines Defizits auf die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) im April 2023 gewährte flexible Kreditlinie in Höhe von 5 Mrd USD zählen. Hinzu kommt ein Darlehen in Höhe von 1,3 Mrd USD, das der IWF am 28. September 2023 für einen Zeitraum von 18 Monaten gewährt hat, um Marokko bei der Bewältigung klimabedingter Katastrophen zu unterstützen. Infolgedessen wird sich die öffentliche Schuldenlast im Jahr 2024 mit einem Auslandsanteil von 42% des BIP stabilisieren.

Politische Stabilität trotz Frust über hohe Lebenshaltungskosten

Marokkos Premierminister Aziz Akhannouch, seit September 2021 im Amt, steht der Nationalen Versammlung der Unabhängigen (RNI) vor. Die RNI ist die Mehrheitspartei in einer Mitte-Rechts-Koalition. Die nächsten planmäßigen Wahlen zum Repräsentantenhaus, dem Unterhaus des Parlaments, werden im September 2026 stattfinden. Das politisch stabile Marokko sah sich 2023 einer wachsenden Unzufriedenheit seiner Bürger wegen der hohen Arbeitslosigkeit (12%) und der hohen Lebenshaltungskosten aufgrund wiederkehrender Dürreperioden gegenüber.

Bei dem Erdbeben kamen zudem 3.000 Menschen ums Leben und mehr als 15.000 wurden obdachlos. Der von der Regierung vorgelegte Haushaltsplan ist für Soforthilfe und Wiederaufbau sowie für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der betroffenen Region bestimmt. Ziel ist es, die Wirtschaftstätigkeit zu fördern und abgelegene Berggebiete zu erschließen. Dies sollte auch die politische Stabilität des Landes aufrechterhalten.

Die Spannungen um die Westsahara werden auch 2024 anhalten. Seit 1975 wird dieser Teil zu 80% von der marokkanischen Regierung kontrolliert. In den restlichen 20% wurde die Arabisch Demokratische Republik Sahara gegründet. Für deren Ausweitung auf die gesamte Westsahara kämpft die Polisario-Front, die von Algerien unterstützt wird. Wichtige Schritte für Marokko waren, dass Israel die marokkanische Souveränität über die Westsahara im Juli 2023 anerkannt und Spanien den marokkanischen Autonomieplan bereits 2022 akzeptiert hat.

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